Bürgerkrieg in Myanmar: Aus der Deckung
Die Rebell:innen haben bereits die Hälfte des Staatsgebiets erobert, die Militärjunta ist in Bedrängnis geraten. Doch Russland intensiviert seine Unterstützung der Generäle.

Kommandeur Ko Bake steht auf einer betonierten Strasse, die das grüne Meer des Dschungels teilt, und blickt nervös in den Himmel. Es ist ein Morgen im Mai, auf der Strasse sind es vom Rebellenposten rund 500 Kilometer Richtung Norden bis nach Yangon, der grössten Stadt Myanmars. Knapp dreissig Männer in dunklem Flecktarn, bewaffnet mit Sturmgewehren und Panzerfäusten, stehen links und rechts des Kommandanten an der Strasse postiert. Über ihre Uniformen und Schutzwesten sind rot-blaue Halstücher gewickelt, das Erkennungszeichen der People’s Defence Force, der bewaffneten Einheiten der Exilregierung von Myanmar, die ihren Sitz an geheimen Orten im Land hat.
Die Männer kontrollieren die Kofferräume passierender Autos, klettern auf die Ladeflächen von Lastwagen, überprüfen die Papiere von Passagier:innen in Reisebussen. Schweiss rinnt ihnen übers Gesicht. «Wo kommst du her?», fragt Ko Bake eine junge Frau, die mit ihrer Familie vor einem Minivan steht. Dann schweift sein Blick durch das Innere des Wagens, wo eine Matratze über Säcke mit Reis geschnürt ist. Er nickt. «Passt gut auf euch auf», sagt er.

Ko Bake, 53 Jahre alt, ein kleiner kräftiger Mann mit freundlichem Blick, ist Kommandeur der Dawn Column, einer Gruppe von Rebell:innen, die seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2021 gegen die durch einen Putsch wieder an die Macht gekommene Militärjunta kämpft. Seit Monaten liefern sich die Kontrahenten erbitterte Kämpfe im Gebiet entlang des National Highway 8, einer 850 Kilometer langen Bundesstrasse, die Tanintharyi, die südlichste Region des Landes, mit Yangon verbindet. An dem Posten knapp 45 Kilometer südlich der Stadt Ye suchen die Kämpfer nach Spitzeln des Militärs und Waffen, die in zivilen Fahrzeugen transportiert werden.
Doch lange kann die Gruppe hier nicht bleiben. Die feindlichen Stellungen liegen nur wenige Kilometer entfernt. Immer wieder schweifen die Blicke der Soldaten über den Himmel. Die Gefahr ist gross, von Drohnen entdeckt und dann mit Kampfjets oder Artillerie attackiert zu werden. «Eine Viertelstunde», sagt Ko Bake, «dann müssen wir weiter.»
Die Diktatur wankt
Vier Jahre ist es her, dass die Generäle gegen die gewählte Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi putschten. Während ihrer Zeit als Regierungschefin 2016 bis 2021 war sie um demokratische Reformen bemüht. Auf den Militärputsch folgten Massenproteste, dann versank das Land in einem Bürgerkrieg. In vielen Teilen des Landes kämpfen heute ethnische Rebell:innengruppen, von denen sich viele seit Jahrzehnten gegen die Militärs und für ihre Autonomie auflehnen, sowie fast 2000 in den letzten Jahren gegründete Widerstandsgruppen gegen die Militärdiktatur von General Min Aung Hlaing. Mindestens 8000 Zivilist:innen sind in den Kämpfen bereits gestorben, Zehntausende sind in den staatlichen Foltergefängnissen verschwunden. Mehr als drei Millionen Myanmar:innen sind laut der Uno innerhalb des Landes auf der Flucht.
Die Militärjunta ist stark in Bedrängnis. Die Rebell:innen kontrollieren nicht nur wichtige Grenzübergänge nach China, Thailand und Bangladesch, sondern schätzungsweise auch fast die Hälfte des Staatsgebiets. Gleichzeitig hat die Junta gewichtige Vorteile auf ihrer Seite. Während die Rebell:innen bisher vor allem aus dem Schutz des Dschungels heraus agieren, kontrollieren die Generäle, die von China und Russland unterstützt werden, mit ihren Kampfjets den Luftraum und damit auch die grossen Städte. Beinahe täglich bombardiert das Militär nicht nur Einheiten der Rebell:innen, sondern auch Dörfer, Schulen und Krankenhäuser.

«Wenn wir eine Luftverteidigung oder Störsender für Drohnen hätten, wäre es ein Leichtes, den Highway einzunehmen», sagt Ko Bake. Er sitzt am Hang eines kleinen Hügels im Dschungel, wenige Kilometer vom Highway entfernt, und schaut auf das Tablet in seiner Hand. Es zeigt eine Karte, auf der mit roten und blauen Punkten die Stellungen der Armee und der Rebell:innen eingezeichnet sind. Das Camp hier ist eine davon. Es besteht aus kleinen Unterständen aus Bambus, die über den Hang verteilt sind. Eine Konstruktion aus Schläuchen liefert Trinkwasser aus einem nahe liegenden Fluss. An einem der Unterstände weht die Fahne der Gruppe, ein weisser Stern auf rotem Grund.
Die Tanintharyi-Region, durch die der Highway 8 in nordsüdlicher Richtung verläuft, liegt im schmalen südlichen Zipfel von Myanmar. Auf der einen Seite die lange Küste an der Andamanensee, auf der anderen die Grenze zu Thailand. Von der thailändischen Grenze zum Camp dauert die Reise mit den Geländewagen der Rebell:innen rund drei Tage. In monatelanger Arbeit haben diese mit Bulldozern kleine Sandpisten durch den Dschungel geschlagen, um Wege zu erschliessen, die vor Luftangriffen sicher sind. Mit der jetzt einsetzenden Regenzeit verwandeln sich diese in kaum passierbare Schlammpisten. Immer wieder bleiben Fahrzeuge stecken. Unterwegs im Dschungel, passiert man unscheinbare Kontrollpunkte verschiedener Widerstandsgruppen, Schranken aus Tau und Bambusstäben, an denen die Uniformen und Abzeichen kontrolliert werden, die die Zugehörigkeit anzeigen.
Der umkämpfte Highway

Aufstand statt Wehrpflicht
Über 130 Minderheiten leben in Myanmar. Als Staatsgründer Aung San 1947 mit den britischen Kolonialherren über die Unabhängigkeit verhandelte, versprach er den verschiedenen ethnischen Gruppen Autonomie in einem zukünftigen föderalen Staat. Doch so weit kam es nicht, Aung San wurde von politischen Rivalen ermordet. Danach wurde ein zentralistischer Staat eingerichtet, an dessen Spitze sich 1962 das Militär putschte. Die Generäle beherrschten das Land jahrzehntelang autoritär, bereicherten sich auf Kosten der Bevölkerung.
Forderungen nach mehr Föderalismus galten als Separatismus, Widerstand wurde brutal unterdrückt. Bis der innere Druck durch Proteste und das katastrophale Missmanagement der Generäle zu gross wurde und es ab 2011 zu einer Phase vorsichtiger Reformen kam. Erstmals wurden Wahlen zugelassen, die 2015 die National League for Democracy unter Aung San Suu Kyi gewann. Die Jahre bis 2021 seien eine gute Zeit für Myanmar gewesen, sagt Ko Bake: «Das Land begann, sich zu entwickeln, in unserer Region konnten wir die Dinge selber in die Hand nehmen.» Auch wenn unter Suu Kyi vieles falsch gelaufen sei. So schwieg die Regierungschefin etwa weitgehend zu den ethnischen Säuberungen und Kriegsverbrechen der Armee 2017 an der muslimischen Minderheit.

Von seinem Unterstand lässt er den Blick über das Lager schweifen. Eine drückende Schwüle hängt in der Luft, nur ab und an wird sie von heftigen Regenschauern unterbrochen. Eine Gruppe junger Rebellen, freie Oberkörper, die Sturmgewehre lässig über die Schulter gehängt, trägt frische Lebensmittel den Hügel hinauf. Andere dösen in Hängematten im Schatten der Bäume.
Die meisten der jungen Frauen und Männer, erzählt Ko Bake, hätten sich nach dem Putsch der Militärjunta nicht mehr beugen wollen und sich stattdessen Widerstandsgruppen angeschlossen. Andere seien vor der Wehrpflicht, die letztes Jahr von den Generälen für Männer und Frauen eingeführt worden war, in den Dschungel geflohen.
Im Pyjama auf der Armeestation
Ko Bake ist Bürgermeister der Stadt Dawei mitten in Tanintharyi, als die Militärs vor vier Jahren putschen. An einem frühen Montagmorgen klopfen Soldaten an die Tür seines Hauses. Noch im Schlafanzug bringen sie ihn auf eine Armeestation, wo er eine Erklärung unterzeichnen soll, sich nicht gegen die Militärs zu stellen. Er weigert sich und unterschreibt am nächsten Tag seine Kündigung.
Nach Jahren demokratischer Reformen und verlorener Wahlen fürchtet Militärchef Min Aung Hlaing um seinen Einfluss. Unter dem Vorwand, gegen angeblichen Wahlbetrug vorzugehen, putscht er sich im Februar 2021 erneut an die Macht. Um Widerstand vorzubeugen, lässt er das Internet abstellen und neben der Regierungschefin und Mitgliedern ihrer Partei auch etliche Beamte verhaften.
Wochenlang organisiert Ko Bake über Facebook Proteste gegen die Militärs in seiner Heimatstadt. Die Soldaten antworten auf die Demonstrationen im ganzen Land zuerst mit Tränengas und Gummigeschossen, später mit scharfer Munition. Allein in den ersten Wochen der Proteste sterben Dutzende Menschen, Zehntausende werden festgenommen. Ko Bake wird Zeuge, wie ein junger Demonstrant in den Kopf getroffen wird. Er beschliesst, sich den Rebell:innen im Dschungel anzuschliessen.
Zwei Monate nach dem Putsch erreicht er die Nachbarregion Karen im Grenzgebiet zu Thailand und lässt sich dort von der Karen National Liberation Army, einer ethnischen Rebell:innengruppe, die bereits seit den sechziger Jahren gegen die Armeeherrschaft kämpft, zwei Monate lang im Guerillakampf ausbilden. Die Rekrut:innen hängen bei Schiessübungen Bilder des Diktators Min Aung Hlaing und anderer Generäle an die Zielscheibe. «Ihre Gesichter schmerzen uns, so trainieren wir das Schiessen», sagt Ko Bake.

Seit dem ersten Putsch 1962 hätten sich die Generäle ein System aufgebaut, das vor allem ihrem eigenen Reichtum diene. Das System habe mit der misslungenen Staatsgründung von 1948 angefangen. Wäre der Staatsgründer damals nicht ermordet worden, wäre Myanmar heute eine föderale Demokratie, glaubt Ko Bake. «In dieser Revolution werden wir beenden, was 1948 begonnen wurde.»
Als er 2023 als Kommandant der People’s Defence Force entsandt worden sei, habe es in Tanintharyi nur ein paar versprengte Guerillaeinheiten gegeben. Stück für Stück hätten die Rebell:innen zuerst die hügelige Landschaft an der thailändischen Grenze befreit und wichtige Verbindungsstrassen besetzt, um sich später zum Highway vorzukämpfen. Heute kontrollieren sie laut Ko Bake mehr als siebzig Prozent der Strecke. Das Gebiet um den Highway 8 gehört zu den am heftigsten umkämpften im Bürgerkrieg. Sollten die Rebell:innen den Highway vollständig kontrollieren, könnte es für die Junta schwierig werden, ihre Stellungen im Süden zu verstärken und zu versorgen.
Kurz bevor die Sonne hinter den Hügeln verschwindet, klettern zwei befreundete Kommandanten einen kleinen Pfad empor. Während sich ihre Einheiten unter die Leute im Camp mischen, ist die Stimmung unter den Anführern ernst. Seit wenigen Stunden soll eine Einheit des Militärs in Richtung des Camps marschieren. Ko Bake und seine Männer wissen: Sollte das Militär einen solchen Vorstoss tatsächlich wagen, böte sich für sie die Chance zu einem Gegenschlag. Während das Militär mit seinen Jets in der Luft überlegen ist, sind die Soldaten meist schlecht ausgebildet und unmotiviert. Gleichzeitig bliebe den Rebell:innen nichts anderes übrig, als auf einen Angriff der Armee zu warten, sagt Ko Bake. Denn diese setze bei Vorstössen der Rebell:innen entlang des Highways die Bevölkerung immer wieder als menschliche Schutzschilde ein und bombardiere wahllos Dörfer. «Sie könnten den Verkehr auf dem Highway stauen, es gäbe viele zivile Opfer.»
Bomben auf Dörfer
Knapp zehn Kilometer weiter südlich sitzen an einem Nachmittag Tun Naing und seine Frau Nge Nge mit ihrer Tochter in einem kleinen Haus unweit des Highways. Vor rund einem Monat ist die Familie aus ihrem Dorf Seing Bong vor den Bombardements der Armee geflohen. Mit fünf anderen Familien teilt sie sich seither das Haus einer Bekannten. Die Sonne brennt auf das Blätterdach über den beiden, Nge Nge wedelt sich mit einem kleinen Fächer Luft zu. Die sechsjährige Tochter ist neben ihnen auf einem kleinen Teppich eingeschlafen.
Es war die Nacht des 21. April, als Naing einen lauten Knall hörte. Es sei mittlerweile üblich, dass die Armee von ihren Basen im Dschungel auf die Dörfer schiesse, sagt er. Hastig hätten sie die Kinder aus der Nachbarschaft in den kleinen Keller unter dem Haus gebracht, der ihnen als Bunker diente. Nur wenige Minuten später schlug die nächste Granate ein. Sie zerstörte den vorderen Teil des Hauses. Durch Glück wurde lediglich eines der Kinder leicht verletzt. «Wir harrten die ganze Nacht im Keller aus, erst am Morgen sahen wir die Zerstörung», erzählt Naing.

Eigentlich würde der 56-Jährige in dieser Jahreszeit den Kautschuk von den Bäumen seiner Plantage ernten und diesen auf einem Markt im nahe gelegenen Ye verkaufen. Stattdessen haben er und seine Familie nach den Angriffen zusammen mit den anderen rund 200 Bewohner:innen ihr Dorf verlassen. Erst an diesem Morgen hätten sie erneut Artilleriebeschuss aus der Richtung ihres Dorfes gehört.
Nur einmal sei er mit einer Gruppe dorthin zurückgekehrt, um nach ihrem Grundstück zu sehen. In der Nähe des von der Junta kontrollierten Gebiets wurden sie an einem Checkpoint am Highway verhaftet und zwei Stunden lang verhört. Was die Bilder vom zerstörten Haus auf seinem Telefon zu suchen hätten, fragten die Soldaten, ob er Journalist sei, ob er Mitglieder des Widerstands kenne. «Es gibt so viele Fälle von Menschen, die verschwunden sind – ich dachte, sie werden mich töten», sagt Naing. Doch sie liessen ihn gehen.
Dass Zivilist:innen ins Visier des Militärs geraten, ist nicht neu. Bereits in den sechziger Jahren etablierte sich im Kampf gegen Aufstandsbewegungen innerhalb der myanmarischen Armee die sogenannte «Four Cuts»-Doktrin. Sie zielt darauf ab, Aufständischen den Zugang zu Nahrung, Geld, Informationen und neuen Rekrut:innen zu entziehen. Laut einem Bericht der Uno ist diese repressive Taktik seit dem Putsch 2021 die Grundlage für zahlreiche Luft- und Artillerieangriffe, für Brandschatzung und Vertreibung, die Verweigerung humanitärer Hilfe. Die Zahl der Angriffe durch Kampfjets, Drohnen und Artillerie hat sich laut der NGO Armed Conflict Location and Event Data (ACLED) im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt – auf durchschnittlich zwei am Tag. Sogar als in diesem März ein verheerendes Erdbeben das Land heimsuchte und die Rebell:innen eine dreissigtägige Waffenruhe ankündigten, liessen die Generäle die Bevölkerung weiter bombardieren.
Kurz nach dem Putsch drängte die myanmarische Exilregierung bei der Uno auf Interventionen im Rahmen des Prinzips der Internationalen Schutzverantwortung. Hilfe kam bisher keine – auch weil Russland und China im Uno-Sicherheitsrat ihr Veto einlegten. Zwar hat etwa die EU Sanktionen verhängt, doch findet der Bürgerkrieg in Myanmar bis heute weitgehend ausserhalb des internationalen Rampenlichts statt, das auf die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten gerichtet ist.
Gleichzeitig richtete man die Hoffnung im Westen lange vor allem auf die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die zunächst auf friedlichem Weg versuchte, sich gegen die Militärs zu wehren. «Aber haben wir während ihrer Zeit Frieden bekommen?», fragt Ko Bake. Suu Kyi habe versucht, die Armee zu reformieren, aber sie sei von den Generälen betrogen worden.
Baupläne aus der Ukraine
Knapp hundert Meter über dem Camp, unter dem sich der Dschungel wie eine sattgrüne Decke bis zum Horizont erstreckt, steht die Drohnenpilotin Eain Pyay vor einer kleinen Baracke und zeigt auf die blaue Granate, die einer der Kämpfer gerade auf eine Waage legt. Knapp ein Kilogramm wiegt der Sprengsatz. «Wir füllen sie mit TNT, Nägeln und Metallresten», sagt sie.
Pyay, deren Kampfname so viel bedeutet wie «Die von zu Hause Weggelaufene», ist die Chefin des Drohnenprogramms der Einheit. Sie trägt ein Shirt mit beigem Camouflagemuster. Auf ihrem Gesicht hat sie Thanaka-Creme aufgetragen, eine gelbliche Paste aus fein geriebener Baumrinde, die in Myanmar häufig als Sonnenschutz und Hautpflege verwendet wird.
Schon als Kind erlebte die ehemalige Schneidern die Kämpfe zwischen Militär und ethnischen Rebell:innen in Tanintharyi mit. Nach dem Putsch ging sie auf die Strasse und wurde zu einer der zivilen Anführer:innen des Protests. Als ihr das Militär auf die Spur kam, musste sie in den Dschungel fliehen. Damit ihr Mann und ihre drei Kinder nicht bedroht würden, habe die Familie überall verbreitet, dass sie mit einem Fremden durchgebrannt sei und das gesamte Vermögen gestohlen habe. «Aber hier wissen alle, dass ich so was nicht mache», sagt Pyay und lacht.
Anfangs habe sie Wäsche gewaschen und für die Kämpfer gekocht. Aber irgendwann habe sie es nicht mehr ausgehalten. «Jetzt kämpfe ich an der Front», sagt sie. In einem Camp der Einheiten der Exilregierung wurde sie als Drohnenpilotin ausgebildet. Als die Rebell:innen 2022 eine grosse Marinebasis der Armee, weiter nördlich am Highway gelegen, angriffen, schlich sie sich mit ihrer Einheit zu Fuss bis auf wenige Kilometer an die feindlichen Truppen heran, bevor sie ihre Drohnen losschickte. Sie trage eine grosse Verantwortung. «Als Schneiderin konnte ich Fehler beim Nähen ausbessern», sagt sie. «Bei Drohnen geht das nicht, sie können auch Zivilist:innen treffen.»

In einem kleinen Notizbuch zeigt sie Skizzen von Flügeln und Rümpfen, aus denen die Einheit eigene Drohnen baut. Inspiration dafür komme auch von der ukrainischen Armee. «Wir schauen uns ihre Modelle im Internet an und modifizieren sie für unsere Zwecke.» Das Material komme meist aus Thailand. Die Drohnen seien damit um ein Vielfaches billiger als herkömmliche, sie könnten kleine Sprengköpfe bis zu achtzehn Kilometer weit tragen.
Verschaffen die Drohnen den Rebell:innen im Kampf gegen die oft schlecht ausgerüstete Armee Vorteile, so hat diese mittlerweile auch dank der technischen Unterstützung aus dem Ausland deutlich aufgeholt. Seit Anfang des Jahres können die Rebell:innen wegen neuer Störsender der Armee, die GPS-Signale und Frequenzen blockieren, kaum noch Drohnen starten lassen. «Wir könnten sie zwar im Notfall als Kamikazeeinheiten zu ihrem Ziel fliegen lassen, doch das ist einfach zu teuer», sagt Pyay.
Während die Junta jahrelang vor allem Unterstützung aus China erhalten habe, wachse nun auch der Einfluss Russlands, das seinen Einfluss im Indopazifik ausbauen wolle, sagt Myanmarexperte Richard Horsey von der Denkfabrik International Crisis Group. Erst im März traf der myanmarische Diktator Hlaing Wladimir Putin und unterzeichnete ein Abkommen, das neben der Lieferung von Kriegsmaterial neue Konsulate in Russland und den Bau eines kleinen Atomkraftwerks vorsieht. Zudem hatten sich beide Länder bereits zu Beginn des Jahres über den Bau eines Handelshafens in der Stadt Dawei verständigt. Zwar sei es fraglich, so Horsey, ob Russland langfristig die finanziellen Mittel besitze, um seine angepriesenen Investitionen auch wirklich umzusetzen. Zudem erfolge die Annäherung zum Leidwesen Chinas, das Myanmar ebenfalls als sein geopolitisches Einflussgebiet betrachte und versuche, den Konflikt nach seinen eigenen Interessen zu lenken. Zum grössten Problem für die Rebell:innen könnten aber die russischen Kampfjets und Drohnen werden, wenn sie die Deckung des Dschungels verliessen, um Städte einzunehmen: «Das Risiko ist gross, dass die Städte danach als Vergeltung rücksichtslos vom Militär bombardiert werden», sagt der Experte.
Auch Kommandeur Ko Bake macht sich wegen der Aufrüstung durch Russland Sorgen. Auch er befürchtet Strafaktionen, falls die Rebell:innen das Gebiet um den geplanten russischen Hafen in seiner Heimatstadt einnehmen würden. «Die Welt weiss um die Brutalität der Armee und die Unterstützung durch China und Russland – dennoch hilft uns niemand», sagt er.
Im Camp hat sich die Aufregung wieder gelegt. Informanten haben den Rebell:innen gemeldet, dass sich die Einheit der Armee zurückgezogen habe. Spätestens nach dem Ende der Regenzeit soll es eine neue Offensive geben. Denn im Dezember könnte sich Armeechef Min Aung Hlaing mutmasslich durch eine inszenierte Wahl zum neuen Präsidenten wählen lassen. Bis dahin wollen die Rebell:innen weitere Teile des Highways befreien. Mit oder ohne westliche Unterstützung.
Diese Recherche wurde durch den Medienfonds von «real21 – die Welt verstehen» finanziell unterstützt. Mitarbeit: Yan Naing.