Frag die WOZ : Ist die Romandie die bessere Schweiz?

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«Ist die Romandie die bessere Schweiz?»

S. H., per Mail

Das ist eine sehr gute Frage, die sich mit einem «mais bien sûr!» beantworten lässt. Dass das Französische mit seiner Sinnlichkeit, seiner Melodie, kurz in Bezug auf seine «beauté» zumindest dem Deutschen klar überlegen ist, muss gar nicht erst diskutiert werden. Abgesehen von der Sprache lockt einen die Romandie, übrigens keine Selbstbezeichnung von Bewohner:innen der «suisse romande», etwa mit ihrer Weinkultur über den Röstigraben. Um die hier subjektiv ausgeprägtere «joie de vivre» und Entspanntheit zu erreichen, ist es natürlich hilfreich, schon mittags ein paar Gläser Chasselas zu kippen. So lassen sich auch Probleme, die auf dieser Seite der Sprachgrenze tatsächlich existieren – man denke etwa ans Thema «Polizeigewalt in Lausanne» –, besser vergessen. Doch genug der Klischees.

Viel wichtiger und weniger subjektiv für die Beantwortung der gestellten Frage ist natürlich die Tatsache, dass die Romandie politisch gesehen eindeutig linker ist als die Deutschschweiz (die anderen Landesteile kommen in dieser Gegenüberstellung zu kurz, sorry). Nicht nur ist die SVP hier noch deutlich schwächer, auch sind progressive Anliegen, von denen man anderswo bloss träumen kann beziehungsweise die in eidgenössischen Abstimmungen trostlos abgeschmettert werden, in der Westschweiz bereits Realität. Ob gratis ÖV für Junge in Genf, gedeckelte Krankenkassenprämien in der Waadt, Stimmrecht für Ausländer:innen auf kantonaler Ebene im Jura und in Neuenburg: «Ici, c’est normal.»

Bei nationalen Abstimmungen zeigen die Romand:es so standardmässig ein ausgeprägteres Klassenbewusstsein als die Mehrheit der Restschweiz, dass vielleicht die eine oder andere linke Deutschschweizerin schon mal wünschte, man könnte sich mit der Westschweiz zusammentun und die Innerschweiz einfach ihren Pauschalbesteuerten überlassen. Insbesondere in der Stadt Bern, wo ein solches Vorhaben auch in geografischer Hinsicht nicht ganz abwegig wäre, gibt sich mit Sicherheit die eine oder der andere am Abend des Abstimmungssonntags jeweils für ein paar Minuten sezessionistischen Tagträumen hin.

Doch damit sollte man aktuell vorsichtig sein, landet man doch seltsamerweise rasch an der Seite von Toni Brunner und Ueli Maurer. Ersterer hat jüngst in einem Podcast die Idee eines neuen «Sonderbunds» diskutiert, in dem sich unter anderem EU-kritische Kantone zusammenschliessen würden, Maurer sprach von der «faszinierenden» Idee, eine neue Eidgenossenschaft aus den Urkantonen zu gründen, an deren Spitze er sich aufopferungsvoll stellen würde. Da ist man mit der Forderung zur Abschaffung der Grenzen dann doch auf der sichereren Seite. Und könnte bei dieser Gelegenheit auch gleich die Abschaffung des Röstigrabens forcieren. Vielleicht wäre das der eigentliche Weg, um die Schweiz ein bisschen mehr Romandie werden zu lassen – denn festzustellen, dass sie besser ist, hilft ja irgendwie auch nicht weiter.

Immer montags beantworten wir in der Rubrik «Frag die WOZ» jeweils eine wirklich (un)wichtige Leser:innenfrage. Noch Fragen? fragdiewoz@woz.ch!