Industrie: Die Unsicherheit wiegt schwerer

Nr. 32 –

Welche konkreten Folgen haben höhere Zölle in Regionen, die stark von der Industrie geprägt sind? Eine Umfrage im exportexponierten Kanton St. Gallen.

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Symbolbild: Aluminium-Lager
Quo vadis, Schweizer Aluminium? Foto: Ursula Häne

300 000 Schweizer Jobs! So viele seien durch die Zölle von Donald Trump gefährdet, wusste der «Tages-Anzeiger», kurz nachdem die Regierung in Washington den Zollsatz von 39 Prozent auf Schweizer Exporte in die USA verhängt hatte. Der Gewerbeverband stapelte etwas tiefer und sprach von «mehreren zehntausend Stellen», die gefährdet seien. SP-Nationalrat Eric Nussbaumer bezeichnet das Verdikt bereits als «historische Katastrophe», während die SVP Fifa-Chef Gianni Infantino zur Vermittlung ins Rennen schicken will – aus welchen Gründen auch immer.

So unterhaltsam das mediale Getöse bisweilen sein mag, so ernsthaft bleibt doch die Frage, wie gross der Schaden durch höhere Zölle für die Wirtschaft tatsächlich sein wird – und wer ihn am Ende wird tragen müssen. Antworten finden sich in den Regionen, wo die Exportabhängigkeit besonders hoch ist und die Spielräume bei der Preisgestaltung gering sind: etwa in der Ostschweiz, genauer im Kanton St. Gallen. Dessen Wirtschaft ist stark industriell geprägt und liegt mit einer Exportquote von 29 Prozent deutlich über dem Schweizer Durchschnitt von 21 Prozent. In Branchen wie dem Maschinenbau oder der Präzisionstechnik gehen teils über 90 Prozent der Produktion ins Ausland. Wichtigster Absatzmarkt ist die EU – allen voran Deutschland mit rund 30 Prozent der Gesamtexporte.

Die SFS Group mit Sitz in Heerbrug im Rheintal erzielt rund 90 Prozent ihres Umsatzes ausserhalb der Schweiz.* Die Firma produziert Präzisionskomponenten und Werkzeuge. Sie ist eines von Dutzenden Hochtechnologieunternehmen aus der Maschinen- und Elektrobranche, die im breiten Tal zwischen Alpstein und Österreich angesiedelt sind. Mit 150 Vertriebs- und Produktionsstandorten in 35 Ländern, darunter in den USA, sei SFS global breit aufgestellt und damit relativ gut gegen die Trump-Zölle gewappnet, führt Kommunikationschef Lukas Graf aus. Da SFS den Grossteil der in den USA verkauften Produkte auch dort fertige, sei der direkte Schaden vergleichsweise gering. «Die indirekten Effekte spüren wir jedoch durchaus.» Seit den ersten Zollankündigungen Trumps im April herrsche Verunsicherung. Investitionen würden aufgeschoben, Aufträge verzögert. Laut Graf wiegt diese Zurückhaltung für SFS deutlich schwerer als die Zölle selbst.

Auf andere Firmen in der Region könnten die Zölle jedoch einen direkteren Einfluss haben. Die Bühler Group, industrielles Flaggschiff des Kantons mit 2500 Mitarbeiter:innen allein in Uzwil, exportierte 2023 rund 29 Prozent ihrer Produkte nach Nord- und Südamerika. Für eine Stellungnahme war das Unternehmen nicht erreichbar.

Auf Sparpaket verzichten

«Ich möchte nicht den Teufel an die Wand malen», sagt Florian Kobler, Präsident des Gewerkschaftsbunds St. Gallen (SGB-SG) und SP-Kantonsrat, «doch die Gefahr besteht, dass in unserem Kanton am Ende Tausende Arbeitnehmende unter die Räder kommen.» Schon vor Donald Trumps aktuellem Entscheid habe die Ostschweizer Industrie aufgrund der erratischen US-Zollpolitik unter erheblichem Druck gestanden. Wegen der anhaltenden Unsicherheit fordert der SGB-SG Massnahmen zum Schutz der Arbeitsplätze sowie den Verzicht auf ein geplantes 180-Millionen-Sparpaket der St. Galler Regierung. In der aktuellen Situation sei ein solches «unverantwortlich», so Kobler. Denn es treffe unter anderem jene, die nun auch unter den Folgen der Zölle leiden könnten.

Der St. Galler Volkswirtschaftsdirektor Beat Tinner gibt sich im Gegensatz zu Kobler gelassen. Er gibt zu bedenken, dass die Exporte des Kantons in die EU dreimal so hoch seien wie jene in die USA. Deshalb seien geordnete Beziehungen zur EU essenziell. Hochtechnologiebetriebe wie Bühler oder Zulieferer der Rüstungsindustrie würden die Zölle bestimmt spüren – doch Panik sei fehl am Platz. Auch Tinner weist darauf hin, dass sich die Zurückhaltung der US-Kund:innen seit Monaten bemerkbar mache. «Für staatliche Massnahmen ist es jedoch zu früh, am Sparpaket wird nicht gerüttelt», sagt der Volkswirtschaftsdirektor. Man müsse zuwarten, wie sich die Lage entwickle.

SGB-Chef will abwarten

Wie sieht die Lage auf gesamtschweizerischer Ebene aus? Hier mahnt auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) zur Ruhe. So beunruhigend die Ankündigung für Exportindustrie und Beschäftigte auch sei, jetzt brauche es Nüchternheit und Analyse statt Alarmismus. SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard sagt: «Die Situation ist ernst, aber es ist zu früh, von 300 000 gefährdeten Jobs zu sprechen.» Eine parlamentarische Initiative zur Verlängerung der Kurzarbeitsentschädigung auf 24 Monate liege bereits vor. Nun heisse es abwarten.

Mag die Lage auch nicht ganz so dramatisch sein, wie medial suggeriert wird – das Risiko bleibt, dass sie von den Wirtschaftsverbänden politisch ausgeschlachtet wird. Bereits am Sonntag nutzte Marco Taddei, Ressortleiter Internationales beim Arbeitgeberverband, die Gunst der Stunde: Im Westschweizer Radio RTS sprach er sich gegen zwei Mindestlohninitiativen im Kanton Waadt aus – in dieser unsicheren Situation sei der Zeitpunkt dafür ungeeignet. Wie genau Mindestlöhne in Tieflohnbranchen wie dem Detailhandel oder dem Reinigungsgewerbe mit Zöllen für den Hochtechnologiesektor zusammenhängen sollen, liess Taddei allerdings offen.

* Korrigenda vom 8. August 2025: In der Printversion sowie in der ursprünglichen Onlineversion hiess es fälschlicherweise, die SFS-Group verfüge über einen Exportanteil von 90 Prozent.