Krieg in Nahost: Ein Angriff aus Eigennutz
«Bibi, König von Israel!»: So feierten Anhänger:innen Benjamin Netanjahus ihren extrem rechten Premierminister am Samstag in Bat Jam, einem Vorort von Tel Aviv. Dabei hatten iranische Raketen dort wenige Stunden zuvor ganze Häuser zerstört. Dieser Krieg, den Israels Regierung in der Nacht auf Freitag mit Angriffen auf iranische Nuklearanlagen begann, hat eine für Israelis bislang unbekannte Qualität angenommen. Während bei israelischen Luftangriffen im Iran mittlerweile mehr als 200 Personen starben, kamen auch in Israel über 20 bei Raketeneinschlägen ums Leben.
Es zeigt sich: Direkten Einschlägen von 500-Kilogramm-Sprengköpfen halten die in einigen israelischen Wohnungen eingerichteten Schutzräume nicht stand. So laufen die Social-Media-Kanäle derzeit mit Fragen nach Ersatzwohnungen heiss.
Dennoch tun die schweren Gegenangriffe aus dem Iran der Unterstützung für Netanjahu keinen Abbruch. Sein Image als Mr. Security hat mit dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 schwer gelitten, nun aber scheint es repariert. Einer Umfrage der Hebräischen Universität Jerusalem zufolge unterstützen 83 Prozent der jüdischen Israelis den Angriff.
Das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Denn die Bedrohung ist ja real: Die Islamische Republik, die sich auf die Fahne geschrieben hat, Israel von der Landkarte zu löschen, verfügt über so grosse Mengen so weit angereicherten Urans, dass sich daraus innerhalb kurzer Zeit Atombomben bauen liessen – so die Schätzung der Internationalen Atomenergie-Organisation, auf die sich Israels Regierung bezieht. Eine Schätzung, der verschiedene Expert:innen widersprechen, woraus folgen würde, dass der israelische Angriff völkerrechtswidrig ist: Nur, wenn ein antizipierter Angriff unmittelbar bevorstünde, wäre ein «Präventivschlag» mit internationalem Recht konform.
Aus israelischer Sicht ist der Moment günstig. Die Verbündeten des Iran in der Region, etwa die Hisbollah im Libanon oder die Huthis im Jemen, sind derart geschwächt, dass sie dem Regime kaum beistehen können.
Einiges deutet aber darauf hin, dass Netanjahu diesen schon in den ersten Tagen so tödlichen Krieg vielmehr zum eigenen Nutzen führt. Gerade noch hat er haarscharf ein Votum der Opposition zur Auflösung der Knesset überstanden; sein Strafprozess in Sachen Korruption läuft auf Hochtouren, und aussenpolitisch steht er angesichts seiner Kriegsführung in Gaza mit dem Rücken zur Wand. Die Israelis wissen das. Nun fragt sich, wie lange sie ihm die persönlichen Motive noch nachsehen. Die Antwort hängt wohl auch vom Fortgang des Krieges ab.
Westliche Länder drängen die Kriegsparteien zu Verhandlungsbereitschaft. Für die israelische Regierung, sollte man meinen, wäre folgender Ausgang der bestmögliche: Die iranische Führung sieht sich gezwungen, am Verhandlungstisch ein neues Atomabkommen zu unterzeichnen – ähnlich jenem, das US-Präsident Donald Trump 2018 auf Druck der Israelis aufgekündet hat.
Doch Netanjahus Regierung hat offenbar andere Pläne. Für sie ist klar: Nur kein Abkommen ist ein gutes Abkommen; also müsse das iranische Atomprogramm militärisch zerstört werden. Aber auch wenn sich dieses verzögern liesse: Die Fähigkeit an sich, eine Atombombe zu bauen, kann durch keinen Angriff vernichtet werden.
Israels Regierung geht noch weiter: Alles deutet darauf hin, dass sie mit dem Angriff den Boden für einen Regimesturz bereiten will. Selbst die Tötung des politischen und religiösen Oberhaupts des Iran, Ali Chamenei, schliesst sie nicht aus, auch wenn Trump Netanjahu – zumindest bislang – davon abhält. Die Iraner:innen allerdings, die Israel eigentlich auf seine Seite ziehen möchte, versuchen gerade in Massen, die Hauptstadt oder gleich das Land zu verlassen. In jedem Fall dürfte das brandgefährliche Vorgehen die Verhandlungen mit dem Regime erschweren und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Iran letztendlich eine Atomwaffe baut.