Auf allen Kanälen: «Fussball, Ficken, Feminismus»
Nah bei den Fans und kritisch gegen jegliche Kommerzialisierung: Das Wiener Fussballmagazin «ballesterer» überzeugt mit Charme, Schmäh und Tiefgang.

Politik habe im Fussball nichts verloren – heisst es immer wieder. Das jüngste Beispiel für ein solches Verständnis des Ballsports lieferte der BSC YB, der seiner mittlerweile ehemaligen Spielerin Noa Schärz nahegelegt hatte, sich «nicht öffentlich politisch zu äussern», nachdem sie im Interview ihren Lohn genannt hatte (siehe WOZ Nr. 32/25). Ganz anders sieht dies das Wiener Fussballmagazin «ballesterer». Ein kritischer gesellschaftspolitischer Blick gehört von Beginn an zu den Grundsätzen der Berichterstattung. Dieses Jahr feiert das Heft, das von Student:innen gegründet wurde und nach einem österreichischen Wort für Fussballer benannt ist, sein 25-Jahr-Jubiläum.
Man sei ein wenig konservativ, sagt Ko-Chefredaktorin Nicole Selmer, denn auch vielen anderen Prinzipien sei man treu geblieben. Die studierte Literaturwissenschaftlerin schreibt seit über fünfzehn Jahren für den «ballesterer». Zu den Prinzipien des Blattes gehöre, dass man gegen Diskriminierungen aller Art sei, kritisch gegenüber der Kommerzialisierung des Fussballs und nahe bei den Fans.
Den «ballesterer» zeichnet zudem aus, dass er sehr österreichisch ist und zugleich sehr international. So werden Austriazismen gepflegt, etwa wenn die Verhaberung (gegenseitige Begünstigung) kritisiert oder ein Pickerl (Aufkleber) analysiert wird. In jedem Heft finden sich Artikel zu österreichischen Vereinen, zur Rapid oder zur Austria, zum GAK oder zum WAC. Ein Grossteil der Texte widmet sich jedoch dem internationalen, meist dem europäischen Fussball. Nicht selten gibt es Schwerpunkte zu Osteuropa, zu Orbáns Fussballwelt etwa, zum Krieg gegen die Ukraine oder zu Hajduk Split. Auch die deutschen und italienischen Ligen sind immer wieder Thema.
Ultras singen, malen und basteln
Auch wenn Selmer aktuell die einzige Frau im ständigen Team ist, überrascht es nicht, dass der «ballesterer» schon seit vielen Jahren regelmässig über Frauenfussball und Frauen in der Fussballkultur berichtet. «Frauen in der Fankurve» heisst ein älteres Heft, das man als typisch für das Blatt bezeichnen kann, auch weil es unerwartete Perspektiven aufzeigt. Man erfährt etwa, dass österreichische Fussballanhängerinnen Pickerln mit dem Spruch «Fussball, Ficken, Feminismus» drucken liessen – um «die derbe und rebellische Männlichkeit des Fussballs» zu parodieren.
Im selben Heft findet sich ein Interview mit einer Expertin für weibliche Ultras, die auf die Frage, was denn die männlichen Ultras als Fans lernen würden, sagt: «Sie nähen, singen und klatschen, basteln und malen und dichten Spruchbänder. Dies alles könnte in der Beschreibung einer Kindergartenpädagogin stehen.» Dieser Blick auf die Fans, die in anderen Medien kaum zu Wort kommen, und die Nähe zu ihnen haben dem Heft auch schon Kritik als «Hooliganversteher» eingebracht.
Es gibt aber auch erwartbare Rubriken wie die «Taktikseite», auf der kürzlich analysiert wurde, wie die Schweizer Fussballerinnen im Offensivspiel gezielt Dreiecke bildeten. Für ein Fussballheft weniger typisch, findet sich auch eine Gesundheitskolumne, die sich mit Themen wie Arthrose, Sonnenallergie oder Nostalgie auseinandersetzt.
Das Wunder des Jubiläums
Das Blatt liefert aber nicht nur Unterhaltendes. Viele Texte widmen sich historischen Themen. Erwähnenswert ist eine Serie zu «Fussball im Nationalsozialismus», durch die laut Selmer die Aufarbeitung dieses Themas in Österreich erst angestossen wurde.
Zum Jubiläum schreibt der «ballesterer», es grenze an ein Wunder, dass die Zeitschrift bis heute existiere. Das zehnmal jährlich erscheinende Printmagazin konnte 2020 nur durch eine Sammelaktion gerettet werden. Es finanziert sich vor allem über die rund 5000 Abos. Oft werde vorgeschlagen, man solle auf online umstellen, um zu sparen, sagt Nicole Selmer. «Aber wenn man von irgendetwas noch schlechter leben kann als von Printmagazinen, dann ist es Onlinejournalismus.» Passend zum Wunder widmet sich das 200. Heft übrigens dem Thema «Fussball und Religion».