Ausstellung : Grande Dame der Bauhaus-Fotografie

Nr. 20 –

Viele Jahre lang kämpfte Lucia Moholy um ihre Anerkennung als Fotografin. Dabei war sie auch eine begnadete Theoretikerin – und Vordenkerin des World Wide Web.

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Lucia Moholy 1972 in ihrem Atelier in Zollikon
Lucia Moholy 1972 in ihrem Atelier in Zollikon.  Foto: Hans Peter Klauser, Fotostiftung Schweiz

Glas, klare Linien, Stahlträger, weisser Putz; sogar die Bäume wachsen streng in den Himmel. Es sind nüchterne Fotografien, mit denen Lucia Moholy das Bild des Bauhauses, seiner Bauten und Objekte massgeblich prägte. Die einzigen guten Dokumentaraufnahmen, die es vom Bauhaus gebe, befand Max Bill. Nur würdigte man ihre Urheberin lange nicht.

Die Ausstellung «Lucia Moholy – Exposures», die vergangenes Jahr in der Kunsthalle Praha zu sehen war und jetzt, für die Fotostiftung adaptiert, in Winterthur gezeigt wird, wirft einen umfassenden Blick auf Moholys Schaffen und Leben. 1894 als Lucia Schulz in eine bildungsbürgerliche jüdische Familie in Prag geboren, veröffentlichte sie als junge Frau unter männlichem Pseudonym expressionistische Gedichte, arbeitete als Verlegerin und verdiente so, nachdem sie 1921 den Künstler László Moholy-Nagy geheiratet hatte, ihren gemeinsamen Lebensunterhalt. 1923 ging das Paar ans Bauhaus, wo er bald als grosser Meister galt – und sie als seine Frau.

Lucia und László setzten sich intensiv mit dem schöpferischen Potenzial reproduktiver Verfahren auseinander. Ein Fotogramm zeigt ihre ineinander verschränkten Nasen und Münder, die sich hell vom schwarzen Hintergrund abheben. Obschon es in Zusammenarbeit entstand, wurde es nur ihm zugeschrieben. Auch auf dem Umschlag der medientheoretischen Schrift «Malerei, Fotografie, Film» (1925), die auch auf Walter Benjamins Schreibtisch lag, fehlt Lucias Name.

In Winterthur sind viele von Moholys Porträts zu sehen. Es sind sachliche, kontrastreiche Aufnahmen – sie habe Menschen fotografiert wie Häuser, sagte Moholy einmal über sich selbst. Eine Fotografie von 1930 zeigt die alte Clara Zetkin mit schlohweissem Haar, das sich um ihr sonnengegerbtes Gesicht herum in Unschärfe auflöst. Moholy hatte die Sozialistin über den KPD-Reichstagsabgeordneten Theodor Neubauer kennengelernt, mit dem sie nach der Scheidung von Moholy-Nagy zusammenlebte. Als Neubauer 1933 von der Gestapo in ihrer Wohnung verhaftet wurde, floh sie nach London; er wurde später im Konzentrationslager ermordet.

Werkstattflügel des Bauhauses in Dessau um 1926
Werkstattflügel des Bauhauses in Dessau um 1926. Foto: Lucia Moholy, © 2025, ProLitteris, Zurich

Streit ums Copyright

Ihre Glasplattennegative, mehrere Hundert, musste Moholy bei ihrem Exmann zurücklassen. Sie seien im Krieg zerstört worden, erzählte er ihr später. Tatsächlich aber hatte Bauhaus-Architekt Walter Gropius die Negative an sich genommen. Moholy erfuhr erst Jahre später davon, als sie ihre Aufnahmen in Büchern und Ausstellungen entdeckte – ohne ihren Namen. Der Copyrightstreit, der daraufhin zwischen ihr und Gropius entbrannte, ist in Winterthur mit Briefen und Artikeln dokumentiert.

Moholy ging es nicht nur um die Tantiemen, die ihr durch Gropius’ Betrug entgangen waren, sondern auch um ihren Ruf. Gropius hatte sich mithilfe ihrer Fotografien als Bauhaus-Vertreter in den USA etabliert. Ihr blieb diese Anerkennung verwehrt. Als Emigrantin in England habe sie Vorträge zum Bauhaus halten wollen, schrieb sie kühl in einem Brief an Sigfried Giedion – auch er war Teil des Männerbunds, der ihre Bilder verwendete. Sie habe dieses Vorhaben aber wieder aufgeben müssen: unmöglich ohne Bilder.

In London fand Moholy Arbeit als Dokumentalistin. Ein Geldjob – und doch weit mehr als das. Als Direktorin des britischen Informationsdiensts Aslib baute sie ein auf Mikrofilm basierendes Informationssystem auf, das während des Krieges den Austausch wissenschaftlicher Texte ermöglichte. Im Katalog zur Ausstellung zeichnet die Kunsthistorikerin Annie Bourneuf sie gar als Vordenkerin des World Wide Web: Moholy schwebte ein nichtkommerzielles, weltumspannendes Informationsökosystem vor, das sich in öffentlicher Hand befinden sollte.

Es ist eine Stärke der Ausstellung, dass sie diesen Aspekt von Moholys Leben ebenso ernst nimmt wie ihre Bauhaus-Zeit – wenn auch eher als konzeptuelle denn als räumliche Setzung, da die Ausstellungsräume in der Fotostiftung weit weniger Platz bieten als jene in Prag. In ihrer schnell vergriffenen (und später teuer gehandelten) Fotogeschichte «A Hundred Years of Photography» (1939) stellte Moholy Mikrofilm gleichwertig neben andere fotografische Techniken.

Späte Anerkennung

Die letzten dreissig Jahre ihres Lebens bis zu ihrem Tod 1989 verbrachte Lucia Moholy in Zollikon bei Zürich. Hier schrieb sie ihre «Marginalien» (1972), in denen sie ihren oft unterschlagenen Anteil an Moholy-Nagys Arbeiten kommentierte – und hier erfuhr sie endlich eine späte Anerkennung als Grande Dame der Bauhaus-Fotografie. Die Zürcher Galerie Ziegler würdigte sie 1981 mit einer Ausstellung, von der Frauenbewegung wurde sie als feministische Ikone entdeckt. Als ein junger Historiker eine Biografie über sie schrieb, löste das Empörung aus: Warum sollte diese Aufgabe ein Mann übernehmen?

Sich selbst sah Moholy in erster Linie als Schreiberin, erst dann als Fotografin. In ihr Tagebuch notierte sie, sie sei «nicht schöpferisch, nicht produktiv aus mir selbst», wohl aber fähig, ihre Eindrücke mithilfe chemischer Verfahren so wiederzugeben, «wie sie auf mich wirken». In Winterthur sind Replikas einiger ihrer wenigen erhaltenen Glasplattennegative ausgestellt. Moholy hat Ausschnitte abgeklebt, überbelichtete Stellen mit roter Farbe retuschiert. Ein reproduktiver oder ein schöpferischer Akt?

«Lucia Moholy – Exposures» in Winterthur, Fotostiftung, bis 13. Juli 2025. Das Buch zur Ausstellung hat Jordan Troeller herausgegeben.