Plastik und Gesundheit: Sind Männer in zwanzig Jahren unfruchtbar?

Nr. 39 –

Mikro- und Nanopartikel aus Plastik lagern sich in der Umwelt ab und wandern aus Verpackungsmaterialien und Konsumgütern in Lebensmittel: Wir atmen, essen, trinken Plastik. Ortsbesuch in Wien, wo gerade Pionierarbeit zur Frage geleistet wird, was das mit unserem Körper macht.

Skulptur «Monster from the Abyss» von Raul Orvieto
Wunder des Meeres? Nein, ein «Monster from the Abyss» aus Fangnetzen und anderem Plastikmüll, geschaffen von Raul Orvieto (vgl. Kasten «Kind of Blue»).

Wie er da barfuss und im Schneidersitz zwischen Stapeln an Papieren, Zeitschriften und Büchern, Kaffeemaschine und Computer auf dem Bürostuhl sitzt, erinnert nur der weisse Kittel daran, dass Lukas Kenner Arzt ist. Pathologe und Krebsforscher, um genau zu sein, und als solcher entsetzt. «Als ich mir auf Pubmed, der Datenbank für Medizinforschende, einen Überblick zur Forschung rund um den Effekt von Plastik auf die Gesundheit verschaffen wollte, traute ich meinen Augen nicht: Ich fand nichts.»

Dabei ist Plastik längst überall. Wir leben in einer Barbie-Welt: Vom Nuggi über den Schoppen und später die Trinkflasche, vom Spielzeugbagger über Lego bis zum richtigen Auto, von den Flipflops zum Faserpelz, vom Wasserkocher über Tupperware bis zu Convenience Food und Kosmetika – wir hüllen uns und alles, was uns umgibt, in Plastik. Nur ist diese Barbie-Welt weder pink noch aufgeräumt: Einmal verbraucht und weggeworfen, ob verbrannt oder verrottend auf Deponien, im Wald oder im Meer, landet das Material als Mikro- und Nanoplastik in Böden und Gewässern, wo es von Pflanzen und Tieren aufgenommen wird und letztlich auch von uns. Wir atmen, trinken, essen Plastik. Im Schnitt jede Woche einen Kaffeelöffel voll oder, um im Barbie-Bild zu bleiben, eine Kreditkarte. Was macht das mit uns?

Anreicherung in den Organen

Als Müll, der Umwelt und Ökosysteme wie das Meer belastet, steht Plastik längst in der Kritik. In seiner für das blosse Auge unsichtbaren Form als Mikro- und Nanoplastik (MNP) rückt es erst allmählich in den Fokus. Ökotoxikologische Daten dazu gibt es noch kaum, geschweige denn Untersuchungen zur Schädlichkeit für Menschen. Dabei geben gleich mehrere Eigenschaften von MNP Anlass zur Besorgnis. «Je kleiner die Partikel sind, desto biologisch relevanter werden sie», resümiert Kenner die Erkenntnisse aus der Nanoforschung. Sind sie kleiner als ein Mikrometer, ändern sich ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften, auch weil sie extrem reaktionsfreudig sind. «Plastikpartikel können oxidieren oder sich elektrisch aufladen und so an Metalle binden, an Viren, Bakterien oder an menschliche Eiweissmoleküle und Nukleinsäuren. Das verändert ihre Pathogenität massiv.»

«Kind of Blue»

Raul Orvieto, Künstler und Umweltaktivist aus Italien, macht mit Bildern und Skulpturen auf die Schönheit von Meerestieren und die Fragilität ihrer Lebenswelt aufmerksam und ist dafür mehrfach ausgezeichnet worden.

Für das Projekt «Kind of Blue» hat er Plastikmüll entlang der ligurischen Küste eingesammelt und in ambivalent schillernde Meereskreaturen verwandelt (vgl. Bild oben).

 

Kommt hinzu, dass Kunststoff fossilen Ursprungs ist, er wird aus Ethylen und Propylen zu langen Polymeren verarbeitet. Diese seien den Proteinen und Nukleinsäuren aus unserem Körper sehr ähnlich, sagt Kenner. «Die Idee, dass da eine Interaktion stattfinden kann, finde ich nicht so weit hergeholt. Und als Krebsforscher weiss ich, dass bei der Entstehung von Krebs zahlreiche mutierte Nukleinsäuren oder veränderte Eiweissstrukturen involviert sind.»

Bislang existieren vor allem indirekte Hinweise auf potenzielle Gefahren von MNP für die menschliche Gesundheit. So weisen verschiedene Studien nach, dass Nanoplastikpartikel überall, wirklich überall im Körper hinkommen: Sie überwinden sämtliche natürlichen Barrieren wie Darmschleimhaut, Plazenta und die Blut-Hirn-Schranke und lagern sich über das Blut oder auch direkt durch Einatmen aus der Luft in Organen, Gewebe und sogar Knochen ein und reichern sich dort an. In Laborstudien mit menschlichen Zellkulturen oder Ratten und Mäusen konnte gezeigt werden, dass Partikel aus weitverbreiteten Kunststoffen wie Polystyrol, Polypropylen, Polyethylen oder PET zu Entzündungsreaktionen führen und oxidativen Stress, metabolische Störungen und Infektionen auslösen können – alles Kunststoffe, mit denen wir täglich in Kontakt kommen.

Furore machte unlängst eine Studie der University of Nebraska mit Babytrinkflaschen, wie sie in jedem US-Supermarkt erhältlich sind. Sie wies nicht nur nach, dass sich beim Erhitzen des Schoppens Milliarden an Nanoplastikpartikeln aus dem Kunststoff lösen und in die Milch übergehen. Als man im Labor embryonale Nierenzellen unterschiedlich hohen Dosen solcher Partikel aussetzte, starben im Fall der höchsten Dosis über drei Viertel der Zellen ab. Diese Dosis entsprach einer Konzentration, wie sie ein Baby oder Kleinkind bereits in wenigen Tagen im Körper akkumulieren könnte.

«Wir konnten das Resultat hier bei uns im Labor reproduzieren», sagt Lukas Kenner. «Ist das nicht irre?» Und doch balanciert da zuoberst auf einem Stapel Unterlagen in seinem Büro eine Trinkflasche aus Plastik. Er habe seine Metallflasche zu Hause in Graz vergessen, entschuldigt er sich. «Ich kaufe keine Getränke mehr aus PET-Flaschen. Selbst wenn nur Wasser drin ist: Während der Lagerung scheidet das Plastik laufend weiter Partikel aus.»

Im Labor simuliertes Verhalten

Verena Kopatz, die in Kenners Team forscht, wird später bei einem Rundgang durch die Labore im Untergeschoss des Universitätsklinikums AKH Wien nachdoppeln. Nie mehr werde sie in Plastik eingeschweisstes Essen in der Mikrowelle erhitzen. Sie sitzt im fensterlosen Raum vor einem Fluoreszenzmikroskop, der Grossbildschirm daneben leuchtet tiefblau. Nur schemenhaft und rötlich zeichnet sich ein längliches Gebilde mit wellenartigen Ausbuchtungen ab – eine Darmzotte –, im Innern blitzen winzig kleine Punkte hellgelb auf, manche greller als andere. Um ein einzelnes solches Bild zu finden und festzuhalten, sitzt sie mitunter eine halbe Stunde lang vor dem Mikroskop.

«Da ist einer», sie zeigt auf einen besonders grell leuchtenden und scharf umrandeten Punkt, «das daneben ist wahrscheinlich keiner.» Um Plastikpartikel in der Petrischale oder wie hier in der Darmschleimhaut einer Maus überhaupt detektieren zu können, müssen sie zuvor mit einem fluoreszierenden Stoff markiert werden. «Weil es in Zellen auch natürliche fluoreszierende Quellen gibt, muss man höllisch aufpassen, keine falsch positiven Resultate wiederzugeben.»

Einige dieser industriell hergestellten Partikel aus Polystyrol hatten es keine zwei Stunden später geschafft, aus dem Darm ins Blut zu gelangen und die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Zuvor waren den Mäusen über das Trinkwasser vier in Grösse und Beschichtung unterschiedliche Partikel verabreicht worden. Bis ins Hirngewebe drangen aber nur jene in Nanogrösse vor, die mit einer Cholesterinschicht überzogen waren. «Die Cholesterinmoleküle wurden vom Körper nicht als fremd erkannt», sagt Kenner, «die Plastikpartikel waren also wie in einer Art trojanischem Pferd getarnt. Im Detail wissen wir noch nicht, wie das im Körper funktioniert. Wir können es nur mit künstlich hergestellten Partikeln modellieren, auch wenn das nicht die Partikel sind, die real auf unseren Tellern landen.»

Das ist die Achillesferse für Forscher:innen wie Kenner, die den gesundheitlichen Folgen von MNP nachgehen wollen: In der Umwelt sind Partikel aus Plastik kaum aufzuspüren. Nicht nur, weil sie so klein sind, sondern weil man gar nicht weiss, wie sie aussehen, und es keine Technologie gibt, um sie zu identifizieren. Kommt hinzu, dass sich im Verlauf ihrer Verwitterung in der Umwelt andere Stoffe an sie anlagern, eine sogenannte Corona bilden. Von Plastikpartikeln im Meer etwa weiss man aus Analysen von kontaminierten Fischen und Meeresfrüchten, dass sie verschiedene Schwermetalle an sich binden, die für den Menschen giftig sind.

«Wir aber müssen mit künstlich hergestellten Plastikpartikeln von definierter Grösse und Zusammensetzung arbeiten, um überhaupt ein reproduzierbares Experiment machen zu können. Davon lebt die wissenschaftliche Aussagekraft», sagt Kenner. «Und solange es keine Technologien gibt, um Plastikpartikel verlässlich aufzuspüren, sind wir sozusagen dazu verdammt, mit Versuchstieren und Zellkulturen in der Petrischale zu arbeiten.» Dabei stünde ihm als Pathologen ein ganzes Archiv an Patient:innenproben zur Verfügung.

Als Krebsforscher leistet Kenner gerade Pionierarbeit: Im Rahmen des Verbundprojekts «microONE», dessen wissenschaftlicher Leiter er ist, sucht sein Team nach kausalen Zusammenhängen zwischen MNP und Dickdarmkrebs. Dazu untersuchen sie auch das Mikrobiom, also Veränderungen in der Darmflora. In Tierversuchen beobachteten sie bereits, wie die Plastikpartikel, die sie den Mäusen verfütterten, dazu führten, dass sich Entzündungen im Darm bildeten und beschleunigten – «und die wiederum stehen auch am Anfang einer Tumorentstehung», sagt Kenner. «Das ist noch kein Beweis, aber ein deutlicher Hinweis darauf, dass pathologische Phänomene stattfinden, die eine Tumorentstehung begünstigen können.»

Auch erste Resultate mit Tumorzellen von Patient:innen, die Plastikpartikeln ausgesetzt wurden, deuten darauf hin, dass sich Krebszellen leichter ausbreiten, wenn die Partikel vorhanden sind. Besonders heikel findet Kenner, dass die Partikel in den Tumorzellen verbleiben, sogar wenn sich diese teilen. Es ist ein weiteres Indiz dafür, dass Plastikpartikel Tumoren aggressiver machen könnten. Und das nicht etwa aufgrund besonders hoher Dosen an MNP, wie sie in toxikologischen Studien verwendet werden. «Wir arbeiten bewusst mit Konzentrationen, die wir täglich zu uns nehmen», sagt Kenner. «Denn bereits diese entsprechen einer relativ hohen Belastung. Entsprechend bestätigen uns die Daten darin, dass wir uns in einem Bereich bewegen, der bedenklich ist.»

Gefährliche chemische Additive

Noch gar nicht berücksichtigt ist dabei ein Faktor, der das Gesundheitsrisiko von Mikro- und Nanoplastik potenzieren dürfte: Den allermeisten Kunststoffen sind chemische Substanzen beigemischt, sogenannte Additive, die Plastik bestimmte Eigenschaften verleihen, es weicher, hitzebeständiger, wasserabweisend machen oder vor Oxidierung schützen. Im Mai hat das Unep, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, einen umfangreichen Report zu den Gefahren veröffentlicht, die von diesen Additiven ausgehen. Aus den über 13 000 Chemikalien haben die Autor:innen zehn Gruppen von Substanzen isoliert, die «besonders Anlass zu Sorge geben», weil sie sich aus dem Plastik lösen können und hochgiftig sind. Darunter Flammschutzmittel, UV-Stabilisierer und Phthalate, also Weichmacher, sogenannte PFAS, Bisphenole und polyzyklische Aromastoffe. Sie kommen in unzähligen Verpackungsmaterialien, Lebensmittelbehältern, Textilien, Haushaltsgeräten, Kinderspielzeug, Kosmetika und Medikamenten vor, also in Produkten, die wir täglich verwenden.

Natürlich existieren festgelegte Grenzwerte, Schwellen, unter denen eine Exposition als gesundheitlich unbedenklich gilt. Bloss sind die mitunter rasch um ein Vielfaches überschritten, wenn man berücksichtigt, aus wie vielen unterschiedlichen Quellen sie in unseren Körper gelangen und sich dort anreichern können. Manchmal genügen bereits einzelne Verpackungsmaterialien wie etwa beschichtete Konserven: Jüngst hat das Magazin «Öko-Test» in sämtlichen untersuchten Tomatendosen den Weichmacher Bisphenol A gefunden, und zwar in Konzentrationen, die bis zum 28-Fachen über dem gesetzlich erlaubten Grenzwert einer Tagesdosis für Erwachsene lagen. Gar um ein Vielfaches höher noch waren sie gemäss einer früheren Studie in Thunfisch und Kokosmilch aus Dosen.

Ein europäisches Biomonitoringprojekt, an dem auch die Schweiz beteiligt war, hat vergangenes Jahr Phthalate und PFAS im Blut oder im Urin von sämtlichen untersuchten Kindern und Jugendlichen nachgewiesen, laut Projektleiter:innen in teilweise gesundheitlich bedenklichen Mengen.

Bedenklich, weil praktisch alle Stoffe aus diesen Chemikaliengruppen als endokrine Disruptoren gelten: Sie stören Hormonhaushalt und Fettstoffwechsel und werden deshalb assoziiert mit krankhaftem Übergewicht, Diabetes und reduzierter Fruchtbarkeit. Manche sind nachweislich krebserregend oder stehen in Verdacht, neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer zu fördern.

Bedenklich, weil solche endokrinen Disruptoren mit den Plastikpartikeln nicht nur ins Blut, sondern direkt in die Zellen von Organen und Gewebe gelangen können, wie Lukas Kenner sagt. «Das konnten wir in unseren Experimenten erstmals schlüssig nachweisen. Dort bleiben sie unter Umständen ein Leben lang, womit auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass tatsächlich Krebs entsteht.»

Plastik und Impotenz

Bislang ging man davon aus, dass der Mensch Mikro- und Nanoplastik aus der Umwelt vor allem durch kontaminierte Fische und Meeresfrüchte, Meersalz und Wasser zu sich nimmt. Mittlerweile rückt der Abrieb von Autoreifen zunehmend in den Fokus. Er ist nämlich für den grössten Teil des Umwelteintrags von MNP verantwortlich – allein in der Schweiz beläuft er sich gemäss Bundesamt für Umwelt auf fast zwei Drittel. Und die zahlreichen chemischen Additive aus dem Reifenabrieb machen diese Partikel hochgiftig. Besonders im Visier steht eines der weltweit am häufigsten eingesetzten Additive, 6PPD, respektive das oxidierte 6PPD-Chinon, das beim Abrieb entsteht. An der US-Pazifikküste verursacht es immer wieder ein Massensterben unter Lachsen. Jüngst zeigten verschiedene Laborstudien, dass 6PPD-Chinon ins Gewebe von Tieren übergeht und von Kulturpflanzen wie Salat aufgenommen wird – von Menschen offenbar ebenso: In Südchina fand sich das Gift in sämtlichen Urinproben von 150 Proband:innen, am höchsten waren die Konzentrationen bei Schwangeren. Die Autor:innen der Studie zeigten sich alarmiert ob der möglichen Langzeitfolgen.

Langzeitfolgen? Die industrielle Produktion von Plastik hat in den 1950er Jahren abgehoben und wächst exponentiell. Seit der Jahrtausendwende hat sie sich weltweit mehr als verdoppelt, der Plastikkonsum hat sich in den vergangenen dreissig Jahren gar vervierfacht. Im selben Zeitraum haben sich Übergewicht, Diabetes und andere Krankheiten, die mit Stoffwechselstörungen und Entzündungsreaktionen in Zusammenhang stehen, epidemisch ausgebreitet. Auch die Fruchtbarkeitsrate der Männer sinkt, nicht nur in den industrialisierten Ländern, sondern weltweit, und das zunehmend rascher, wie eine kürzlich veröffentlichte Metastudie anhand von Konzentration und absoluter Zahl von Spermien nachweist: Die Fruchtbarkeit nimmt aktuell pro Jahr um 2,6 Prozent ab. «Wenn das so weitergeht, ist in gut zwanzig Jahren Ende Gelände», sagt Kenner und streicht hervor, dass auch diese Studie endokrine Disruptoren ins Zentrum stellt, das Wissen darum, dass diese mit Plastikpartikeln bis in die Zellen hineingelangen, aber noch gar nicht berücksichtigt. «So, wie die Produktion von Plastik zunimmt, werden auch die Probleme exponentiell zunehmen und als Bumerang mit massiven gesundheitlichen Folgen zurückkommen. Da rollt eine Lawine auf uns zu.»

Plastik markiert das Anthropozän

Auf Kenners Schreibtisch liegt ein Buch von Bruno Latour und Nikolaj Schultz, «Zur Entstehung einer ökologischen Klasse», in dem die beiden Soziologen darüber nachdenken, wie die Klimabewegung zu einer geschichtsmächtigen Kraft werden könnte (siehe WOZ Nr. 3/23). Darauf angesprochen, breitet Kenner beide Arme aus. «Man muss sich ja fast entschuldigen, wenn man heute das Optimieren kapitalistischer Produktionsprozesse kritisiert – aber die Frage ist doch, wie lange wir uns dieses Wachstumsdenken noch leisten können. Wir sehen doch, dass wir an die Grenzen kommen, und wenn wir diese überschreiten, gefährden wir das Leben auf diesem Planeten.»

Für ihn ist klar: Das globale Plastikproblem muss zusammen mit der Klimaerhitzung und den planetaren Grenzen gedacht werden. Er verweist auf die aktuell laufende Abstimmung in der internationalen geologischen Gesellschaft, die den Beginn des Anthropozäns auf die 1950er Jahre festlegen will und dabei dem Crawford Lake in Kanada eine Schlüsselrolle einräumt. Dort zeigen die Sedimentschichten besonders deutlich, wann und weshalb der Mensch zum bestimmenden Faktor der Erdgeschichte wurde: Sie verzeichnen Mitte der fünfziger Jahre einen deutlichen Spike an Plutonium, das sich dort als Folge der oberirdischen Wasserbombentests abgelagert hat. «Aber nicht nur Plutonium haben sie in dieser Schicht zum ersten Mal gefunden», sagt Kenner, «sondern auch Plastikpartikel.»

Komplex gestaltet sich zudem auch die Aufgabe, von Korrelationen zwischen epidemisch auftretenden Krankheiten und gesundheitlichen Auswirkungen von Mikro- und Nanoplastik zu kausalen Zusammenhängen zu gelangen. Als Arzt und Wissenschaftler engagiert sich Lukas Kenner auf allen Ebenen und Kanälen, um in Politik und Öffentlichkeit das Bewusstsein für die Gefährlichkeit von Plastik zu fördern. Dass in der jüngst veröffentlichten «Vancouver Declaration» der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine Resolution zur Verschmutzung durch Mikro- und Nanoplastik detailliert auflistet, wie die Probleme politisch und regulatorisch angegangen werden sollten, ist auch sein Verdienst. Trotzdem sagt Kenner:

«Wir können nicht warten, bis die Forschung genug Beweismittel gesammelt hat, sonst warten wir vielleicht noch hundert Jahre. Wir müssen jetzt aktiv werden.»

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

Förderverein ProWOZ unterstützen