Myanmar: Eine gefährliche Pattsituation

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Der bewaffnete Widerstand gegen die Militärregierung hält an, deren brutales Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung ebenso. Dass sich mittlerweile mehrere Asean-Staaten gegen die Junta in Myanmar positionieren, ist bemerkenswert. Doch die Situation ist festgefahren.

In der Region Magway, im Zentrum von Myanmar, brannten Soldaten der Junta mehr als 180 Dörfer nieder. In der westlich gelegenen Region Chin wurden in einem Dorf die Leichen von zehn Zivilist:innen entdeckt – darunter ein dreizehnjähriges Kind –, die von Truppen des Regimes als menschliche Schutzschilde benutzt worden waren. Bei einem Luftangriff auf ein Flüchtlingslager in der Region Kayah, etwas östlich von der Hauptstadt Naypyidaw, wurden an Weihnachten 35 Menschen von der Armee umgebracht, darunter Frauen, Kinder und zwei Mitarbeitende des Kinderhilfswerks Save the Children. In Sagaing im Norden verbrannten Juntasoldaten gefangene Widerstandskämpfer bei lebendigem Leib.

Das ist nur eine Auswahl von Berichten über Gräueltaten seit dem vergangenen Dezember. Sie zeugen von der Taktik der verbrannten Erde, die die Junta gegen die myanmarische Bevölkerung verfolgt.

Schwächelt die Junta?

In den ersten Wochen nach dem Putsch, den die Militärs unter General Min Aung Hlaing am 1. Februar 2021 vollführten, leisteten die Menschen zunächst mit friedlichen Streiks und Demonstrationen Widerstand. Die Junta liess auf Demonstrant:innen schiessen, nahm bei nächtlichen Razzien Hunderte Menschen fest, in der Grossstadt Rangun raste ein Militärfahrzeug vorsätzlich in eine Gruppe Protestierender. Der Widerstand liess sich jedoch nicht brechen: «Jede Gewaltaktion der Junta lässt den Hass der Menschen auf das Regime wachsen und ihre Entschlossenheit, die Macht des Militärs ein für alle Mal zu brechen», sagt David Mathieson, unabhängiger Analyst der myanmarischen Politik, telefonisch aus dem thailändischen Chiang Mai.

Seit September 2021 führt die neue Volksverteidigungsarmee (PDF) der Schattenregierung National Unity Government (NUG) in vielen Landesteilen einen Guerillakrieg gegen die Armee. In mehreren Landesteilen, die zu einem guten Teil von den bewaffneten Milizen der jeweiligen Bevölkerungsgruppen kontrolliert werden, kämpfen PDF-Einheiten an deren Seite.

Ein Epizentrum des Widerstands ist in diesen Tagen die Region Kayah: Seit Anfang Januar lässt die Militärjunta dort die Hauptstadt Loi-kaw bombardieren. Der grösste Teil der rund 50 000 Einwohner:innen ist vor den Kämpfen geflohen. Sie gehören damit zu den über 350 000 Menschen, die sich in einigen der am heftigsten betroffenen Gebiete gemäss Uno-Angaben auf der Flucht befinden. Einem Bericht der Bürgerrechtsorganisation Alternative Asean Network on Burma zufolge blockiert die Armee die Lieferung von Hilfsgütern; das Welternährungsprogramm der Uno warnte im Dezember, dass aufgrund der aktuellen dreifachen Katastrophe – Pandemie, bewaffneter Konflikt und wirtschaftliche Krise – die Hälfte der 55 Millionen Myanmar:innen von Armut und Hunger bedroht sind.

Für den Analysten Mathieson sind die Luftangriffe auf Loi-kaw wie auch auf Orte in Chin ein Zeichen der Schwäche der Junta. «Es ist im jahrzehntelangen Kampf der Armee die übliche Praxis, die Luftwaffe einzusetzen, wenn die Bodentruppen den für Autonomie kämpfenden ethnischen Milizen unterlegen sind», erklärt er. Im Mehrfrontenkrieg der Armee scheint dies der Fall zu sein, wie inzwischen fast täglich eintreffende Meldungen in myanmarischen Exilmedien vermuten lassen, deren Reporter:innen unter Lebensgefahr aus dem Land berichten.

Khin Zaw Win, Politologe aus Rangun und ehemaliger politischer Gefangener, weiss von einer wachsenden Zahl von Überläufern zur PDF: Mindestens 2500 Soldaten und über 6000 Polizisten hätten bereits die Seiten gewechselt, sagt er gegenüber der WOZ. Die Junta weise solche Berichte als Fake News zurück, so Khin Zaw Win. Dem widerspreche allerdings, «dass hochrangige Offiziere das Land bereisen, um den Truppen vor Ort Mut zu machen und die nachlassende Moral zu stärken».

Zwist im Staatenbund

Im Schwächeln der Armee einen Hoffnungsschimmer für einen baldigen Sieg des demokratischen Widerstands zu sehen, wäre dennoch falsch. «Zwischen Myanmars Militärregime und den Widerstandskräften hat sich eine gefährliche Pattsituation entwickelt», warnte Ende Oktober die NGO International Crisis Group: «Beide Seiten sind entschlossen, sich durchzusetzen, aber es scheint, dass keine von beiden in Kürze einen K.-o.-Schlag liefern wird.» Das trifft bis heute zu.

Zwar haben die Militärs auf internationalem Parkett nicht viele Freunde, aber mit Russland als wichtigstem Waffenlieferanten einen mächtigen Partner. Unklar ist die Rolle Chinas: Die Volksrepublik hält einerseits im Uno-Sicherheitsrat ihre schützende Hand über die myanmarischen Generäle und steht zudem im Verdacht, ebenfalls Waffen zu liefern. Gleichzeitig ist die Regierung von Xi Jinping aber zutiefst beunruhigt über den eskalierenden Konflikt im Nachbarland, das ein wichtiger Handelspartner und als Transitland zum Indischen Ozean von immenser Bedeutung ist.

Die Junta ist zu keinerlei Verhandlungen bereit. Im April letzten Jahres hat der südostasiatische Staatenbund Asean, dem Myanmar neben neun weiteren Ländern angehört, einen Fünfpunkteplan zur Deeskalation beschlossen. Weil die myanmarischen Militärs diesen torpedieren, wurden sie von den Asean-Staaten von ihren Konferenzen ausgeladen. Entsprechend verärgert waren einige Staatsoberhäupter, als Kambodschas Premierminister Hun Sen zum Jahresbeginn einen Alleingang wagte: Als neuer, turnusgemässer Asean-Vorsitzender stattete er der Junta als erster Regierungschef überhaupt einen offiziellen Besuch ab.

Nun befürchten Asean-Politikerinnen und -Diplomaten, Hun Sen strebe die Anerkennung der Militärregierung in Myanmar an. Der philippinische Aussenminister Teodoro Locsin erklärte jüngst jeden Dialog mit Myanmar ohne die Teilnahme der gestürzten Regierungschefin Aung San Suu Kyi für «bedeutungslos». In einer Videobotschaft stellte Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong klar, Myanmar müsse so lange weiterhin von Asean-Konferenzen ausgeschlossen bleiben, bis die Junta den Fünfpunkteplan umsetze. Ähnlich äusserten sich die Aussenminister:innen Indonesiens und Malaysias.

Regierungschefin vor Gericht

Für David Mathieson ist die Spaltung innerhalb der Asean, die ihr Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitglieds zuvor stets eisern verteidigt hat, «sehr bemerkenswert». «Diese vier Länder sind richtig verärgert», sagt er. «Und je länger Junta-Chef Min Aung Hlaing das Chaos in Myanmar befeuert, desto eher werden sie sich nach alternativen Gesprächspartnern im Land umsehen: etwa die NUG und die Parteien und Milizen der einzelnen Bevölkerungsgruppen.»

Seit dem Putsch wurden nach Angaben der Gefangenenhilfsorganisation «Assistance Association for Political Prisoners (Burma)» 1486 friedliche Demonstrant:innen von Armee und Polizei erschossen. Unter den 8687 Verhafteten, Angeklagten oder bereits Verurteilten ist die ehemalige Regierungschefin Aung San Suu Kyi, die in Naypyidaw an einem unbekannten Ort inhaftiert ist: Zuletzt wurde die 76-Jährige in zwei Prozessen zu insgesamt vier Jahren Haft verurteilt und sieht sich sechzehn weiteren Anklagen gegenüber.