Hans-Ulrich Bigler: Partner von Gott und Kapitalismus
Der Schweizerische Gewerbeverband hat sich unter seinem Direktor Hans-Ulrich Bigler zu einer rechten Kampforganisation entwickelt. Für das rechtsbürgerliche Lager birgt das Wiedererstarken des Verbands aber auch Risiken.
«Wichtigste Tugend eines Vorgesetzten?» – «Ehrlichkeit.»
Hans-Ulrich Bigler in einem Interview mit «NZZ Executive», November 2011
Lange Zeit blieb die Kampagne des Pro-Lagers zur Unternehmenssteuerreform III (USR III) blass. Plakate mit Schweizer Kreuz und dem ewigen Slogan «Arbeitsplätze sichern», eine halbgare Mobilisierungsaktion per Videoaufruf der Jungfreisinnigen und die Gesichter der kantonalen FinanzdirektorInnen, die angesichts der vielen geschnürten Sparpakete in den Kantonen wenig Aufbruchstimmung verströmten.
Dann riss Mitte Januar Hans-Ulrich Bigler die Ja-Kampagne kurzerhand an sich. Schrill und aggressiv. So wie man es vom Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV) und FDP-Nationalrat mittlerweile gewohnt ist. In der welschen Ausgabe der «Schweizerischen Gewerbezeitung» wurde eine Fotomontage abgedruckt: Ein Transparent, das SP-Mitglieder bei der Einreichung des USR-III-Referendums im letzten Herbst hochhielten, war mit einem neuen Slogan versehen: «Die Jobs? Sind uns egal!» Das Basler Zivilgericht verbot Ende Januar in einer superprovisorischen Anordnung die weitere Verwendung des entsprechenden Bildes.
«Lügen-Bigler» nennen links-grüne PolitikerInnen den SGV-Direktor wegen seiner Wahlkampfmethoden. Er ist zu einem Feindbild geworden. Hans-Ulrich Bigler ist allerdings kein typisch linkes Feindbild. Er ist kein Demagoge – dazu fehlt ihm das Charisma. Bigler ist ein Dogmatiker.
Sein Lebenslauf weist so gut wie keine Brüche auf. Hans-Ulrich Bigler wuchs in Bern auf, wo er später auch Wirtschaft studierte (inklusive einer Weiterbildung an der Harvard Business School in den USA). Gleich seine erste Stelle führte ihn 1985 zum SGV. Die Verbandswelt hat der 58-Jährige danach nie mehr verlassen. Ab Mitte der neunziger Jahre leitete er zehn Jahre lang den Dachverband der Druckindustrie Viscom, danach den Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie Swissmem. Mit den Gewerkschaften handelte er mehrere Gesamtarbeitsverträge aus, er galt als zäher Verhandler. Seit Sommer 2008 ist er nun SGV-Direktor.
Einen leichten Bruch gab es hingegen in einem anderen zentralen Lebensbereich. Bigler, der Oberst im Generalstab war, verlor 2005 die Wahl zum Präsidenten der Schweizerischen Offiziersgesellschaft. Seine Verbundenheit zur Armee blieb jedoch bestehen.
Über die Privatperson Hans-Ulrich Bigler ist nur wenig bekannt. Der dreifache Familienvater wohnt in Affoltern am Albis im Kanton Zürich in einem 6,5-Zimmer-Haus mit 300 Quadratmeter Wohnfläche samt Blick auf die Alpen. In Porträts über Bigler tauchen häufig zwei Details auf: Er fährt Harley. Und er besucht die Gottesdienste der International Christian Fellowship, der grössten Freikirche der Schweiz.
Dabei ist sein Glaube keine blosse Freizeitbeschäftigung. Bigler engagiert sich auch in der Lobbygruppe «Forum christlicher Führungskräfte», wo er Mitglied des Patronatskomitees ist. Auf einem christlichen Webportal heisst es über Bigler und seinen Glauben: «Noch vor seinem 20. Altersjahr ist er bewusst eine strategische Partnerschaft mit Gott eingegangen.»
Biglers Lebenswelten sind hierarchisch geprägt. Zwei Rollen sind darin vorgesehen: Befehlsempfänger und Befehlsausführer von klaren Interessen. Widerrede oder Zweifel sind in dieser vertikalen Welt nicht vorgesehen. Politik ist für Bigler ein Kampffeld, auf dem es darum geht, seine Interessen durchzusetzen. Er tut das so dogmatisch wie kaum einer. Entsprechend ist er gegenüber Kritik praktisch immun. Und mit dem SGV steht ihm ein mächtiger Apparat zur Verfügung.
Bigler war der SVP genehm
Der Schweizerische Gewerbeverband, der seit rund 140 Jahren besteht, ist der grösste Wirtschaftsverband der Schweiz. Ihm gehören 250 Verbände und rund 300 000 Unternehmen an, das sind dreimal so viel wie bei den Konkurrenzorganisationen Economiesuisse und Arbeitgeberverband.
Im hierarchisch geführten SGV bestimmte schon immer die Spitze massgeblich den politischen Kurs. Jakob Scheidegger etwa, Präsident von 1897 bis 1915, suchte den Kompromiss und die Kooperation mit gemässigten ArbeiterInnenorganisationen und unterstützte ein progressives Kranken- und Unfallversicherungsgesetz. Sein Nachfolger hingegen setzte eine harte sozialpolitische Linie durch.
Aber keine andere Figur hat den SGV nachhaltiger geprägt als Otto Fischer in den sechziger und siebziger Jahren. Der FDP-Politiker baute den Verband zu einer schlagkräftigen und politisch einflussreichen Organisation auf, die bekannt war für ihre Möglichkeit, Referenden anzudrohen und gegebenenfalls auch durchzuziehen. Nach Fischers Abgang liess die Schlagkraft nach.
Bis 2008. In jenem Jahr beschloss der SGV eine neue Strategie. Er sollte wieder zu einer Kampforganisation mit ausgeprägter Referendumskultur werden. Regulierungskosten vermindern, Regeln und Vorschriften abbauen sowie Gebühren, Abgaben und Steuern senken – so lauteten die Kernaufgaben. Diese Kursänderung hing mit den neuen politischen Kräfteverhältnissen im rechtsbürgerlichen Lager zusammen, in dem die SVP zur mit Abstand stärksten Partei geworden war. Entsprechend stieg auch ihr Einfluss auf den SGV – und zwar an der Basis wie an der Spitze.
FDP-Mitglied Bigler wurde im Sommer 2008 nicht zuletzt deshalb neuer SGV-Direktor, weil er auch der SVP genehm war. Er galt sozial- und wirtschaftspolitisch als Hardliner. Eine Einschätzung, die sich rasch bestätigte: Bigler setzte sich medial gegen die Mutterschaftsversicherung ein, wollte, dass Erwerbstätige bis 67 arbeiten müssen, und lobbyierte dafür, den Arbeitslosen die Taggelder zu kürzen.
Tatsächlich gewann der Gewerbeverband unter Bigler mit der Zeit an Schlagkraft. Zu seiner Strategie gehörte, dass er die Kommunikation ausbaute. Statt als Abozeitung mit einer Auflage von 20 000 Exemplaren erscheint die «Gewerbezeitung» heute als Gratisblatt mit einer Auflage von 140 000 Exemplaren. Bigler nutzte Social-Media-Plattformen und stellte einen Kampagnenleiter an. Seither ist der Gewerbeverband bei Abstimmungen deutlich stärker präsent als früher.
Die Anti-Economiesuisse
Besonders deutlich zeigte sich das im Frühsommer 2015 im Vorfeld der Abstimmung über das neue Radio- und Fernsehgesetz (RTVG). Die aggressive und schrille Diffamierungs- und Desinformationskampagne gegen den Service public war bis dahin beispiellos für einen Wirtschaftsverband.
Die Anti-RTVG-Kampagne aber war ein Versuchsballon, der um ein Haar zum Erfolg geführt hätte: Am Ende fehlten den SRG-GegnerInnen gerade mal 3700 Stimmen. Bis dahin war Economiesuisse der prägendste Schweizer Wirtschaftsverband, um rechtsbürgerliche Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Doch Economiesuisse hatte ein gravierendes Problem: Nach zwei heftigen Niederlagen – bei der «Abzocker-» sowie der «Masseneinwanderungsinitiative» – hatte das Image massiv gelitten. Der Verband gilt seither als verlängerter Arm der unbeliebten Wirtschaftsbosse und Grosskonzerne. Die braven, staatstragenden und faktenbasierten Economiesuisse-Kampagnen ohne eigentliches Gesicht zogen offenbar nicht mehr. Die Anti-RTVG-Kampagne war der Versuch, den SGV als eine Art Anti-Economiesuisse zu etablieren. Entsprechend funktionierte die Kampagne: Sie war eine One-Man-Show, die aggressiv auf Emotionen setzte. Mit den KMUs als zentralem Referenzpunkt. Und mit der SVP-Hausagentur Goal als Partnerin. Die Kampagne hatte den Nebeneffekt, dass sie Bigler im Herbst 2015 in den Nationalrat hievte.
Dabei birgt das Gebaren des Gewerbeverbands auch Risiken. Längst nicht alle Verbände und Mitglieder des SGV finden die Tonlage und den Auftritt der Verbandsspitze angemessen. Als schärfster Kritiker hat sich CVP-Nationalrat und Bierbrauer Alois Gmür hervorgetan. Als Verbandspräsident der Schweizer Getränkegrossisten sitzt er in der einflussreichen Gewerbekammer des SGV. Sein Wort hat durchaus Gewicht. «Ich halte die Diffamierungen für kontraproduktiv», sagt er. Zugleich bedauert er die stetige Annäherung des Verbands an SVP-Positionen.
In der aktuellen Kampagne für die USR III teilen sich der SGV und die Economiesuisse den Lead. Eine Strategie, die sich als Handicap erwiesen hat. Trotz der Beteiligung der SVP-Agentur Goal blieb die Kampagne diffus und mit Ausnahme des «Bigler-Moments» Mitte Januar fade.
Das rechtsbürgerliche Lager scheint derzeit orientierungslos, wenn es darum geht, gemeinsame Interessen zu vertreten. Bigler, der seine Orientierung selbst nie verliert, hat wesentlich dazu beigetragen.