Wahlen im Iran: «Das Land will den Atomdeal»
Nächste Woche stehen im Iran Präsidentschaftswahlen an – gewinnen wird ein Hardliner. Aber ein Ultrakonservativer an der Spitze müsse noch keinen Abbruch der Wiener Atomgespräche bedeuten, sagt Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.
WOZ: Frau Amirpur, am 18. Juni finden im Iran Präsidentschaftswahlen statt. Es kandidieren fünf Ultrakonservative und zwei unbekannte, chancenlose Moderate. Anders als bei früheren Wahlen sind keine ernsthaften reformorientierten Kandidaten zugelassen. Warum?
Katajun Amirpur: Die Wahlen waren ja nie frei gewesen, trotzdem hat es solch eine Entwicklung in den vergangenen vierzig Jahren in der Islamischen Republik nicht gegeben. Der Iran steuert immer mehr auf eine Diktatur zu, die nicht einmal mehr den Schein wahren möchte, dass sie der Bevölkerung eine Alternative lässt und über eine Legitimation verfügt. Bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen haben die Kandidaten des Establishments gegen den sogenannten Reformer Hassan Rohani verloren. Es bestand daher die Befürchtung, dass moderate Politiker wie Ali Laridschani, der Exparlamentspräsident, eine zu grosse Konkurrenz für den eigenen Wunschkandidaten sein könnten. Deshalb hat man sie gar nicht erst zugelassen. Damit ist der Ausgang der Wahl eigentlich schon klar: Es scheint auf Ebrahim Raisi, den ultrakonservativen Chef des Justizsystems hinauszulaufen.
Was zeichnet den Kleriker Raisi aus Sicht des Establishments aus?
Raisi ist unter den Konservativen der bekannteste und kann somit die grösste Wählerschaft mobilisieren. Er wird zudem vom schwerkranken Revolutionsführer Ali Chamenei gestützt, der höchsten politischen und geistlichen Instanz im Land, und als dessen Nachfolger gehandelt. Raisi trägt den schwarzen Turban, er gilt also als Nachfolger des Propheten Mohammed und erfüllt damit eine weitere an einen Revolutionsführer gestellte Voraussetzung. Um bei Chameneis Todesfall ein Machtvakuum zu verhindern, wird Raisi jetzt in Stellung gebracht.
In den achtziger Jahren war Raisi als Teheraner Staatsanwalt an Massenexekutionen von Unterstützern und Sympathisanten der militanten oppositionellen Volksmudschaheddin beteiligt. Was könnte sich unter ihm oder einem anderen Hardliner für die Gesellschaft verändern?
Anders als oftmals im Ausland angenommen, hat sich unter Rohani nicht so viel verändert. Auch er ist Teil des Establishments, nur ist er offener aufgetreten. Aber Chamenei und Rohani waren sich in der politischen Ausrichtung immer einig. Rohani hat nur geringe gesellschaftliche Freiheiten eingeführt; es gibt zum Beispiel in seiner Politik gegenüber der Opposition keinen massiven Unterschied zu seinem Vorgänger, Mahmud Ahmadinedschad. Allerdings wurden Cafés eröffnet, es gab wieder eine lebendige Theaterszene, man konnte im Auto laut Musik hören. Damit sich keine Wut entlädt, sind auch die Erzkonservativen bereit, solche persönlichen Freiheiten zu gewähren.
Seit den Wahlen vom vergangenen Jahr stellen die Hardliner auch im Parlament die Mehrheit. Wird es also demnächst für die politische und zivile Opposition noch enger?
Für die politische Opposition war es schon schlimm, und es wird schlimm bleiben. Im Vergleich zu Ahmadinedschads Amtszeit hat sich unter Rohani die Zahl der Hinrichtungen nicht wesentlich verändert. Ohnehin wird die Opposition vom Wächterrat systematisch ausgeschaltet. Das ist ja auch bei den Parlamentswahlen geschehen. Zudem blutet die Zivilgesellschaft seit Jahren aus, was auch an den Sanktionen des früheren US-Präsidenten Donald Trump liegt. Diese haben die Bevölkerung äusserst hart getroffen. Selbst ein Universitätsprofessor braucht heute Zusatzjobs, um seine Familie ernähren zu können. Dann denkt man abends nicht mehr an gesellschaftliche Opposition. Solche Leute gehen vielleicht noch auf die Strasse, wenn die Benzinpreise erhöht werden.
Weshalb ist es Rohani in zwei Amtszeiten nicht gelungen, die marode Wirtschaft des Landes zu stabilisieren?
Rohani hat von Ahmadinedschad ein wirtschaftlich desolates Land übernommen. Er war aber auf gutem Weg, sein wichtigstes Versprechen – eine ökonomische Sanierung – umzusetzen. Doch dann stiegen die USA 2018 einseitig aus dem Atomvertrag aus, und die damit zusammenhängenden Sanktionen verhinderten einen möglichen wirtschaftlichen Aufschwung.
Seit April wird in Wien wieder über eine Rückkehr der USA in das Atomabkommen verhandelt. Die ultrakonservativen Präsidentschaftskandidaten im Iran fordern einen Abbruch der Gespräche. Wie gross ist das Interesse der iranischen Führung, das Abkommen fortzuführen?
Die Bereitschaft zu konstruktiven Atomgesprächen ist weiter da. Rohani ist bis September im Amt, und es ist möglich, dass es bis dahin eine Vereinbarung gibt. Dass sein Nachfolger anschliessend alles zunichtemacht, halte ich für unwahrscheinlich. Die entscheidende Instanz ist ohnehin nicht der Präsident, sondern der Nationale Sicherheitsrat, in dem Chamenei die entscheidende Stimme ist. Und der will den Atomdeal.
Washington und Teheran fordern beide, dass jeweils die Gegenseite einen ersten Schritt macht, um das Abkommen zu retten. Wie lässt sich diese Pattsituation lösen?
Indem beide Seiten den ersten Schritt gleichzeitig machen. Oder indem Washington als Zeichen des guten Willens die mehreren Dutzend Milliarden US-Dollar von Iranern und Iranerinnen freigibt, die auf ausländischen Konten blockiert sind. Diese stammen aus bereits verkauftem Öl. US-Präsident Joe Biden behauptete im Wahlkampf, dass er das Atomabkommen fortführen wolle. Aus Sicht Teherans hätte er als Zeichen der Bereitschaft diese Gelder freigeben können. Ausnahmsweise glaube ich der iranischen Regierung, dass dieses Geld nicht etwa für die Unterstützung der Hamas gebraucht würde, sondern für den Kauf von dringend benötigten Coronaimpfstoffen. Im Iran sind erst 1,5 Prozent der Bevölkerung geimpft.
Warum gibt Biden dieses Geld nicht frei?
Weil er innenpolitisch sowohl von Republikanern als auch von einigen Demokraten unter Druck steht. Ausserdem ist das Misstrauen gegenüber dem Iran noch immer sehr gross. Das Land ist für eines der grössten Traumata der US-Amerikaner verantwortlich: die Besetzung der US-Botschaft in Teheran 1979. Aber auch auf der iranischen Seite gibt es ein Trauma. Die US-Amerikaner stürzten 1953 Mohammed Mossadegh, den einzigen jemals demokratisch gewählten Ministerpräsidenten des Iran. Trump spielte mit seiner Vertragskündigung den iranischen Hardlinern in die Hände, die immer vor den USA gewarnt hatten, denen man nicht trauen könne.
Die Hardliner sind für ihre antiwestliche Haltung bekannt – wird sich der aussenpolitische Kurs unter einem neuen Präsidenten ändern?
Der Iran wendet sich schon seit längerem dem Osten zu, Richtung China und Russland. Das wird das Regime weiter tun, es bleibt ihm angesichts der amerikanischen Politik gar nichts anderes übrig. Gleichzeitig wird es sich aber auch an die Abmachungen des Atomvertrags halten, damit endlich die Sanktionen aufgehoben werden.
Im Streit um das Atomabkommen sendet das Regime widersprüchliche Signale aus. Zwar wird in Wien verhandelt, doch kürzlich wurde auch publik, dass Teheran nun über Uran mit einem Reinheitsgrad von sechzig Prozent verfügt. Erlaubt sind laut Abkommen weniger als vier Prozent. Teheran argumentiert, es brauche dieses Uran für medizinische Zwecke. Halten Sie das für glaubwürdig?
Laut Regierung wird dieses Uran für die Strahlenbehandlung von Krebspatienten benötigt, was ich für eine logische Erklärung halte. Wenn das Uran dafür einmal eingesetzt wurde, dann ist es weg. Man kann es also nicht mehr umwandeln in waffenfähiges Uran. Ausserdem hat man auf sechzig Prozent angereichert, um den Druck zu erhöhen und eine bessere Verhandlungsposition zu haben. Aber selbst wenn das Regime auf neunzig Prozent angereichertes Uran hätte, das man für eine Atombombe braucht, dann würden immer noch die Sprengköpfe fehlen. Die hat der Iran nicht. Sogar der US-Geheimdienst ist der Meinung, dass das Land nicht an der Bombe baut. Der Iran ist dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten, die zivile Nutzung ist ihm erlaubt. Dass US-Politiker und einige Europäer wollen, dass das Regime das komplett einstellt, ist Unsinn. Man will dem Land etwas verbieten, wozu es ein Recht hat.
Katajun Amirpur (50) ist Professorin für Islamwissenschaften an der Universität zu Köln. Im Februar erschien ihr Buch «Khomeini. Der Revolutionär des Islam» bei C.H. Beck.