Iran: Die nächste Marionette?
Nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi sucht Revolutionsführer Ali Chamenei einen Nachfolger, der ihm nicht gefährlich werden kann.
Kein Grund zur Sorge. Alles wird seinen gewohnten Gang nehmen. Noch bevor der Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi am letzten Sonntag nach einem Helikopterabsturz bestätigt wurde, liess ein entspannter Revolutionsführer Ali Chamenei in einer Rede wissen, dass sich für das Land durch eine derartige Tragödie nichts ändern werde. Man solle für Raisi und die anderen Insassen beten. Inschallah, würden sie wohlauf sein. Sie waren es nicht.
Raisi war am Sonntag zusammen mit Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian auf der Rückreise von einem Treffen mit dem Präsidenten von Aserbaidschan, İlham Aliyev, als die Maschine plötzlich vom Radar verschwand. Gemeinsam hatten sie im iranisch-aserbaidschanischen Grenzgebiet einen Staudamm eingeweiht. Mit drei Helikoptern machte sich die Delegation auf den Rückweg, doch die Präsidentenmaschine kam nicht an ihrem Bestimmungsort an. Erst nach stundenlanger Suche fand man das ausgebrannte Wrack im bergigen Gelände nahe der iranischen Stadt Dscholfa. Raisi und die weiteren acht Insassen waren tot.
Ein plötzlich verunglückter Präsident ist überall eine Staatsaffäre. In der Islamischen Republik geht man etwas anders an die Sache heran. Insbesondere seitens des Revolutionsführers Chamenei, der schliesslich die oberste Autorität im Land ist. Sein Tod würde Chaos bedeuten, der des Präsidenten ist eher eine administrative Unannehmlichkeit. Wieder muss Chamenei via Scheinwahl jemanden aus seinem engsten Machtzirkel in das Amt hieven, der ihm und seinen Vorstellungen für die eigene Nachfolge im Fall seines Ablebens nicht gefährlich werden kann.
Ebrahim Raisi war Chameneis Wunschkandidat für das Präsidentenamt gewesen. Ein loyaler Hardliner, der im Gegensatz zu seinen Vorgängern Hassan Rohani, Mahmud Ahmadinedschād und Mohammad Chātami keine Widerworte gab. Mit Raisi hatte Chamenei ab 2021 eine farblose und wenig eloquente Marionette im Amt. Es wurde schon gemunkelt, dass man Raisi als nächsten Revolutionsführer vorbereiten wolle.
In der iranischen Bevölkerung war Raisi verhasst. Man nannte den Mullah nur den «Ajatollah der Massenhinrichtungen». Geschuldet ist der Beiname seiner Vergangenheit. Als junger Staatsanwalt war er Teil eines vierköpfigen Komitees, das die Todesurteile für die Massenhinrichtungen in den achtziger Jahren aussprach. Auch im Alter sollte er nicht gnädiger werden. Als Justizchef und später als Präsident liess er Proteste brutal niederschlagen. Nicht umsonst haben Iraner:innen in einigen Städten gefeiert, getanzt und Feuerwerke gezündet, als sie die Nachricht vom Helikopterunfall hörten.
Mit Raisis Tod werden die Karten neu gemischt. Fünfzig Tage nach seinem Tod sollen Neuwahlen stattfinden. Einige Kandidaten bringen sich bereits in Position. Als möglicher Nachfolger wird der Revolutionsgardist Mohammad Bagher Ghalibaf genannt, der einstige Bürgermeister Teherans und seit 2020 Parlamentspräsident. Er war schon mehrfach im Rennen um das Amt. Ihm werden grosse Ambitionen (und viel Korruption) nachgesagt. Vielleicht zu grosse für Revolutionsführer Chamenei? Würde ein ehrgeiziger Präsident die Nachfolge für die wichtigste Position in der Islamischen Republik in Chameneis Sinn regeln?
Ein Name taucht seit Jahren immer wieder auf, wenn vom nächsten Revolutionsführer die Rede ist: Modschtaba Chamenei, 55-jähriger Sohn des amtierenden Revolutionsführers. Den Sohn auf den Vater folgen zu lassen, ist ein heikles Unterfangen, war doch der alte Chamenei immer bestrebt zu betonen, dass es in der Islamischen Republik keine Erbdynastie gebe. Keinen König, keinen Kronprinzen. Mit Modschtaba Chamenei als neuem Revolutionsführer würde eine Art monarchistische Tradition fortgesetzt, die man ja 1979 mit der Revolution abgeschafft hat.
Der junge Chamenei hält sich bislang bedeckt. Der Mann, der im Geheimdienst und im Sicherheitsapparat des Iran seine Machtbasis hat, tritt selten an die Öffentlichkeit. Mit dem plötzlichen Tod seines möglichen Rivalen sind nun alle Scheinwerfer auf ihn gerichtet.