Rüstungspolitik: Im Blindflug

Nr. 26 –

Die Beschaffung von Kampfjets gerät immer offensichtlicher zum Debakel. Der Bundesrat versucht, mit einer neuen Rüstungspolitischen Strategie abzulenken.

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Modell eines F-35-Kampfjet
Er will doch nur fliegen – und dafür soll die Schweiz trotz gegenteiliger Versprechungen nun deutlich mehr bezahlen. Foto: Florian Bachmann

Der Kauf von 36 US-Kampfjets des Typs F-35 wird milliardenschwere Mehrkosten verursachen. Das zeigen Recherchen, die SRF Ende letzter Woche publik machte. Der vom zuständigen Verteidigungsministerium (VBS) immer wieder beschworene «Fixpreis» von 6 Milliarden Franken entpuppt sich endgültig als Fantasie. Die US-Regierung, über die der Bund den Kauf abwickelt, soll wegen gestiegener Produktionskosten 1,3 bis 1,5 Milliarden Franken mehr für die von Lockheed Martin hergestellten Tarnkappenbomber verlangen.

Die SRF-Recherche reiht sich in Berichte diverser Medienhäuser ein (siehe WOZ Nr. 28/22), die seit Jahren am «Fixpreis»-Narrativ des VBS zweifeln. Spätestens als die Eidgenössische Finanzkontrolle 2022 in einem umfangreichen Bericht festhielt, dass «keine rechtliche Sicherheit für einen Festpreis im Sinne einer Pauschale nach schweizerischer Rechtsprechung» besteht, hätten das VBS und seine damalige Vorsteherin Viola Amherd (Die Mitte) transparent Rechenschaft ablegen müssen. Doch bis heute heisst es: «Der Fixpreis ist verbindlich.»

Schweiz als Drohnenhochburg Europas

Der neue Verteidigungsminister Martin Pfister (Die Mitte) hätte etwa am vergangenen Freitag die Chance gehabt, sauber über das Kampfjetprojekt zu informieren, und zwar nicht nur über den Kaufpreis, sondern auch über die Wartungs- und Betriebskosten, die mindestens doppelt so hoch ausfallen dürften wie erwartet. Stattdessen setzte Pfister zu einem Ablenkungsmanöver an: An seiner Medienkonferenz präsentierte er eine neue Rüstungspolitische Strategie des Bundes. Sein Manöver verfing jedoch nicht. Die neue Strategie blieb ein mediales Randthema, während die grossen Medienhäuser ihre Berichte zum F-35-Kauf Anfang Woche als «Milliardenfalle» oder «Fixpreis-Debakel» betitelten. Der Druck auf den Verteidigungsminister, endlich Transparenz zu schaffen, stieg so weit an, dass er am Mittwoch erneut vor den Medien beteuerte: «Der Bundesrat hält am Festpreis fest.»

Dass die neue Rüstungspolitische Strategie im Kampfjetgetöse unterging, ist ärgerlich. Sie hat zumindest teilweise eine eingehende Debatte verdient. In mindestens zweierlei Hinsicht ist das 45-seitige Grundlagenpapier sehr interessant. Erstens soll die Schweiz künftig zu einem «Zentrum der europäischen Verteidigungsinnovation werden», insbesondere in den Bereichen unbemannte Systeme (Drohnen), KI und Quantentechnologie. Dafür will die Armee gezielt die Zusammenarbeit mit den Eidgenössischen Technischen Hochschulen fördern, um so «Synergien in der Forschung und Innovation im zivilen, militärischen und Dual-Use-Bereich besser zu nutzen». Dieser Fokus ergibt durchaus Sinn, die Schweiz ist in den genannten Bereichen bereits heute ein wichtiger und auch innovativer Standort. Es sind jedoch auch Technologien, die im Zusammenhang mit einer militärischen Nutzung erhebliche Gefahren und Risiken mit sich bringen.

Der Umgang mit autonomen Waffen ist bisher nicht reguliert, besonders die USA und China wehren sich dagegen. «Wir Menschen können uns nicht vorstellen, wie schlimm der Einsatz von autonomen Waffen eskalieren könnte», warnte etwa Elke Schwarz, Professorin für politische Theorie, kürzlich in der «NZZ am Sonntag». Hier gilt es, sehr genau im Auge zu behalten, was die Schweiz künftig für wen entwickelt.

Zweitens sieht die neue Strategie eine deutliche Loslösung von den USA und ihrer Rüstungsindustrie vor, umfasst gar ein «Buy European»-Prinzip und will künftig einen «verbesserten Zugang zu den Rüstungskooperationsformaten im EU-Rahmen». Das steht in eklatantem Widerspruch zum erst vor zwei Jahren unterschriebenen Kaufvertrag für die US-amerikanischen F-35-Kampfjets, der auf eine mit 50,1 Prozent Ja-Stimmen hauchdünn gewonnene Abstimmung zurückgeht. Wobei damals, im September 2020, noch unklar war, welchen Flugzeugtyp der Bund tatsächlich beschaffen würde: Abgestimmt wurde lediglich über den Kreditrahmen von sechs Milliarden Franken – der nun offensichtlich gesprengt wird.

Gute Idee, schwierige Umsetzung

Die rüstungspolitische Hinwendung zu Europa, insbesondere zu den Nachbarländern, klingt im ersten Moment sinnvoll. Allerdings ist die europäische Rüstungsindustrie in hohem Mass von den USA und von US-Konzernen abhängig. Der Hauptgrund dafür ist die Nato. Das von den Vereinigten Staaten dominierte Militärbündnis bildet die alles entscheidende militärische Infrastruktur in Europa. Beispielhaft für die US-Dominanz innerhalb der Nato ist Link 16, der interne verschlüsselte Datenübertragungsstandard, der von den USA kontrolliert wird. Auch Software und Datenverarbeitung beim F-35-Kampfjet oder beim Luftabwehrsystem Patriot, auf das die Schweiz künftig setzt, stehen weitgehend unter US-Kontrolle. Eine autonome europäische Rüstungsindustrie existiert zurzeit in keinster Weise, ein entsprechender Aufbau würde Jahrzehnte dauern. Eine sinnvolle und kostensparende Massnahme wäre die vorgesehene Absprache von Beschaffungen mit europäischen Partnerländern bis hin zu gemeinsamen Beschaffungen. Hier hätte man gerne von ­Martin Pfister erfahren, ob und wie das ausserhalb der Nato erfolgen soll.

Neue Abstimmung?

Der Rüstungspolitischen Strategie zugrunde liegt die Annahme, die Schweiz könne sich weitgehend autonom verteidigen. Anders ist nicht zu erklären, wie Pfister auf die fast schon irrwitzige Idee kommt, sechzig Prozent der Armeebeschaffungen im Inland abwickeln zu wollen. Die Schweizer Rüstungsindustrie verfügt nur über beschränkte Fähigkeiten, und gerade im wichtigsten Bereich, der Herstellung fertiger Waffensysteme, sind fast alle grossen Unternehmen wie Rheinmetall Air Defence (Flugabwehr), Mowag (Panzer) oder SwissP Defence (Munition) Tochterfirmen ausländischer Konzerne. Die Schweiz hat hier wenig mitzureden. Ansonsten dominieren KMUs, die bestenfalls Pistolen und Gewehre herstellen, vor allem aber Einzelteile und Zubehör sowie Technologie und hochspezialisierte Produkte wie ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge produzieren – aber auf keinen Fall eine Armee zu sechzig Prozent ausrüsten können.

Kurzfristig bleibt der F-35 Pfisters grösstes Problem. Am Mittwoch musste er vor den zuständigen Kommissionen Rechenschaft ablegen. Vor den Medien betonte er, der Bund wolle diplomatische Gespräche über die Beibehaltung des Festpreises führen. Je nach dem, wie gravierend das «Fixpreis-Debakel» ausfällt, wird eine Abstimmung über den Zusatzkredit notwendig.