Notizen einer Revolution (3): Wo Zweifel sind, entstehen Risse
Solmaz Khorsand über Säuberungen im iranischen Regime, das immer nervöser auf die anhaltenden Proteste reagiert.
Die Revolution frisst ihre Kinder: Die Weisheit ist so abgedroschen wie wahr für die Islamische Republik, machen die Machthaber im Iran doch seit der Revolution von 1979 nichts anderes.
Stolz sind sie auf diesen Appetit. Nicht umsonst beschwört Revolutionsführer Ali Chamenei auch heute den mörderischen Geist der Anfangstage, wenn er in seinen Reden Dinge sagt wie: «Der Gott von 2022 ist derselbe wie jener von 1980.» Damals begann das Regime, die «Feinde» der Revolution zu Tausenden zu verfolgen und zu exekutieren. Auch jene aus den eigenen Reihen.
Das tut es nun wieder: Letzten Samstag wurde Aliresa Akbari hingerichtet. Und Akbari ist nicht irgendwer, kein einfacher junger Mann ohne Kontakte zum inneren Zirkel der Macht, den man mal einfach so aufklaubt bei einer Demonstration, in einem Schauprozess verurteilt und dann exekutiert. Akbari war Politiker, Berater bei den Atomverhandlungen und der ehemalige Stellvertreter des einstigen Verteidigungsministers Ali Schamchani.
Drei Jahre war der iranisch-britische Doppelbürger inhaftiert, bis er wegen des Vorwurfs der Spionage für den britischen Geheimdienst MI6 zum Tod verurteilt wurde. Es ist ein Signal an die internationale Community: «Seht her, wir können auch eure Staatsbürger umbringen!» In erster Linie ist es aber ein Signal an die eigenen Leute: «Obacht! Es kann jeden treffen, egal wie wichtig er ist oder einmal war.»
Das Regime braucht diese Art der Machtdemonstration, denn es ist nervöser denn je. Seit Beginn der Proteste vor vier Monaten ächzt die Maschinerie in ungewohnter Manier. Zu zaghaft verurteilt die Elite die Demonstrant:innen. Sowohl Geistliche als auch Sicherheitskräfte sind verdächtig zurückhaltend – so sehr, dass Präsident Ebrahim Raisi sie schon öfter gemahnt hat, doch mal vorzutreten und die Loyalität zur Islamischen Republik etwas lauter gegen die «Unruhestifter» zu artikulieren.
Zu oft tauchten auch Berichte von Regimeschergen auf, die sich ob der Hartnäckigkeit und Furchtlosigkeit der jungen Generation überrascht, gar besorgt zeigten. Zuletzt gab etwa Hamid Abasari, ein Kommandant der Revolutionsgarden, der Eliteeinheit des Iran, bei einer Rede zu verstehen, dass unter seinen Leuten grosse Verunsicherung herrsche: «Selbst ich als Kommandant weiss nicht, was morgen geschieht. Ich weiss von grossen Kommandanten, die nicht mehr wollten und konnten.»
Das sind nicht die Töne, die ein Regime, das sich auf der richtigen Seite der Geschichte gegen «diese Agenten des Auslands» wähnt, unters Volk bringen will. Lassen sie doch nicht nur eine Verunsicherung durchblicken, sondern auch Zweifel aus dem Innersten. Und wo Zweifel, da Risse.
Akbaris Hinrichtung hatte zudem einen konkreten Adressaten: seinen ehemaligen Vorgesetzten Ali Schamchani, einen der Gründer der Revolutionsgarden und heute Chef des Obersten Sicherheitsrats. Er hat unter «moderaten» Präsidenten wie Mohammad Chātami und Hassan Rohani politisch Karriere gemacht – während er für Hardliner immer ein rotes Tuch war. In den vergangenen Monaten forderten sie lautstark seine Absetzung, nicht zuletzt auch, weil er versucht hat, versöhnliche Töne gegenüber der Protestbewegung anzustimmen.
Ein No-Go in dieser Position. In jeder Position, wenn die offizielle Order «Keine Gnade» lautet. Revolutionsführer Chamenei will die Reihen schliessen – und agiert dabei paranoider als bisher. Nicht umsonst hat er das politische System, das trotz seines diktatorischen Charakters bislang aus konkurrierenden Fraktionen bestand, spätestens seit den Parlamentswahlen 2020 fast vollständig homogenisiert. Nur noch die Loyalsten der Loyalen sind zugelassen.
Die jüngste Bestellung von Ahmad-Resa Radan zum Polizeichef ist ein weiteres Indiz dafür. Radan zählt zu den brutalsten Fanatikern des Regimes, bekannt geworden durch die Niederschlagung der Proteste 2009, als Tausende wegen Wahlfälschung auf die Strasse gegangen waren. Mit einem wie ihm lässt sich der Geist von 1980 definitiv am Leben erhalten. Bis am Ende keiner mehr übrig bleibt.
Solmaz Khorsand (37) lebt in Wien und ist Journalistin (unter anderem für die «Republik»), Buchautorin und Podcasterin. 2021 erschien ihr Buch «Pathos» bei Kremayr & Scheriau.