Eine Illusion von Unsterblichkeit Spritzen, Kältekammern, Blutbäder und die List der Fiktion: Hollywood und das Altern.

«Leinwandgöttinnen», so nannte man früher die grössten Schauspielerinnen einer Generation. Im Etikett mischen sich Fantasien und der Überschwang der Bewunderung. Doch den so entrückten Frauen hat man mit dem Lob nicht nur einen Gefallen getan. Wer als Sterbliche auf und neben der Leinwand Unsterblichkeit verkörpern soll, bekommt mit den Jahren ein Problem. Göttinnen sind nicht von dieser Welt. Vergänglichkeit und andere irdische Sorgen haben an ihnen abzuperlen wie Kondenstropfen am funkelnden Champagnerglas.
Dies führt zwangsläufig in ein Paradox: Schauspielerinnen dürfen zwar mitunter alt sein auf der Leinwand und sogar auf dem roten Teppich; ihnen beim Altwerden zuschauen möchte man aber lieber nicht. Die bekannten Symptome des menschlichen Zerfalls – Falten, graue Haare, schlaffes Fleisch, Gebrechlichkeit – müssen diese Leinwandgöttinnen mit viel Aufwand verbergen oder gleich ganz zum Verschwinden bringen. Und mag das altbackene göttliche Etikett heute auch kaum noch in Gebrauch sein: Seine unerbittliche Wirkung hält an. Man erkennt sie mühelos an den fast faltenfreien, rosigen Gesichtern und unverändert straffen Konturen von Nicole Kidman (57), Tilda Swinton (64) und Demi Moore (62).
Die wundersame Suspendierung des Alterns war lange vor allem eine weibliche Spezialität. Unterdessen werden auch männliche Stars davon eingeholt, ohne dass die sexistische Schlagseite damit aufgehoben wäre: Brad Pitt (61) und Tom Cruise (62) wirken wie gut konservierte Vierzigjährige im Fitnessstudio. Frührentner Cruise bestand offenbar auch beim Dreh zum (voraussichtlich) letzten «Mission Impossible»-Abenteuer darauf, halsbrecherische Stunts selbst zu absolvieren. Seine Exgattin Nicole Kidman wiederum wird gern mit der «unsterblichen» Greta Garbo verglichen; wobei man gnädig ausblendet, dass Letztere ihre Schauspielkarriere 1941 mit knapp 36 Jahren beendete und sich fortan in der Öffentlichkeit kaum noch blicken liess. Marlene Dietrich blieb länger im Rampenlicht, liess sich die Backenzähne ziehen und straffte ihr Gesicht und ihr berühmtes Bein mit Klebeband.
Schöner Sterben
Aufschlussreich: Auch Kidman fiel mit 37 in ein Karrieretief, aus dem sie nun, zwanzig Jahre später, strahlend wieder emporsteigt und Preise abräumt. Die verstrichenen zwei Jahrzehnte sieht man ihr nicht an, ihr aktueller Film trägt den sprechenden Titel «Babygirl». Auf dem Cover der neusten «Hollywood»-Ausgabe des Hochglanzmagazins «Vanity Fair» posiert sie inmitten von Kolleg:innen in den Zwanzigern und Dreissigern – ohne aufzufallen.
Da scheint es nur passend, wenn im neusten Film des Spaniers Pedro Almodóvar nicht nur das Alter, sondern konsequenterweise auch der Tod verschwindet. Zwar dreht sich «The Room Next Door» (2024) integral ums Sterben der von Tilda Swinton mit schier übermenschlicher Gelassenheit verkörperten ehemaligen Kriegsreporterin Martha Hunt; eine alte Freundin (Julianne Moore) begleitet sie tapfer in den Freitod. Doch der weit fortgeschrittene, aggressive Krebs und das nahe Lebensende bleiben weitgehend Behauptung. Als Martha einmal die Strapazen der Chemotherapie aufzählt, bringt man das kaum mit der makellosen Figur auf der Leinwand zusammen. Klar, Tilda Swintons Gesicht ist beinahe so weiss wie diese Leinwand, sie wirkt zerbrechlich und mager. Doch so ist sie auch, wenn sie nicht gerade eine Krebskranke spielt.

Genauso unbestritten: Realismus war nie Almodóvars künstlerischer Anspruch. Aber wenn hier selbst die Sterbeszene wirkt wie aus einem Modeheft geschnitten, wenn spektakuläre Farb- und Formkompositionen mit kanariengelbem Sterbekostüm und Designerliegestühlen vor der Luxusvilla am Waldrand offenbar wichtiger waren als eine halbwegs realitätsnahe Annäherung an den Tod, dann mag man zuerst nur ungläubig lachen. Um sich dann zu fragen: Wie sollen Schauspieler:innen, die scheinbar nicht altern, Sterben spielen? Und warum fordern wir ausgerechnet in diesem Punkt Authentizität ein?
Müssen wir diese überdeutliche Inszenierung nicht vielmehr als ernst zu nehmendes Zeichen werten? Ist das Kino als alte Illusionsmaschine und Eskapismusanstalt nicht gerade dazu da, den Tod zumindest für die Dauer eines Films zu überwinden, unsere sterbliche Erdenschwere für knapp zwei Stunden in einen federleichten, hyperästhetischen Traum von Unsterblichkeit aufzulösen? Das suggeriert auch Almodóvar, wenn am Ende von «The Room Next Door» die verstorbene Martha sogleich wiederaufersteht – und als quicklebendige Tochter der Toten an der Tür des Sterbehauses klingelt; erneut verkörpert von der scheinbar alterslosen Tilda Swinton. Auch das ist irgendwie lächerlich. Und zugleich ein Fingerzeig: Schaut her, mit welch einfachen Tricks das Kino den Tod und seine Endgültigkeit überlistet.
Alter und Ego
Eine kritische Rückfrage lässt sich allerdings schon aus Gründen der Aufrichtigkeit nicht unter den Tisch wischen: Was ist mit den realen menschlichen Körpern, die diese List leisten müssen? So gierig, wie die schönen Bilder verschlungen werden, wird im Publikum darüber debattiert, welcher Hollywoodstar wohl welches Körperteil gespritzt, gestrafft, gefillt oder operiert hat – moralisierende Schlagseiten und Schadenfreude über schiefgegangene Eingriffe inklusive. Auch einer der meistdiskutierten Filme des letzten Jahres, Coralie Fargeats «The Substance» (2024), stürzt sich mit viel Energie auf die Frage nach den physischen Einsätzen hinter den perfekten Illusionen – und findet drastische Antworten.
«The Substance» ist in so mancherlei Hinsicht das genaue Gegenstück zu Almodóvar. Was Letzterer verbirgt, kehrt Fargeat mit Lust am Schock unerbittlich an die Oberfläche. Das ist wörtlich zu verstehen: Nachdem der alternde Schauspielstar Elisabeth (Demi Moore) mithilfe einer geheimnisvollen «Substanz» ein junges, bildschönes Double ihrer selbst «geboren» hat, das bald rücksichtslos vom Originalkörper zehrt, wird Elisabeths Körper gewaltsam nach aussen gestülpt und verwandelt sich schrittweise in eine monströse Farce aus Körperteilen und Innereien. In Fargeats Horrorparabel zeigt sich das Kino als radikale Selbstreflexionsmaschine zum Thema Alter und Alter Ego. Der Jugendwahn der Traumfabrik wird so lange durch den Fleischwolf gedreht, bis der einstige Starkörper nur noch ein blubbernder Haufen Gehacktes auf dem Walk of Fame ist: die geballte Wiederkehr der verdrängten Eingriffe im Fleisch der Schauspielerin als kinematografischer Wahrheitsschock (siehe WOZ Nr. 38/24).
Recht am eigenen Körper
Einen aufschlussreichen Subtext zum Körperhorror von «The Substance», aber auch zur geglätteten Inszenierung von Alter und Tod bei Almodóvar gibt es in einem Buch nachzulesen, das auch schon etwas in die Jahre gekommen ist und trotzdem frisch wirkt. In «Making the Body Beautiful» (1999) entwickelt der US-Ideenhistoriker Sander Gilman eine solide Basis für die These, dass Schönheitschirurgie und das Kino immer schon nahe Verwandte waren. Die moderne Schönheitschirurgie entstand um 1900, also etwa zur selben Zeit wie das Kino. Und alles, was wir zum Kino gesagt haben, gilt gemäss Gilman ebenso für die Schönheitschirurgie: Der Körper wird zur formbaren Masse, zum Wunschbild. Es geht nicht um Authentizität, sondern um das Herstellen von Illusionen. Die Verwandlung einer als ungenügend wahrgenommenen Wirklichkeit ist mit komplizierten, unzimperlichen Operationen erkauft.
Gilman urteilt nicht, sondern leitet her. In Schönheitsoperationen erkennt er einen genuin modernen Akt der Ermächtigung und Autonomie: Ich habe das Recht an meinem Körper. Er analysiert aber auch eine dunkle Urszene der Schönheitschirurgie im ausgehenden 19. Jahrhundert: das Wegoperieren von Merkmalen, die als ethnisch, kriminell oder krank wahrgenommen wurden. Das Ziel: Passing, also unerkannt durchkommen, trotz feindseliger, wachsamer oder kompetitiver Umgebung.
Kein passenderes aktuelles Beispiel für ein – vergleichsweise harmloses – «Passing» als Nicole Kidmans Verschmelzen mit den bis zu dreissig Jahre jüngeren Schauspieler:innen auf dem Titel von «Vanity Fair». In «Babygirl» (2024) legt sie als erfolgreiche CEO einer Firma für Robotertechnik die Tortur hinter ihrem verjüngten Aussehen offen – freilich weniger drastisch als in «The Substance»: Eisbäder, Botoxspritzen, Schlottern in der Kältekammer. Ihre Teenietöchter wie auch der junge Praktikant, mit dem sie sich in eine wilde Affäre verstrickt, machen sich darüber lustig. Das kümmert sie jedoch wenig. Ihre unausgelebten Unterwerfungsfantasien treiben sie viel mehr um.
«Babygirl» von Halina Reijn mag ein arg wirrer Knoten von einem Film sein – und ist doch aufschlussreich. Auch deshalb, weil Kidman hier – nicht zum ersten Mal – mit ganzem Einsatz ein unbequemes weibliches Subjekt verkörpert, das sich aus Fesseln zu befreien sucht. «Babygirl» überschreibt gleich mehrere reaktionäre Erzählmuster, etwa das zu gleichen Teilen latent misogyne wie emanzipatorische Ibsen-Stück «Hedda Gabler» (1890), das im Film beiläufig erwähnt wird. Und wie die «New York Times» gezeigt hat, ist «Babygirl» auch eine feministische Umschrift von «Fatal Attraction» (1987), einem «Erotikthriller», der spätestens seit Susan Faludis Feminismus-Buchklassiker «Backlash» (1991) als Paradebeispiel für Frauenhass in Hollywood gilt.
Realität ist ein Kunstgriff
Im Kampf gegen Backlashs von heute hält sich Nicole Kidman, die auch als Produzentin tätig ist, eisern an ihr vor Jahren gegebenes Versprechen, regelmässig mit Regisseurinnen zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig besteht sie darauf, dass Fiktionen und erfundene Figuren gerade nicht politisch korrekt sein müssen: Es gilt die Freiheit der Fantasien, die Freiheit der Kunst. Diese Freiheit macht sie auch in der Altersfrage geltend: Sie erfindet sich nach einem exklusiven Wunschbild. Kritisch betrachtet, unterwirft sie sich damit aber auch einfach dem angestrengten Jugendwahn und der Göttinnenaltlast des Mediums.
Das ist bei «The Substance» übrigens nicht anders, denn auch wenn der Film mit dem Schönheitsideal Hollywoods abrechnet: Bei Auftritten abseits der Leinwand wirkt Demi Moore nicht wesentlich älter als die 32 Jahre jüngere Margaret Qualley, die im Film ihr Double spielt.
Ein Alternativszenario entwirft ausgerechnet die «Baywatch»-Rettungsschwimmerin Pamela Anderson (57). Zumindest auf den ersten Blick. Die TV-Ikone der neunziger Jahre findet im Film «The Last Showgirl» (2024) als aussortierte Revuetänzerin zu zwischenmenschlichen Werten zurück. Bei ihrer Marketingtour zum Film tritt sie stets ungeschminkt auf. Nur: Auch diese medial gefeierte neue Ehrlichkeit wirkt wie eine weitere Inszenierung. Der Ungeschminkt-Look erscheint bei näherer Betrachtung bloss als alternative Schminktechnik.
Realität ist in der Traumfabrik wohl wirklich nur als listige Fiktion zu haben. Auch das Existenzielle: nur ein Schein, ein Kunstgriff. Das hat durchaus etwas Befreiendes. Sterben müssen wir so oder so.
«Babygirl» startet am 30. Januar 2025 im Kino, «The Last Showgirl» folgt am 23. März 2025. «The Room Next Door» läuft noch im Kino, «The Substance» ist bereits als Stream erhältlich.