Auf allen Kanälen: Lukratives Rage-Baiting

Nr. 16 –

Mit hitzigen Politikdebatten auf Tiktok lässt sich Geld verdienen: Ein Trend, der unlängst auch den Weg aus den USA nach Europa gefunden hat.

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stilisiertes Logo von TikTok

«Warum unterstützt du Trump?», steht in Grossbuchstaben über einem Bild von der Amtseinführung des US-Präsidenten im Januar. Vor diesem virtuellen Hintergrund sitzt Johnny Palmadessa – der junge Amerikaner geht gerade live auf Tiktok. Einmal tippen, und schon ist man mitten in einer aufgeregten Diskussion. Soeben hat sich User Andy in die Livedebatte von Host Palmadessa eingewählt. Während er erzählt, was ihn vergangenen November dazu bewogen hat, für den republikanischen Kandidaten, den heutigen Präsidenten Donald Trump, zu stimmen, geht es im Chatforum heiss zu und her. Palmadessa zerpflückt in Windeseile jedes der Pro-Trump-Argumente von Andy, derweil fliegen ihm virtuelle Rosen und Maiskolben entgegen. Für diese haben seine grosszügigen Zuschauer:innen zuvor Geld bezahlt. Atemlos bedankt sich Palmadessa bei ihnen. Die Diskussion hat mittlerweile ihren Höhepunkt erreicht.

Online-Aktivismus

Aus der gesellschaftlichen Spaltung Profit schlagen: Für einige Politik-Toker:innen geht diese Rechnung auf. Von Transrechten bis Trump, über Feminismus zu Veganismus und sogar Religion – je kontroverser die Debatte, desto besser. Denn User:innen interagieren eher mit Inhalten, die eine starke negative Reaktion auslösen. Solches Engagement wird vom Algorithmus höher gewertet und mit mehr Aufmerksamkeit belohnt. Damit lässt sich bei Social Media viel Geld machen – was wiederum dazu führt, dass einige Influencer:innen mit ihren Inhalten ganz gezielt Wut und Empörung schüren.

Im Wahlkampf erweist sich das sogenannte Rage-Baiting als effektives Mittel, um Wähler:innen durch Empörung zu mobilisieren. Mit seiner Debatte «Trump ist schrecklich für Amerika» erreichte Dean Withers auf Tiktok bis zu 20 000 Menschen. Debatten wie «Wann endlich AfD-Verbot?» oder «AfD Wähler*innen können nicht intelligent UND gute Menschen sein» zeigen, dass Rage-Baiting gegen rechts längst kein amerikanisches Phänomen mehr ist.

Er wolle aus seinem Aktivismus keinen Profit schlagen, sondern «möglichst viel Gutes für möglichst viele Menschen bewirken», gibt Dean Withers im Interview mit einer Student:innenzeitung an. Der Zwanzigjährige will aufklären. Damit ist er keineswegs allein: Eine Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center zeigt, dass etwa drei Viertel der User:innen, die politische Inhalte posten, meinen, damit etwas bewirken zu können, und aus diesem Grund bei Tiktok aktiv werden.

Gerade junge Menschen nutzen die Plattform zunehmend als Informationsquelle für Nachrichten und Politik. Rund jede:r zweite befragte Tiktok-Nutzer:in unter dreissig gibt an, sich von der App regelmässig mit Nachrichten versorgen zu lassen. 37 Prozent erhalten regelmässig Nachrichten von News-Influencer:innen. Besonders kritisch: Die meisten dieser News-Influencer:innen auf Tiktok haben weder einen journalistischen Hintergrund noch eine Verbindung zu einem etablierten Medium oder Nachrichtenportal.

Aufklärung oder Ausbeutung?

Für Dean Withers wurde aus dem Online-Aktivismus längst eine Karriere. Über seinem Kopf prangt im Bild gross das Paypal-Logo – seine Zuschauer:innen können ihn darüber direkt bezahlen. Die Beträge summieren sich rasend schnell. Die Grenze zwischen politischer Aufklärung und finanzieller Ausbeutung ist schmal. Gegenüber der Tech-News-Website «Rest of World» gab eine Frau an, über 10 000 US-Dollar für Tiktok-Geschenke an demokratische Polit-Influencer:innen ausgegeben zu haben – die seien, davon war sie überzeugt, allesamt Collegestudent:innen in finanziellen Schwierigkeiten.

Offenbar verlässt sie sich auf die Monetarisierungsrichtlinien, die Tiktok vorgibt. Diese besagen, dass ein:e Influencer:in nicht an Inhalten verdienen dürfe, die «kontroverse Themen auf polarisierende oder aufrührerische Weise ausnutzen, um Engagement zu provozieren».

Dass keineswegs immer die besten Argumente gewinnen, haben jüngst die TV-Duelle und Vorwahlberichterstattungen in den USA und in Deutschland gezeigt. Mag sein, dass liberale Ansichten wie jene von Withers auf Tiktok Anklang finden. Hauptsächlich aber schlagen er und Palmadessa mitsamt ihren deutschen Äquivalenten Profit aus der gesellschaftlichen Spaltung. Mal mit besseren, mal mit schlechteren Argumenten.