Female Horror Wave: Blut, Fleisch und Flossen

Nr. 38 –

Vom iranischen Vampirwestern bis zur Brutalopanik der achtziger Jahre, von der blutrünstigen Vegetarierin bis zur gar nicht kleinen Meerjungfrau: Diese sechs Erstlinge von Regisseurinnen haben die Female Horror Wave der letzten zehn Jahre mitgeprägt – von Jennifer Kent über Ana Lily Amirpour bis Lisa Brühlmann.

«The Babadook» (2014)

Schau, da ist gar kein Monster unterm Bett. Doch so leicht lassen sich die Albträume des kleinen Jungen nicht zerstreuen. Im Gegenteil: Seine Angst greift mehr und mehr auch auf seine Mutter über, die seit dem Unfalltod ihres Mannes allein mit ihrem Kind lebt. Ein Spukhaus, in dem die böse Schreckgestalt aus einem unzerstörbaren Kinderbuch ihr Unwesen treibt: Es ist ein geradezu klassischer Stoff, dem die australische Regisseurin Jennifer Kent in «The Babadook» nochmals neue Facetten abgewinnt. Noch besser – und viel brutaler – war dann der Film, für den sie in Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde: «The Nightingale» (2018), ein archaisches Racheepos aus dem Tasmanien des 19. Jahrhunderts.

Filmstill aus «The Babadook»

«A Girl Walks Home Alone at Night» (2014)

Vampirfilme gibts ungefähr so viele, wie ein Mensch Blutkörperchen hat. Aber vermutlich gibt es nur einen über eine blutsaugende Rächerin, die im Tschador auf einem Skateboard unterwegs ist – und dann auch noch alles auf Farsi. Der Noir-Vampirwestern von Ana Lily Amirpour ist in einem fiktiven iranischen Provinznest namens Bad City angesiedelt; gedreht hat die iranischstämmige US-Regisseurin allerdings in Kalifornien, wo sie aufgewachsen ist. Ein supercooler Genrebastard, vor dem Jim Jarmusch vor Neid erbleichen müsste.

Fimstill aus «A Girl Walks Home Alone at Night»

«Grave / Raw» (2016)

Eine angehende Tierärztin, eigentlich schon von klein auf überzeugte Vegetarierin, entwickelt nach ihrer Initiation im Studium einen unerklärlichen und vor allem unstillbaren Hunger auf Fleisch – und bald auch auf Menschenfleisch. Es war wirklich in höchstem Mass saignant, dieses aufsehenerregende Debüt der französischen Regisseurin Julia Ducournau mit der Schweizerin Ella Rumpf in einer Hauptrolle. Danach zündete Ducournau die nächste Eskalationsstufe und holte mit ihrem transhumanistisch entflammten Gewaltmärchen «Titane» (2021) in Cannes die Goldene Palme.

Filmstill aus «Grave / Raw»

«Blue My Mind» (2018)

Von wegen Arielle: Alle entwickeln sich in der Pubertät, aber Mia (Luna Wedler) entwickelt sich anders. Ihr wachsen Schwimmhäute, doch das ist erst der Anfang ihrer wundersamen – und auch beängstigenden – Verwandlung in Lisa Brühlmanns Erstling «Blue My Mind». Das Besondere daran: Der Bodyhorror hat hier nichts Metaphysisches, sondern bleibt ganz konkret geerdet im Alltag dieser Heranwachsenden – jenseits von Meerjungfrauenkitsch.

Filmstill aus «Blue My Mind»

«Saint Maud» (2019)

Die britische Regisseurin Rose Glass war unlängst mit ihrem romantischen Thriller «Love Lies Bleeding» (2024) im Kino, in dem eine Bodybuilderin in New Mexico für ihre Geliebte buchstäblich zum rächenden Übermenschen avancierte. In einem ganz anderen Milieu war ihr Erstling «Saint Maud» angesiedelt: Dort war die lesbische Liebe noch bedroht von einer frömmlerischen Palliativpflegerin, die in einem britischen Küstenstädtchen ihr scheinheiliges Unwesen trieb.

Filmstill aus «Saint Maud»

«Censor» (2021)

England 1985. Eine gewissenhafte Zensorin der Filmbehörde will auf einem Horrorvideo ihre verschwundene Schwester entdeckt haben – und droht dann selber in die Fänge eines schmierigen Regisseurs zu geraten. Die britische Regisseurin Prano Bailey-Bond spielt in ihrem Erstling gekonnt mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der damaligen Brutalofilmpanik unter Margaret Thatcher – ein cleverer Meta-Horrorfilm und zugleich eine Hommage an die billigen Schocker jener Zeit, inklusive VHS-Patina.

Filmstill aus «Censor»