Durch den Monat mit Noa Schärz (Teil 1): Können Sie als YB-Spielerin vom Fussball leben?

Nr. 23 –

Kurz vor Beginn der Europameisterschaft befindet sich der Frauenfussball im Aufwind. Trotz vieler Fortschritte mache sie die Situation von Fussballerinnen in der Schweiz wütend, sagt Noa Schärz, die mit YB eben Meisterin geworden ist.

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Portraitfoto von Noa Schärz im Fussball-Trikot
«Ich kann vom Sport leben, weil ich auf einem Wagenplatz wohne und generell nicht viele Ausgaben habe.»

WOZ: Noa Schärz, werden Sie in der Stadt Bern erkannt?

Noa Schärz: Nein. Wobei, eigentlich stimmt das nicht ganz. Wenn ich in der Nähe einer Schule oder des Wankdorfstadions bin, werde ich seit dem Meisterinnentitel manchmal von Kindern angesprochen.

WOZ: Und was sagen die Kinder?

Noa Schärz: «Heit dir ds Goal gschossä?» [Anm. der Red.: das Tor von Schärz, das YB den ersten Platz in der Qualifikation sicherte.] Ich war vor kurzem in einem aktivistischen Clownlager in der Nähe von Bern. Die anderen Teilnehmer:innen wussten nicht, dass ich Fussballspielerin bin. Als wir gerade auf einer Wiese Clownübungen machten, kamen zwei Mädchen und fragten, ob ich ihre T-Shirts unterschreiben könne. Einem Teil von mir war das mega unangenehm. Mein feministischer Teil fand aber: Es ist so cool, dass das passiert. Vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.

WOZ: Woher kommt diese Entwicklung?

Noa Schärz: Der Frauenfussball wird in der Öffentlichkeit immer stärker wahrgenommen. Wenn dann 10 000 Zuschauer:innen, darunter viele Kinder und junge Mädchen, im Wankdorfstadion sind und einen neuen Rekord für die Schweizer Fussballliga aufstellen, löst das bei allen Beteiligten eine kleine Euphorie aus. Das wäre nicht passiert, wenn das YB-Frauenteam wie früher auf dem kleinen Fussballplatz im Wyler vor 300 Menschen gespielt hätte.

WOZ: Finden die Spiele jetzt immer im Wankdorfstadion statt?

Noa Schärz: In der Liga spielt YB seit zwei Jahren dort, das ist super. Andere Frauenteams in der höchsten Liga spielen weiterhin auf einem Nebenplatz. Trotzdem vermitteln die Frauenspiele im Wankdorfstadion teilweise ein falsches Bild: Viele denken, dass wir auch dort trainieren. Doch wir trainieren am Montag und Dienstag in einem anderen Stadtteil – auf einem halben Fussballplatz! Und selbst dort dürfen wir erst am Abend auf den Platz. Nur mittwochs und freitags trainieren wir ab und zu im Wankdorf. Wir haben in der Platzzuteilung vereinsintern keine grosse Priorität. Im Wankdorfstadion sehe ich immer Nachwuchsteams der Männer auf dem Platz stehen.

WOZ: Was löst das bei Ihnen aus?

Noa Schärz: Es macht wütend. Ich denke dann: Es läuft gar nicht gut, und es kann nicht sein, dass es immer noch so ist. Aber gleichzeitig bin ich auch dankbar, weil es von Jahr zu Jahr besser wird. Und auch dafür, dass wir überhaupt im Stadion spielen können. Ich habe sehr gemischte Gefühle. In verschiedenen Bereichen des Frauenfussballs ist vieles besser geworden. Aber wenn man unsere Situation mit jener der Männer vergleicht, nervt das schon sehr.

WOZ: Vor ein paar Jahren haben die YB-Frauen ein Crowdfunding gemacht, weil sie nur so zu einem Kraftraum kamen. Ist das typisch?

Noa Schärz: Gefühlt hat fast jedes grössere Frauenteam in der Schweiz schon mal ein Crowdfunding gemacht, um einen Kraftraum oder ein Trainingslager zu finanzieren. Weil die Spielerinnen sonst alles selber bezahlen müssten.

WOZ: Obwohl die meisten Teams der Women’s Super League Teil von Vereinen sind, die Millionen für Profimännerteams ausgeben. Kann man als Fussballerin bei YB vom Sport leben?

Noa Schärz: Ich kann davon leben, weil ich auf einem Wagenplatz wohne und generell nicht viele Ausgaben habe. Aber die meisten in unserem Team machen noch sonstige Lohnarbeit – oder wohnen bei den Eltern. Ich erhalte monatlich rund die Hälfte des Einstiegslohns, den ich als gelernte Köchin erhalten würde.

WOZ: Also rund 2500 Franken.

Noa Schärz: Ja. Vor drei Jahren habe ich beim FC Zürich sogar nur 400 Franken pro Monat bekommen. Und vor fünf Jahren bei GC erhielten wir Spielerinnen gar keinen Lohn und mussten einen Vereinsbeitrag bezahlen.

WOZ: Mit Ihrem tiefen Lohn sind Sie in der Liga eine der am besten bezahlten Spielerinnen.

Noa Schärz: Beim FC Basel und bei Servette Genf wäre ich wohl Durchschnittsverdienerin – bei allen anderen Teams verdient aber vermutlich keine einzige Spielerin so viel wie ich. Gerade bei den Teams hinten in der Tabelle spielen fast alle immer noch ohne Lohn. In diesem Sinn schätze ich es durchaus, dass ich Fussball spielen und davon leben kann. Aber wenn ich mir dann überlege, dass ein Mann bei YB auf meiner Position, mit ähnlichen Qualitäten, der gleich viel trainiert, das Zehnfache verdient, macht mich das wütend.

WOZ: Was müsste sich ändern?

Noa Schärz: Frauenfussball ist wie ein Produkt, das neu auf dem Markt ist. Der Frauenfussball braucht Aufmerksamkeit, damit mehr Menschen ans Spiel kommen. So wird es auch attraktiver für Sponsoren. Letztlich ist es einfach auch ein Wirtschaftsding und eine Geldfrage. Ich finde das schon bitter. Im Kapitalismus steht und fällt alles mit dem Geld. Es ist so nervig, dass man so abhängig ist von diesem System. Und trotzdem finde ich es wichtig, dass im Frauenfussball in Sachen Gleichberechtigung etwas geschieht. Persönlich ist es mir sehr egal, dass ich so wenig verdiene, weil ich nicht mehr brauche. Für mich ist der Weg zu Gleichberechtigung im Fussball vielmehr ein politischer Kampf.

Noa Schärz (24) holte mit den Berner YB-Frauen vor kurzem den ersten Meisterinnentitel seit vierzehn Jahren. Nächste Woche erzählt sie, wie man ein Fussballteam politisiert.