Bodyhorror: Die Angst des Filmstars vor dem Spiegel
Misogynes Machwerk oder bestechende Satire über Wahn und Weiblichkeit? Die französische Regisseurin Coralie Fargeat schenkt Demi Moore in «The Substance» eine monströse Verjüngungskur.

Wenn hier ein Mann über feministisches Kino schreibt, muss er dann wirklich mit Jean-Luc Godard anfangen? Aber gut, wie lautet noch mal eine von dessen bekanntesten Maximen: Nicht feministische Filme müsse man machen, sondern man müsse Filme feministisch machen. (Klar, das hat Godard so nie gesagt, aber wieso eigentlich nicht?)
Und doch ist es weiterhin vor allem Ersteres, was immer wieder zu teils erbitterten Debatten führt. Die Frage also, was denn eigentlich einen «feministischen» Film ausmache oder eben auch: was nicht. Zuletzt war das im diesjährigen Wettbewerb von Cannes zu beobachten, nachdem die französische Regisseurin Coralie Fargeat dort «The Substance» gezeigt hatte, ihren Bodyhorror-Schocker mit Demi Moore als alterndem Filmstar. Es sehe ganz danach aus, so twitterte damals postwendend eine junge rumänische Kritikerin, dass man diesen Film jetzt wieder als «feministisches Meisterwerk» bezeichnen werde, und bestimmt würden sich vor allem Männer mittleren Alters damit hervortun, «The Substance» mit diesem Label zu adeln – dabei sei das der frauenfeindlichste und zynischste Müll, den man sich vorstellen könne.
Ganz anders Stephanie Zacharek, die Filmkritikerin der US-Zeitschrift «Time» und mit Jahrgang 1963 fast genau gleich alt wie Hauptdarstellerin Demi Moore. Für sie, schrieb Zacharek, führe «The Substance» ungeheuer eindringlich vor Augen, was es bedeute, als Frau zu altern, und zwar längst nicht nur im von Äusserlichkeiten besessenen Showbusiness, in dem der Film angesiedelt ist. Coralie Fargeat habe die vielfältigen Frustrationen, die Frauen mittleren Alters erleben, in einen brillanten, bitteren Scherz verwandelt.
Ja, was denn nun: bestechendes Zerrbild weiblichen Alterns oder misogynes Machwerk, das nur so trieft vor weiblichem Selbsthass? Und wenn sie beide recht hätten?
«We need her young!» lautet der ominöse Satz, den Dennis Quaid als schweinischer Studioboss namens Harvey (!) am Pissoir ins Telefon brüllt: «Wir brauchen sie jung!» Gemeint ist die Frau, die in einer der Kabinen gerade unfreiwillig mithört: Demi Moore als Elisabeth Sparkle. Ganz am Anfang sehen wir, wie auf dem «Walk of Fame» ihr persönlicher Stern eingepasst wird, dabei ist ihre Zeit als gefeierter Filmstar längst abgelaufen. Immerhin hat sie ihre Karriere im mittleren Alter ins Fernsehen retten können, jetzt halt als Work-out-Queen à la Jane Fonda mit eigenem Fitnessprogramm. Doch trotz superstraff trainiertem Body soll die Sendung jetzt gekippt werden, weil: Siehe oben.
Als ihr wenig später ein unwirklich schöner junger Arzt unbemerkt ein kleines Päckchen zusteckt, stösst Elisabeth auf «The Substance», eine geheimnisvolle Prozedur mit angeblich lebensverändernder Wirkung. Bald darauf setzt sie sich die erste Spritze und geht damit einen faustischen Pakt ein – worauf Regisseurin Fargeat zu ihrem ersten Bodyhorror-Kabinettstück ausholt. In einem weiss gekachelten Badezimmer kommt es zu einer buchstäblich perversen Geburtsszene: Da öffnet sich ein Spalt im Rückgrat der Frau, und durch diese Öffnung, quasi rückseitiger Muttermund, bringt Elisabeth nun ihr blutjunges Double, gespielt von Margaret Qualley, zur Welt.
Aus der Arbeitsteilung zwischen der Frau und ihrem jungen Alter Ego namens Sue entwickelt sich dann so etwas wie eine biotechnologisch getunte Variation über Oscar Wildes «Das Bildnis des Dorian Gray». Jede der beiden erhält jeweils sieben Tage Lebenszeit, danach muss gewechselt werden, nun ist die andere an der Reihe. Während sich Elisabeth während ihrer Wachphase ins Private zurückzieht und zusehends in ihrem Penthouse versumpft, geht Sue hinaus zum nächsten Casting, um sich ihrerseits gleich wieder den Normen und Ansprüchen der Harveys da draussen zu unterwerfen – und steigt anstelle von Elisabeth zum neuen Superstar auf.
Finger einer Greisin
Aber weil die Jugend naturgemäss nicht genug bekommen kann, gerät das Verhältnis zwischen den beiden allmählich aus dem Gleichgewicht – mit ganz konkreten körperlichen Folgen. Als das Alter Ego ein erstes Mal die zugewiesene Zeit überschreitet, muss Elisabeth danach mit Schrecken feststellen, dass ein Teil ihrer Hand vorzeitig gealtert ist: Sie hat den Finger einer Greisin. Nein, das lasse sich nicht rückgängig machen, sagt darauf der anonyme Mann von der Helpline, der definitiv keine Hilfe ist: Was die eine Seite zu viel verbraucht habe, gehe auf Kosten der anderen und sei dort unwiederbringlich verloren.
Nicht erst seit es Filme gibt, ist die Kulturgeschichte voll von ungeheuerlichen Frauen: von Medusa mit ihrem Schlangenhaupt über die Figur der Hexe bis zu dem dämonischen Mädchen in «The Exorcist». Die auffallende Präsenz solcher monströser Frauenfiguren in Horrorfilmen, so schreibt die australische Filmwissenschaftlerin Barbara Creed in ihrem Standardwerk «The Monstrous-Feminine» (1993), sage allerdings «mehr über männliche Ängste als über weibliches Begehren oder weibliche Subjektivität». Insbesondere: Angst vor der weiblichen Sexualität, Angst vor der Frau als «biologischem Freak», Angst vor der übermächtigen Mutter.
Für ihre Analyse monströser Weiblichkeit im Horrorfilm stützte sich Creed vor allem auch auf Julia Kristeva und deren Theorie des Abjekten im Buch «Pouvoirs de l’horreur» (1980). Abjekt ist Kristeva zufolge alles, was wir abstossen müssen, um eine gewisse Stabilität als Subjekt zu wahren, nicht zuletzt körperliche Ausscheidungen: Exkremente, Erbrochenes, auch Blut oder Eiter. All das also, was potenziell heftigen Ekel hervorruft und damit immer auch, wie eben im Horrorfilm, eine unheimliche Faszination.
Angesichts des Abjekten, so heisst es sinngemäss bei Kristeva, erkennt das Ich, wie fragil es ist, weil es jederzeit von der Wiederkehr dessen erfasst werden könnte, was es von sich weggestossen und verworfen hat. Und Horror ist das Genre, in dem wir einigermassen gefahrlos eine rituelle Überschreitung dieser Grenzen erleben können, durchaus lustvoll, vielleicht sogar kathartisch. So, wie auch Kristevas Text selber entlang unscharfer Grenzen verläuft: Ist das noch Theorie oder schon Literatur?
Der Einfluss von Julia Kristeva für das Verständnis von Horror in der Literatur und vor allem auch im Film ist kaum zu überschätzen. Und wenn man bedenkt, wie intensiv dieses Feld in ihrem Gefolge gerade auch aus feministischer Perspektive bearbeitet wurde, ist es umso eklatanter, dass das Horrorgenre in der Praxis trotzdem noch jahrzehntelang fast ausschliesslich Männern vorbehalten blieb. Ausnahmen gab es immer, aber deutlich verschoben hat sich das erst in den letzten rund zehn Jahren, dank einer ganzen Welle von Regisseurinnen wie Jennifer Kent («The Babadook»), Ana Lily Amirpour («A Girl Walks Home Alone at Night»), Rose Glass («Saint Maud»), Prano Bailey-Bond («Censor») oder auch Lisa Brühlmann («Blue My Mind»). Auch Coralie Fargeat gehört in diese Reihe, selbst wenn man angesichts ihres Erstlings, «Revenge» (2017), nicht unbedingt darauf gewettet hätte, dass sie mit ihrem zweiten Spielfilm im Wettbewerb von Cannes dann dermassen für Furore sorgen würde.
Hass, der eigentlich Selbsthass ist
Sind das nun alles feministische Filme? Viel entscheidender, nach Godards Maxime, ist vielleicht, dass man eben nicht sogenannt «politische» Filme, sondern Filme als politische Praxis machen müsse: Feministische Praxis sind diese Filme zunächst, weil diese Regisseurinnen ein Feld besetzen, das zuvor eine absolute Männerdomäne war. Das heisst nicht, dass das in jedem Fall auch gut ist. Wenn in einem Erotikthriller eine Gefängnistherapeutin einem brutalen Serienvergewaltiger verfällt und der ganze Film dann mit dem Nervenkitzel spielt, ob der Mann wirklich «geheilt» ist oder ob er auch seine Therapeutin vergewaltigen wird, dann bleibt das ein zynischer Flirt mit sexualisierter Gewalt, selbst wenn eine Frau den Film gemacht hat («Instinct» heisst dieser Film von Halina Reijn).
Ganz anders die Regisseurin, die hier natürlich nicht fehlen darf: Julia Ducournau, die für «Titane» die Goldene Palme von Cannes gewann, als erst zweite Frau nach Jane Campion. In ihrem Erstling, «Raw/Grave» (2016), entwickelte eine vegetarische Medizinstudentin einen monströsen Appetit auf Fleisch. Darauf folgte «Titane» (2021), dieser rabiate, kraftmeierische und dann doch auch unverhofft zarte Freak von einem Film, der sich vor allem auch wegen dieser denkwürdigen Szene zu Beginn einprägte: Da sehen wir die weibliche Hauptfigur beim Bondage-Sex mit einem Cadillac, und nicht nur das, sie wird von dem Auto dann auch gleich schwanger. Das klingt vielleicht doppelt albern, aber blöd ist es nicht. Frau hat Sex mit Auto: Hier wird ein alternativer Zeugungsakt imaginiert, bei dem der Mann schlicht keine Rolle mehr spielt. Die Position also, die diese beiden Lustkörper – den weiblichen und den maschinellen – seit jeher so gerne als erotische Objekte fetischisiert, bleibt komplett aussen vor.
Oder ist es letztlich doch wieder eine männliche Fantasie, die hier bedient wird? Ist das der ultimative Triumph des männlichen Blicks, dass er auch hier seinen voyeuristischen Trieb befriedigt sieht, in dieser ungestörten Zusammenkunft seiner beiden Lustobjekte par excellence? Anders gesagt: Vielleicht ist dieser «male gaze» dem Kino so fundamental eingeschrieben, dass man ihm nicht mal dort wirklich entkommt, wo man ihn blossgestellt zu haben glaubt.
So ähnlich äussert sich jetzt auch Demi Moore über «The Substance». Für sie, sagte sie anlässlich der Premiere in Cannes, sei dies vor allem auch ein Film «über die männliche Vorstellung der idealen Frau, die wir als Frauen verinnerlicht haben». Und ergänzt später in einem Interview: «Es geht darin nicht um das, was uns angetan wird; es geht um das, was wir uns selber antun.» Man sieht ihr in dem Film an, dass sie nicht zuletzt auch sich selbst meint: Demi Moore sieht nicht aus wie eine Frau von 61 Jahren; in diesem Körper steckt einiges an Arbeit – Arbeit an einem Ideal von Weiblichkeit, das immer schon einer männlichen Vorstellung entsprang?
So, wie Coralie Fargeat in ihrem Film die Fitnessshows inszeniert, sehr ausgedehnt und die Kamera geradezu obsessiv auf Höhe der Ärsche, darf man sich aber auch fragen: Werden die absurden sozialen Normen, von denen sich der weibliche Körper auf straff und jugendlich trimmen lässt, hier vorgeführt? Oder werden sie auch irgendwie zelebriert?
Dann gibt es diese vergleichsweise leise Szene, die das Wort «Bodyhorror» zurück auf den Boden des Alltags holt. Demi Moore steht da allein vor dem Spiegel, zurückgeworfen auf sich selbst. Im Versuch, die Normalität einer Frau mittleren Alters zu proben, hat sich Elisabeth mit einem alten Schulfreund verabredet. Doch wie sie sich jetzt auch schminkt für den Abend, es wirkt immer irgendetwas wie verrutscht. Sie probiert es immer wieder neu und nochmals anders, wobei sie zusehends die Nerven verliert, bis sie sich am liebsten die Haut vom Gesicht reissen würde. Es ist der Moment im Film, von dem Stephanie Zacharek in ihrer sehr persönlichen, sehr offenherzigen Besprechung in «Time» schreibt, sie habe angesichts dieser Szene ihrer Sitznachbarin zugeflüstert: «Ich wusste gar nicht, dass das ein Dokumentarfilm ist.»
Nein, nicht wirklich. «The Substance» ist eine plakative Satire, laut und drastisch und so ungeniert überdeutlich, dass Fargeat sogar auch mal Schrifttafeln in ganz grossen Buchstaben einblendet. Im letzten Drittel dreht der Film dann vollends durch, zu einer irren Groteske rund um ein wandelndes, monströs verwuchertes Geschwür, in dem nichts mehr am richtigen Ort ist. (Man glaubt das erst, wenn man es gesehen hat.) Doch zuvor eskaliert das Verhältnis zwischen Elisabeth und ihrem Double. Die ältere ist auf die jüngere Version ihrer selbst angewiesen, wenn sie als Sue weiter im Rampenlicht stehen will; diese hingegen würde die lästige Alte zu gerne loswerden. Aber man kennt das umgekehrt vom literarischen Motiv des Doppelgängers: Deinem Alter Ego kannst du niemals entkommen, indem du es vernichtest – weil du eins bist mit ihm, würdest du damit vor allem auch dich selbst auslöschen.
Den Hass zwischen den beiden, der also eigentlich Selbsthass ist, lässt Fargeat dann auf rabiateste Art ausarten. Die monströse Frauenfigur in «The Substance» ist nicht mehr die Chiffre männlicher Ängste, wie in Barbara Creeds feministischer Analyse von Horrorfilmen. Das, was die Frau hier zum Monster macht, sind die falschen patriarchalen Körperbilder, die sie verinnerlicht hat, und der Hass gegen sich selbst, der sich daraus ergibt.
Noch so ein ominöser Satz aus dem Film: «Too bad her boobs aren’t in the middle of her face instead of that nose», sagt da ein Mann zum anderen, als sie reihenweise junge Frauen fürs Casting begutachten, darunter auch Sue: «So schade, dass ihre Titten nicht mitten im Gesicht sind anstelle dieser Nase da.» Das klingt zu gut erfunden, um nicht wahr zu sein. Gar nicht abwegig jedenfalls, dass dieser sexistische Spruch so oder ähnlich tatsächlich bei manchen Castings zu hören ist. Ganz am Schluss ihres Films greift Fargeat diesen buchstäblich monströsen Satz nochmals auf – indem sie ihn in einer weiteren, noch perverseren Geburtsszene quasi beim Wort nimmt. Mit anderen Worten: «The Substance» denkt die sexistische Vorstellung dieser Männer von der idealen Frau konsequent zu Ende.
Das Finale ist dann das feuchtfröhliche Tribunal eines Freaks. Seine strafende Fontäne zielt ins Publikum. Also auf uns alle.
«The Substance». Regie und Drehbuch: Coralie Fargeat. Frankreich/USA/Grossbritannien 2024. Jetzt im Kino.