Präsidialwahl im Iran: Zig Schattierungen von konservativ
Letztlich entscheidet die konservative oberste Führung des Iran, ob Hassan Rohani weiterregieren kann. Ein Rückblick auf die letzten vier Jahre des «Reformpräsidenten».
Was für eine Euphorie hat Hassan Rohani hervorgerufen, als er vor vier Jahren die Regierung übernahm! Er hatte versprochen, das Land zu öffnen und eine Aufhebung der Sanktionen zu erreichen, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Im Innern kündigte er mehr Freiheiten an, vor allem für die Jugend. Eine neue Epoche schien angebrochen zu sein.
Von all dem ist nach vier Jahren kaum noch etwas zu spüren. Als einzigen Erfolg kann Rohani das Atomabkommen vorweisen. Warum erreichte der Präsident nicht mehr? Konnte er nicht, oder wollte er nicht?
Ohne Freiheit kein Fortschritt
Rohani gehört zu den Urgestalten der Islamischen Republik, er ist ein Geistlicher, der sich dem System des Welajate Faghieh (der Herrschaft der Geistlichkeit) verbunden fühlt. Er scheint aber auch klug genug zu wissen, dass eine allzu strenge Machtausübung gegenüber dem nach Freiheit und Veränderung dürstenden Volk die islamische Ordnung gefährden würde. Ohne Freiheit könne es keinen Fortschritt geben, sagte er kürzlich. Nein, eine säkulare Gesellschaft will er nicht, sondern nur Reformen innerhalb des bestehenden Systems. Er weiss, dass er keinen Aufschwung erzielen kann ohne Öffnung nach aussen, die Investoren ins Land bringt, und er weiss, dass er vor allem der Jugend eine Perspektive bieten muss.
Ja, Rohani will Reformen, kann sie aber nicht durchsetzen. Der Spielraum des Präsidenten ist sehr begrenzt. Ihm stehen mächtige Instanzen gegenüber, die sich in der Hand der Konservativen und Ultrakonservativen befinden und die völlig andere gesellschaftliche Vorstellungen als die Reformer haben. Während diese eher pragmatisch denken, hat für die Gegenseite die Ideologie, die auf einer fundamentalistischen Lesart des Islam basiert, oberste Priorität. Auch die Konservativen wollen technischen Fortschritt, aber die Feindschaft zum Westen, die zu den Säulen dieser Ideologie gehört, soll aufrechterhalten werden. Ihr unlösbarer Widerspruch liegt darin, dass sie einerseits einen wirtschaftlichen Aufschwung anstreben, andererseits eine Öffnung nach aussen jedoch ablehnen. Denn nicht ganz zu Unrecht befürchten sie, der Einzug ausländischer Unternehmen ins Land würde eine politische und kulturelle Unterwanderung zur Folge haben.
Äussere Einflüsse dringen ins Land
Tatsächlich wird die fundamentalistische Ideologie längst durch äussere Einflüsse unterhöhlt. Die Justiz, die Sicherheitskräfte, der Wächterrat, die Revolutionsgarden und der mit nahezu unbegrenzter Macht ausgestattete Revolutionsführer versuchen alles, um diesem Prozess Einhalt zu gebieten. Sie filtern soziale Netzwerke im Internet, verstärken die Zensur der Presse, der Literatur und der Kunst. Doch es ist kaum möglich, das Atomprogramm weiterzuentwickeln, ballistische Raketen zu bauen, moderne Massenmedien zur Verbreitung der eigenen Ideologie zu nutzen und gleichzeitig der Bevölkerung die Nutzung moderner Kommunikationsmittel zu untersagen.
Es ist absurd, wenn der Revolutionsführer und der Präsident eifrig Facebook und Twitter nutzen, den BürgerInnen dies aber verboten wird, wohlwissend, dass das Verbot millionenfach ignoriert wird. Vermutlich werden in keinem Land der Welt die von der Macht gezogenen roten Linien so häufig überschritten wie im Iran. Die Islamische Republik führt ein Zwitterdasein, das die Menschen zur Schizophrenie zwingt.
«Ajatollah Mörder»
Bei der Präsidentschaftswahl am 19. Mai stehen sich im Wesentlichen zwei Lager gegenüber: die Islamisten und die Reformer. Beide Lager wollen die Islamische Republik erhalten, aber ihre Wege laufen in entgegengesetzte Richtungen. Unter Rohanis Mitbewerbern werden Ebrahim Raisi die grössten Chancen eingeräumt. Der erzkonservative Geistliche war bis vor einem Jahr kaum bekannt, obwohl er wichtige Posten in der Justiz innehatte. Prominenz erlangte er erst, als ihn Revolutionsführer Chamenei zum Verwalter der einflussreichen religiösen Stiftungen in der Pilgerstadt Maschad ernannte. Manche deuteten dies als ein Zeichen dafür, dass er zum Nachfolger Chameneis gewählt werden soll.
Doch der Gottesmann hat grosse Sünden begangen. Er gehörte zu jenem Trio, das 1988 von Ajatollah Chomeini beauftragt wurde, über das Schicksal Tausender politischer Gefangener zu entscheiden. Rund 6000 Gefangene wurden in Schnellgerichten zum Tod verurteilt. Raisi war auch an der brutalen Niederschlagung der Massenproteste gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad 2009 beteiligt. Die Opposition hat ihm den Titel «Ajatollah Mörder» verliehen.
Vermutlich werden Raisi und Rohani in die Stichwahl kommen. Nicht unwichtig für den Ausgang der Wahl sind auch die Stellungnahmen Chameneis. Er betont zwar immer wieder, er werde sich nicht in Angelegenheiten der Wahl einmischen, sparte jedoch zuletzt nicht mit Kritik an der Regierung Rohani. Das iranische Volk schaut dem Treiben ohnmächtig zu. Die WählerInnen werden sich am 19. Mai für den Kandidaten entscheiden, den sie als das kleinere Übel betrachten, nicht wenige werden die Wahl boykottieren.
Bahman Nirumand (80) ist ein iranisch-deutscher Germanist, Iranist und Autor.