Zwei Jahre Putsch in Myanmar: Wer twittert, lebt gefährlich

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In Myanmar geht die Militärjunta weiterhin brutal gegen jeden Widerstand vor. Im Sommer will sie nun ein Parlament wählen lassen – die Opposition ruft zum «stillen Streik» auf.

eine vor der Junta geflohene Frau harrt in einer behelfsmässigen Behausung im Dschungel aus
An der Grenze zu Thailand: Eine vor der Junta geflohene Frau harrt in einer behelfsmässigen Behausung im Dschungel aus. Foto: Athens Zaw Zaw, Keystone

Seit dem Putsch vom 1.  Februar 2021 führt die Militärjunta in Myanmar Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Nur ein Beispiel für deren grausames Vorgehen: Im Oktober ermordeten Soldaten den Lehrer U Saw Tun. Sie enthaupteten ihn, platzierten die Leiche am Eingang einer Schule, die die oppositionelle Regierung der Nationalen Einheit (NUG) finanziert, und steckten drei abgeschnittene Finger des Opfers zwischen dessen Schenkel. Der «Drei-Finger-Salut» aus der Filmreihe «Tribute von Panem» ist das Zeichen des Widerstands gegen die Junta.

Die Bürgerkriegsrealität dokumentieren Menschenrechtsorganisationen in nüchternen Zahlen: Mehr als zwei Millionen Menschen wurden durch die Kämpfe zwischen Armee und bewaffnetem Widerstand zu Binnenvertriebenen, über 17 500 wurden verhaftet, mehr als 100 zum Tod verurteilt, mindestens 700 starben unmittelbar nach ihrer Festnahme durch Folter oder Exekutionen. Die gestürzte Regierungschefin Aung San Suu Kyi liess die Junta in fünfzehn Prozessen zu insgesamt 33 Jahren Haft verurteilen.

Aus Rache hat die Armee seit dem Putsch mehr als 40 000 Häuser niedergebrannt. Zudem lässt das Regime seine Luftwaffe verstärkt Stellungen des Widerstands und auch ganze Dörfer bombardieren. Die Volksverteidigungsarmee der NUG und die bewaffneten Milizen ethnischer Minderheiten hatten die Bodentruppen der Junta in weiten Teilen des Landes in die Defensive gebracht und in manchen Regionen eigene Verwaltungen aufgebaut.

Die «Birmanisierung»

Seit mehr als 75 Jahren kämpfen die ethnischen Minderheiten Myanmars für Autonomie in einem föderalen Staat. Seit dem Putsch im Jahr 1962 ist das Militär fast ununterbrochen an der Macht. «Die Armee versteht ihren Job als ‹nation building› auf Basis der Werte und Traditionen des Buddhismus der birmanischen Mehrheitsethnie», sagt Anthony Davis, ein in Bangkok ansässiger Analyst des Militärmagazins «Jane’s». «Gegen diese Birmanisierung wehren sich die ethnischen Minderheiten.»

Frühere Aufstände, etwa jener von Student:innen im Jahr 1988 oder die «Safranrevolution» 2007, wurden von buddhistischen Mönchen getragen, während weite Teile der Birman:innen loyal zum Militär standen. Das sei heute anders, sagt David Eubank. «Niemals zuvor in der Geschichte Myanmars hat es unter Religionen, Ethnien, Stämmen und Menschen aller gesellschaftlichen Gruppen eine solche Einigkeit gegen das Militär gegeben», sagt der Gründer und Chef der Hilfsorganisation Free Burma Rangers.

Eine Lösung des Konflikts ist derzeit nicht in Sicht. Die Widerstandsorganisationen sind zwar im Kampf gegen den gemeinsamen Feind vereint, über die Zukunft des Landes allerdings uneins. «Schlagwörter sind ‹Demokratie› und ‹Föderalismus›. Aber besonders über die Art des Föderalismus existieren unterschiedliche Vorstellungen», sagt Militäranalyst Davis.

Junta-Unterstützung aus Thailand

China und Russland halten unterdessen ihre schützende Hand über die Junta und versorgen sie mit Waffen. Westliche Staaten haben Sanktionen gegen hochrangige Militärs und Firmen des militärisch-wirtschaftlichen Komplexes von Myanmar verhängt. Der vom südostasiatischen Staatenbund Asean im April 2021 beschlossene Fünfpunkteplan zur friedlichen Lösung des Konflikts ist gescheitert: Asean-Mitglied Myanmar boykottiert die Umsetzung und kann sich dabei auf die Unterstützung der autoritär regierten Asean-Staaten Thailand, Kambodscha, Vietnam und Laos verlassen.

Auf der anderen Seite stehen der amtierende Asean-Vorsitzende Indonesien sowie Malaysia, Singapur und die Philippinen, die inzwischen eine härtere Gangart gegen die Junta fordern. Indonesiens Aussenministerin Retno Marsudi will direkte Gespräche mit der oppositionellen NUG führen, was für den Staatenbund bislang ein Tabu war.

Die Junta hat unterdessen für August auf Basis eines massgeschneiderten Gesetzes eine «freie» Parlamentswahl angekündigt. Angesichts der steigenden Zahl von Überläufern aus Polizei und Armee zum Widerstand, der fast täglichen Anschläge auf Einrichtungen und Unterstützer:innen des Regimes und des Bürgerkriegs in mehr als der Hälfte des Landes wird diese allerdings kaum durchführbar sein.

Entsprechend hat der Widerstand gegen die als illegitim betrachtete Wahl bereits zum «stillen Streik» aufgerufen: Geschäfte sollen geschlossen, die Menschen zu Hause bleiben. «Achten Sie darauf, dass Ihre Freunde und Familien die Nachricht auf sichere Weise erhalten», hiess es dazu im Ende Januar verbreiteten Aufruf – und das aus gutem Grund: Polizei und Militär kontrollieren in den Strassen die Handys von Passant:innen. Wer Apps wie Twitter oder Facebook geladen hat, lebt gefährlich.