Durch den Monat mit Noa Schärz (Teil 4): Was macht die Faszination des Fussballs aus?
YB-Fussballerin Noa Schärz hofft, dass die Fussball-Europameisterschaft den Frauenfussball in der Schweiz professionalisiert. Doch sie zweifelt daran, dass sie selbst sich in diesen Strukturen wohlfühlen würde.

WOZ: Noa Schärz, nächste Woche beginnt die Fussball-Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz – sind Sie dann im Stadion?
Noa Schärz: Beim Eröffnungsspiel nicht. Bis jetzt habe ich erst ein Ticket. Ich werde das Spiel Polen gegen Deutschland im Stadion schauen. Eine Freundin von mir ist im polnischen Team – ich freue mich, sie spielen zu sehen. Ich kommentiere zudem mehrere Spiele des Schweizer Teams sowie den Final live in einem Public Viewing.
WOZ: Wo denn?
Noa Schärz: Im Restaurant Roter Delfin in Zürich, wo ich früher in der Küche gearbeitet habe.
WOZ: Was ist das für ein Restaurant?
Noa Schärz: Es ist an der Langstrasse, dort wird nach Grundsätzen gekocht, die mir entsprechen: Alle Produkte, auch die Weine, sind regional und bio. Aus einfachen Zutaten werden kreative Sachen gekocht. Nun haben sie mich gefragt, ob ich bei ihnen Spiele kommentieren mag. Ich werde das zusammen mit anderen befreundeten Spielerinnen machen. Ich bin gespannt darauf, denn ich habe das bisher noch nie getan.
WOZ: Wie nehmen Sie die Stimmung in der Öffentlichkeit wenige Tage vor Beginn der EM wahr?
Noa Schärz: Innerhalb der Frauenfussballkreise ist es ein grosses Ding: Alle freuen sich sehr darauf und haben Ferien geplant, damit sie an die Spiele gehen können. In der breiten Öffentlichkeit wissen wohl die meisten, dass der Anlass stattfindet. Ich bin sehr gespannt, wie es sein wird, wenn das Turnier angefangen hat: Sind dann plötzlich alle im Fussballfieber – oder wird das Turnier einfach so nebenbei stattfinden? Klar ist: Insgesamt ist die EM sicher weniger präsent als jeweils die Endrunde der Männer.
WOZ: Sehen Sie den Männerfussball als Vorbild?
Noa Schärz: Nein. Die Summen, die im Männerfussball stecken, sind unvorstellbar hoch. Dorthin zu kommen, ist für den Frauenfussball weder realistisch noch erstrebenswert. Ich finde es nicht gut, wenn Spieler Hunderte Millionen an Ablösesummen kosten. Auch der Männerfussball sollte auf ein normales Mass schrumpfen. Heute ist er enorm dominant, nicht nur innerhalb des Fussballs, sondern auch gegenüber allen anderen Sportarten. Das ist unfair.
WOZ: Und trotzdem übt er eine grosse Faszination aus – auch auf Sie, oder?
Noa Schärz: Nicht der Männerfussball an sich, aber der Fussball grundsätzlich schon.
WOZ: Was fasziniert Sie daran?
Noa Schärz: Ich habe das schon als Kind gemerkt: dass es grossen Spass macht, einen Ball am Fuss zu haben und sich dazu zu bewegen und herumzurennen. Ebenso, Teil eines Teams zu sein und zusammen auf ein Ziel hinzuarbeiten – oder sich gemeinsam über ein Tor zu freuen. Und zusammen auch jene Momente zu erleben, in denen es nicht so läuft. Etwa, wenn ein wichtiges Spiel verloren geht. Das alles in einem Team zu erleben, fasziniert mich.
WOZ: Sie spielen lieber selber, als zuzuschauen?
Noa Schärz: Ja, viel, viel lieber. Ich schaue selber nicht besonders viel Fussball. Auch weil ich mich schon sonst sehr viel damit beschäftige. Männerspiele schaue ich praktisch nie. Zuletzt habe ich die erste Halbzeit von YB gegen Basel gesehen, weil wir vom Frauenteam in der Pause für unseren Meisterinnentitel geehrt wurden und deshalb im Stadion waren. Super, dass YB diese Ehrung organisierte. Ich fand sie schön, aber auch etwas ambivalent. Weil uns da im Stadion viele Menschen zujubelten, die nie an Spiele des Frauenteams kommen.
WOZ: Welchen Effekt erhoffen Sie sich von der EM für den Schweizer Frauenfussball?
Noa Schärz: Ich hoffe, dass sie nicht nur einen kurzfristigen Hype auslöst, sondern eine nachhaltige Wirkung hat. Dies wäre der Fall, wenn die Zahl der Zuschauer:innen in der Liga dauerhaft ansteigt und vor allem noch viel mehr Mädchen Lust bekommen, eines Tages in einem grossen, vollen Stadion zu spielen, und auch deshalb mit dem Spielen anfangen. Eine solche Entwicklung würde ermöglichen, in der ganzen Liga die Strukturen zu professionalisieren und die Betreuung der Spielerinnen zu verbessern. Jedes Team in der obersten Liga sollte eine eigene Garderobe und einen anständigen Platz zum Trainieren haben.
Noa Schärz: Und ja, es braucht bessere Löhne – oder bei einigen Vereinen überhaupt Löhne. Dann wären die Spielerinnen nicht mehr derart stark auf eine andere Lohnarbeit angewiesen und müssten nicht mehr bis um 17 Uhr arbeiten und dann direkt ins Training. Ich fände es super, wenn die Strukturen professioneller würden. Auch wenn ich nicht sicher bin, ob dieser Fussball dann noch etwas für mich wäre.
WOZ: Wie meinen Sie das?
Noa Schärz: Durch die Professionalisierung wird immer mehr von den Spielerinnen erwartet. Ich bin nicht sicher, ob ich mit meinem Lebensstil darin einen Platz fände. Ich will viele verschiedene Sachen machen und nicht nur an den Fussball denken. Trotzdem kämpfe ich für Gleichberechtigung und deshalb für eine Professionalisierung. Der Tag, an dem ich realisiere, dass ich nicht mehr dazu passe, wird schmerzhaft und wehmütig sein. Aber ja, vielleicht ist dieser Tag gar nicht so weit weg.
Noa Schärz (24) spielte als Juniorin in den Schweizer Nachwuchsnationalteams. Auch bei den Erwachsenen absolvierte sie vor längerer Zeit zwei Länderspiele und schoss dabei ein Tor.