Frag die WOZ : Wie kann es Weltfrieden geben?
«Wie kann es Weltfrieden geben?»
P. H. via Facebook
Das ist eine sehr gute Frage!
Nimmt man das Wort «Weltfrieden» in den Mund, läuft man Gefahr, rasch als Fantast abgetan zu werden, gerade in einer Gegenwart, in der Waffengewalt wieder eine legitime Option zur Durchsetzung politischer Interessen zu sein scheint. Wobei der Pazifismus (respektive Antimilitarismus) auch früher keinen wesentlich besseren Ruf hatte. Ein gewisser Helmuth von Moltke brachte beispielsweise bereits im 19. Jahrhundert folgende Sätze zu Papier, die es verdienen, in all ihrer Abgründigkeit zitiert zu werden: «Der ewige Frieden ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ist ein Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzung des Lebens. Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen.»
Das hat jetzt doch einen etwas martialischen Vibe, werden Sie sagen – und vielleicht kommt Ihnen gar der Kalenderspruch in den Sinn, dem man immer wieder in den sozialen Medien begegnet: «Wie wärs mit dem Ausbruch des Ersten Weltfriedens?»
Kein Zufall jedenfalls, dass besagter Moltke erstens Generalfeldmarschall und zweitens Deutscher war, also zu dem Teil der Menschheitsfamilie zählte, der empirisch betrachtet einen besonderen Hang zur Anzettelung von Weltkriegen hat. Preusse war allerdings auch Immanuel Kant, der Autor der Broschüre «Zum ewigen Frieden», die das moderne Völkerrecht ebenso wie die Charta der Vereinten Nationen prägte. Schon der Philosoph war sich jedoch darüber im Klaren, dass seine Friedensvision vielen bloss als «süsser Traum» eines Menschen mit wenig Realitätssinn erscheinen würde: Pate für den Titel stand ein Schild an einem Gasthof in den Niederlanden, auf dem der Slogan «Zum Ewigen Frieden» prangte – und zwar über der Abbildung eines Friedhofs.
Trotzdem arbeitete Kant Prinzipien aus, die Staaten unterschreiben sollten, um dem Ziel eines allgemeinen Friedenszustands zumindest näher zu kommen – etwa das Verbot, sich in die inneren Angelegenheit eines anderen Staates einzumischen. Daran halten sich Grossmächte bekanntlich jedoch bis heute nicht, siehe Russland, siehe die USA (apropos: die dreiteilige Dokuserie «Diktaturen, Drogen, Gewalt. Lateinamerika und die USA» in der Arte-Mediathek ist sehenswert.
Was also tun? Den Krieg zur anthropologischen Konstante zu verklären, führt offensichtlich nicht weiter. Umgekehrt scheitern auch bloss moralische Forderungen nach Gewaltverzicht immer wieder an der Wirklichkeit. Trotzdem wäre gerade heute eine Stärkung des Völkerrechts wichtig. Was es darüber hinaus braucht, sind Antworten auf die Frage, was genau die in der gesellschaftlichen Ordnung begründeten Dynamiken sind, die zu kriegerischen Konflikten führen. Sind diese begriffen, lassen sich auch Gegenstrategien entwickeln.
Einen aktuellen Einstieg in die Materie bietet da das eben auf Deutsch erschienene «Der Rest und der Westen. Kapital und Macht in einer multipolaren Welt» von Sandro Mezzadra und Brett Neilson, erschienen im Dietz-Verlag, Berlin. Einen Essay von Mezzadra und seinem US-amerikanischen Kollegen Michael Hardt finden Sie zudem auch in der WOZ Nr. 23/24.
Zugegeben: Texte zu lesen, bringt auch nicht viel, wenn die Helmuth von Moltkes dieser Welt ihre Panzer losgeschickt haben. Aber es spricht ja nichts dagegen, sich neben der Lektüre auch in der nächstgelegenen friedenspolitischen Initiative zu engagieren.
Immer montags beantworten wir in der Rubrik «Frag die WOZ» jeweils eine wirklich (un)wichtige Leser:innenfrage. Noch Fragen? fragdiewoz@woz.ch!