Konsumentenforum: Schweinezüchter im Schafspelz

Nr. 19 –

Das Konsumentenforum behauptet, für Verbraucher:innen einzustehen, doch Agrar- und Wirtschaftsverbände dominieren den Verein. Trotzdem erhält er vom Bund Subventionen für «objektive und fachgerechte Informationen».

Diesen Artikel hören (9:18)
-15
+15
-15
/
+15
elektronische Plakatwand mit dem «Nuggikampagne»-Plakat im Zürcher Hauptbahnhof
Wer möchte solche Plakate im öffentlichen Raum nicht verbieten? An der «Nuggikampagne» ist auch das Konsumentenforum beteiligt.

Seit Wochen blicken wütende Erwachsene mit bunten Nuggis von Schweizer Plakatwänden auf Passant:innen herab. Sie warnen vor drohenden Verboten von Gummibärchen, Werbeplakaten oder Steaks. Das Komitee hinter der Kampagne beklagt, der Staat behandle «mündige Bürger wie Babys». Konkrete Beispiele für die staatliche Entmündigung finden sich auf seiner Website: Beschränkung von Werbeplakaten, Tempo 30 in Wohnquartieren und Plastikdeckel, die fix an PET-Flaschen befestigt sind.

Hinter der Kampagne stehen die Wirtschaftsverbände Gastrosuisse, Swiss Retail Federation, Schweizerischer Gewerbeverband – und das Konsumentenforum (KF). Letzteres gibt vor, für die Konsument:innen zu sprechen, die dank seiner «sachlichen Informationen durch die Konsumgesellschaft navigieren».

Auf die Teilnahme an der Kampagne angesprochen, sagt KF-Präsidentin Babette Sigg Frank: «Wir brauchen schlanke, klare Regeln und Rahmenbedingungen, aber nicht immer mehr neue Regulierungen und Verbote.» Was sie nicht sagt: Ihr Verein ist gar kein Sprachrohr der Konsument:innen, sondern eine Tarnorganisation der Gegenseite. Auf der Mitgliederliste finden sich etwa der Schweinezüchterverband Suisseporcs und der Fleischlobbyverein Carnalibertas. Im Vorstand des Konsumentenforums sitzt zudem auch Susanne Staub – beratendes Mitglied des Verwaltungsrats von Proviande, dem Dachverband der Fleischindustrie.

Bürgerliche Dominanz im Beirat

Das Konsumentenforum geriet wegen Lobbyarbeit bereits früher in die Schlagzeilen. Der WOZ liegen nun interne Protokolle von Mitgliederversammlungen vor, die belegen, wie stark der Verein von Wirtschaftsverbänden dominiert wird: Die 36 «Kollektivmitglieder» – Organisationen aus Landwirtschaft, Handel und Industrie – überwiegen mit ihren jeweils fünf Stimmen an den Versammlungen fast immer deutlich. Ihnen stehen bloss 185 Einzelmitglieder gegenüber, von denen meist nur eine Handvoll an den Versammlungen teilnehmen. Zum Vergleich: Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) zählt über 25 000 Mitglieder.

Die Beteiligung an der Nuggikampagne zeigt, wie weit sich das Konsumentenforum von der Konsument:innenvertretung entfernt hat. Gegründet wurde der Verein 1961 als «Konsumentinnenforum» auf Initiative des Bundes Schweizerischer Frauenvereine. Er verstand sich als Stimme für Haushaltsführende, die mittels Produkttests und Deklarationen informiert werden sollten, um bessere Kaufentscheide fällen zu können. Zudem sollten Konsumentinnen in Politik und Wirtschaft vertreten werden.

In der aufkommenden Konsumgesellschaft des Nachkriegsbooms stiess das Anliegen auf grosse Resonanz. Doch in den neunziger Jahren verlor der Verein an Einfluss: Die später gegründeten Vereinigungen für Konsumentenschutz, aber auch kommerzielle Konsument:innenzeitschriften setzten dem KF zu. Um neue Kreise zu erschliessen, wurde der Name 1998 vermännlicht. Aber auch als «Schweizerisches Konsumentenforum» blieb der Erfolg in Konsument:innenkreisen überschaubar.

Parallel zum Bedeutungsverlust öffnete sich der Verein für Wirtschaftsverbände. Als Babette Sigg Frank 2013 das KF-Präsidium übernahm, verstärkte sie diese Ausrichtung. Die damalige Präsidentin der CVP-Frauen etablierte einen politischen Beirat, der ausschliesslich mit Vertreter:innen bürgerlicher Parteien besetzt wurde. Damit brach sie auch mit der zuvor beschworenen parteipolitischen Neutralität.

Machtausbau der Präsidentin

Unter den aktuellen Einzelmitgliedern finden sich zahlreiche Vertreter:innen aus Wirtschaftsverbänden und Firmen, wie die Protokolle belegen. Einer von ihnen ist Rudolf Horber, ehemaliger Chefökonom des Gewerbeverbands (SGV). Er verfasste im Jahr nach Sigg Franks Machtübernahme ein SGV-Positionspapier. Darin heisst es: Durch die Stärkung des Konsumentenforums müsse das «Quasimonopol der interventionistischen» Konsumentenschützer gebrochen werden.

Sigg Frank konsolidierte ihre Macht nach Amtsantritt. Sie legte Präsidium und Geschäftsführung in ihrer Person zusammen. Die Statuten wurden revidiert und die Amtszeitbeschränkung für den Vereinsvorstand abgeschafft. Dieser kann seither unliebsame Mitglieder eigenhändig ausschliessen. Sigg Frank verteidigt dies gegenüber der WOZ: «Die aktuellen Statuten sind nach wie vor gesetzeskonform und erlauben eine zeitgemässe Vereinsführung. Die Welt verändert sich.»

Das Protokoll der Mitgliederversammlung 2019 zeigt aber, dass die geplanten Änderungen zu Spannungen führten: «Nach zeitraubenden Diskussionen stellt die Präsidentin die Diskussion resolut ein.» Sie verschiebe die Statutenänderung «kurzerhand» auf die nächste Versammlung, heisst es dort. Erst 2021 wurde die Machterweiterung des Vorstands mit 37 Stimmen angenommen. Anwesend sind laut Protokoll: sieben Kollektivmitglieder mit gemeinsam 35 Stimmen und nur fünf einfache Mitglieder.

Mit der Agrarlobby zum Erfolg

Im Protokoll von 2019 nennt Sigg Frank auch ihre künftigen Absichten mit dem Konsumentenforum: Es sei schwierig, neue Einzelmitglieder zu gewinnen. Die Strategie sehe vor, mehr Gewicht auf «Partner» zu legen – sprich: Verbände und Firmen.

Mit dieser Strategie errang das KF dann auch Erfolge: Gemeinsam mit der Agrarlobby bekämpfte es 2021 erfolgreich zwei Initiativen, die den übermässigen Einsatz von Pestiziden einschränken wollten. Sigg Frank stärkte in der SRF-Arena Markus Ritter, dem Präsidenten des Bauernverbands, den Rücken. Im «Club» des Schweizer Fernsehens sagte sie als KF-Vertreterin: «In der neusten Menschheitsgeschichte hatten wir noch nie so sichere Produkte und so sauberes Wasser. Das ist auch das Verdienst unserer Landwirtschaft und unserer Industrie.» Im selben Jahr gewann das Konsumentenforum sechs Agrarverbände als Mitglieder.

Die politische Linie hat sich seither weiter akzentuiert: 2024 beteiligte sich das KF an mehreren Vernehmlassungen und positionierte sich dabei gegen ein Importverbot für Pelze sowie gegen die Biodiversitätsinitiative. Auch beim Gesundheitswesen dominierten Firmeninteressen: Im Komitee mit Economiesuisse und Interpharma unterstützte das KF die Efas-Vorlage zugunsten der Krankenkassen. Und es lehnte einen besseren Arbeitsschutz in der Pflege ab. Im März 2025 plädierte es dafür, dass neue Atomkraftwerke gebaut werden dürfen.

Der Bund forderte Geld zurück

In Agrar- und Wirtschaftsfragen vertritt das KF fast immer Standpunkte, die im Widerspruch zu denjenigen von Konsument:innenschutzorganisationen stehen. Dennoch wird Sigg Frank in den Medien weiterhin als Konsument:innenvertreterin befragt. Auf Kritik an ihrem Lobbyismus entgegnet sie: «Hinter diesem Vorwurf steckt das Narrativ vom guten linken Konsumentenschutz und der bösen Wirtschaft.» Das KF sehe sich als liberale Vermittlerin zwischen Wirtschaft und Konsumenten, sagt Sigg Frank.

Trotz seiner eindeutigen Haltung nimmt das Konsumentenforum seit Jahren staatliche Subventionen entgegen. In den letzten zehn Jahren floss fast eine Million Franken an den Verein. Es ist dessen grösster Einnahmenposten. Letztes Jahr reichte es aber selbst dem Bund: Das KF musste für 2023 rund 40 000 Franken zurückzahlen, weil es «trotz wiederholter Mahnungen den Zweck der Finanzhilfe nicht erfüllt hat», wie Jean-Marc Vögele vom zuständigen Eidgenössischen Büro für Konsumentenfragen sagt.

Gemäss Gesetz müssen die staatlichen Subventionen für Tests, Deklarationen und «objektive und fachgerechte Information» verwendet werden. Lobbyarbeit oder eine Nuggikampagne gegen vermeintliche Verbote dürften nicht darunterfallen. Trotzdem erhielt das Konsumentenforum für 2024 wieder 79 000 Franken, wie das Büro für Konsumentenfragen offenlegt. Weitere Sanktionen seien aktuell nicht vorgesehen. Auf Nachfrage, ob das KF die Vorgaben nun eingehalten habe, heisst es vom Bund: «Diese Frage ist offen und wird noch abgeklärt.»