#Metoo: Die Männerfantasien begehren auf
Gleich zwei US-Serien und ein Film rollen reale Fälle von sexuellen Übergriffen im TV-Geschäft auf. Mit hochkarätigen Besetzungen. Beschworen wird eine bizarre Fassadenwelt: moralisch marode – und brutal machtgierig.
Erinnert sich noch jemand an Roger Ailes? Er war das Mastermind hinter Fox News, dem Nachrichtensender, den Medienmogul Rupert Murdoch Mitte der neunziger Jahre aus dem Boden stampfte. Das Programm: dem angeblichen liberalen Medienmainstream eine aggressiv rechte Haltung entgegenzusetzen. Bevor er ins TV-Business einstieg, diente Ailes als Berater mehrerer republikanischer US-Präsidenten von Richard Nixon bis George Bush. Auch am Aufbau von Donald Trump als Politiker war er beteiligt. Fox News ist bekanntlich bis heute die wichtigste Informationsquelle des Fernsehjunkies Trump.
Nachdem mehrere Starmoderatorinnen und Dutzende weitere Mitarbeiterinnen Ailes wiederholter Übergriffe beschuldigt hatten, wurde er 2016 als CEO von Fox News mit einer Abfindung von vierzig Millionen Dollar fristlos entlassen. Im Mai 2017 starb er. Die Hauptanklägerin, Gretchen Carlson, hatte zuvor im Rahmen einer aussergerichtlichen Einigung zwanzig Millionen erhalten – und eine Entschuldigung. Eine Geheimhaltungsvereinbarung verhindert, dass sie sich je wieder zum Geschehenen äussert. Bis im Oktober 2017 der Weinstein-Fall publik wurde, war Ailes der erste mächtige Mann, den jahrzehntelange Belästigungen von Frauen zu Fall brachten (vgl. «Der Prozess» im Anschluss an diesen Text).
Legendäre Fresssucht
Hollywood hat keine Zeit verloren, die Geschichte auf die Leinwand zu bringen. Die Kriegsmetaphorik im Titel des neuen Spielfilms «Bombshell» ist Programm: Er spielt auf die sensationelle Entlassung von Ailes als geplatzte Bombe an, aber auch auf die für Fox News typische Aufmachung von Frauen als aufreizende «Sexbomben». Jay Roachs «Bombshell» übernimmt diese sexistische Logik minimal satirisch überspitzt – und entwickelt als temporeiche Kopie der Fox-News-Realsatire während der ersten halben Stunde auch tatsächlich viel Zug.
Die beiden Starmoderatorinnen Gretchen Carlson (Nicole Kidman) und Megyn Kelly (Charlize Theron) sowie die aus realen Frauen zusammengestückelte Kunstfigur Kayla Pospisil (Margot Robbie) treten als perfekte und stereotype Verkörperungen einer schaurigen Männerfantasie auf. Ihre hautengen Kostüme und scharf geschnittenen Silhouetten sind das visuelle Gegenstück zum aufgedunsenen Ailes, dessen Fresssucht ebenso legendär war wie seine Besessenheit von weiblichen Beinen und Hintern. Frauen, die bei ihm für einen Bildschirmjob vorsprachen, wurden aufgefordert, ihm ihre Rückseite zu zeigen, für einen guten Sendeplatz verlangte er mehr.
Trotzdem fällt es schwer, ausschliesslich Empathie für diese Frauen zu empfinden. Insbesondere Kelly ist wiederholt mit unverblümt rassistischen Äusserungen aufgefallen, etwa indem sie sich in einer Sendung dafür starkmachte, dass Santa Claus zwingend weiss sein müsse. Wer nicht rechts war, arbeitete nicht bei Fox News. Was «Bombshell» – nebst den glänzenden Schauspielerinnen – sehenswert macht: Der Film zeigt, wie in dieser toxischen Umgebung, wo selbst der Verdacht, Feministin (oder Demokratin oder homosexuell) zu sein, eine Karriere beenden konnte, ein vages feministisches Bewusstsein aufkeimte.
Nachdem sie aus Altersgründen und wegen schlechter Quoten ins Nachmittagsprogramm verbannt worden war, moderierte Carlson eine ihrer Sendungen ungeschminkt, um so auf den Objektcharakter der Frauen hinzuweisen. Ailes tobte – und liess Carlsons Vertrag auslaufen. Erst dann ging sie wegen des Missbrauchs in die Offensive. Auch Fox-Aushängeschild Megyn Kelly war vor der Kamera klar mutiger als dahinter. Bei einer Fernsehdebatte sprach sie Trump fadengerade auf seine sexistischen Äusserungen an. Ailes sah zwar ein, dass das ein gelungener TV-Moment war, forderte aber auch, dass man sich Trump ja nicht zum Feind mache. Ein Jahr nach ihrer träfen Frage disqualifizierte sich Kelly mit einem Interview, bei dem sie Trump mit Samthandschuhen anfasste.
Nicht nur Opfer
Die weiter reichende Frage, inwiefern diese Frauen nicht nur Opfer, sondern auch politische Komplizinnen waren, bleibt in «Bombshell» unterbelichtet. Wie konnte man Roger Ailes demontieren und gleichzeitig den Aufstieg von Trump journalistisch wohlwollend begleiten? Der Film zoomt zwar nahe ans Aufbrechen der Übergriffe heran – verliert in der zweiten Hälfte aber die journalistischen Sündenfälle von Fox News immer mehr aus den Augen.
Diese kann man sich von der Showtime-Miniserie «The Loudest Voice» (2019) nochmals deutlich vorführen lassen. Russell Crowe gibt hier, unter vielen künstlichen Fettschichten versteckt, Roger Ailes als paranoides Scheusal – und als aggressiven Verbreiter von Fake News und rechter Politik im Zeichen von «Patriotismus, Familie und Gott». Die langjährigen sexuellen Übergriffe sind ebenfalls Thema, aber nicht der Hauptfokus von «The Loudest Voice». Was nicht bedeutet, dass die Rolle der Frauen, die Ailes zu Fall gebracht haben, kleingeredet würde. Auch die komplexe Mittäterschaft von Ailes naiver Gattin wird gut ausgeleuchtet.
Zudem ist die Serie ein informativer Beitrag zur US-Mediengeschichte. Vor allem wird klar, welch zentralen Stellenwert das Fernsehen trotz Internet in der US-Kultur weiterhin hat. Und wie systematisch Fox News auf direkte Anweisung von Ailes etwa Barack Obama rassistisch zu verunglimpfen versuchte. Mit der aufgegangenen Saat von Fox News schlagen wir uns bis heute herum – nicht nur in Gestalt von Trump. Alle rechten Medien von «Weltwoche» bis «Breitbart» behaupten in Ailes’ Nachfolge, der mediale Mainstream sei gefährlich linksliberal unterwandert. Gegensteuer zu geben, sei Pflicht und rette die Redefreiheit.
Abseits der Kamera
In eine etwas zahmere konservative Fernsehwelt blickt die erste selbstproduzierte Serie von Apple TV. «The Morning Show» beleuchtet unter der Ägide der Hollywoodstars Reese Witherspoon und Jennifer Aniston den Mikrokosmos einer beliebten US-Morgensendung. Die beiden haben die Serie zu einer weiteren Schlüsselgeschichte über einen realen Missbrauchsfall ausgebaut. Aniston ist der auf perfekte Fassade getrimmte Teil eines ModeratorInnenpaars. Dessen männlicher Hälfte (Steve Carrell) werden von Untergebenen sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Er wird freigestellt. Witherspoon gibt die neue Komoderatorin als Underdog mit geschliffenem Mundwerk. Geschickt demontiert «The Morning Show» den Karrierismus der selbstsüchtigen TV-Welt und die perfiden Beuteschemen des männlichen Stars. Täter, Opfer und zahlreiche MitwisserInnen haben alle viel zu verlieren.
Abseits der Kamera wird die in der Serie wortreich angeprangerte Kultur des Schweigens allerdings nahtlos weiterpraktiziert. Was auch eine «Guardian»-Journalistin erfahren durfte, die mit Aniston und Witherspoon über deren reale Erfahrungen im Filmgeschäft sprechen wollte – und knallhart auflief.
Bemerkenswert ist, dass sich die MacherInnen von «Bombshell» und «The Morning Show» für ein sehr ähnliches Schlussbild entschieden haben. Die jüngeren, von Robbie und Witherspoon verkörperten Frauen laufen am Ende einfach davon und lassen das kaputte System des Machtmissbrauchs mit symbolstarker Geste hinter sich. Wohin sie sich absetzen, wird bezeichnenderweise offengelassen. Man kann das als vage Hoffnung auf einen Neuanfang lesen – oder immerhin als Zeichen einer ehrlichen Ratlosigkeit.
«Bombshell» läuft im Kino.
Bombshell. Regie: Jay Roach. USA 2019
The Loudest Voice. Idee: Tom McCarthy und Idee: Alex Metcalf. Kann via Sky und Amazon gestreamt werden
The Morning Show. Idee: Jay Carson. Kann via Apple+ gestreamt werden
Harvey Weinstein: Der Prozess
Am 6. Dezember 2019 ging ein alter Mann über seinen Rollator gebeugt in ein New Yorker Gerichtsgebäude. Wer ihn nicht kannte, wäre kaum auf die Idee gekommen, einen der einst einflussreichsten Produzenten Hollywoods vor sich zu haben – und den Auslöser der gigantischen #MeToo-Bewegung, die im Oktober vor gut zwei Jahren jäh aufkam und bis heute nicht verstummt ist. Im Herbst 2017 waren mehrere Vergewaltigungsvorwürfe gegen Harvey Weinstein publik geworden. Seither legten ihm mehr als achtzig Frauen schwere Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen zur Last. Einzelne Fälle wurden mit aussergerichtlichen Einigungen und hohen Geldzahlungen beigelegt. Dazu gehört oft die Klausel, dass die Frauen nie wieder über das Erfahrene sprechen dürfen.
Weinstein hat sich für sein Verhalten entschuldigt, es aber vermieden, Schuldeingeständnisse zu machen. Nun steht er zum ersten Mal vor Gericht, in zwei Fällen von «gravierender sexueller Gewalt». Er plädiert auf nicht schuldig.
Im Zentrum von Weinsteins mehrfach ausgewechseltem Verteidigungsteam steht Anwältin Donna Rotunno, die schon diverse Sexualstrafprozesse zugunsten der Angeklagten entschieden hat. Ihre Strategie: die Glaubwürdigkeit der Anklägerinnen zu untergraben. Schon die Zusammenstellung der Geschworenen war langwierig: Angesichts der Medialisierung des Falls war es schwierig, Unvoreingenommene zu finden. Jetzt stehen die Eröffnungsplädoyers von Anklage und Verteidigung an.
Weinsteins Auftritt als alter, gebrechlicher Mann war übrigens eine eiskalte Inszenierung: Er wurde im selben Zeitraum beim Einkaufen fotografiert – ganz munter und ohne Rollator.
Daniela Janser