Fahnenflucht: Rette sich, wer kann

Nr. 27 –

Der Bundesrat, die Luftwaffe und Armasuisse verteidigten den F-35-Kauf eisern. Doch dann machten sich plötzlich alle Verantwortlichen aus dem Staub. Die Geschichte einer Implosion.

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Verteidigungsministerin Viola Amherd und Armeechef Thomas Süssli verlassen am 26. Februar eine Pressekonferenz in Bern
Nur schnell weg hier: Verteidigungsministerin Viola Amherd und Armeechef Thomas Süssli verlassen am 26. Februar eine Pressekonferenz in Bern. Foto: Peter Schneider, Keystone

Mit einem einzigen Wort wehrten die Befürworter:innen in den letzten Jahren jegliche Kritik an den Beschaffungskosten des F-35-Kampfjets ab: «Fixpreis». Die Schweiz habe sich einen festen Preis für die 36 Flieger gesichert, behaupteten die Verantwortlichen ein ums andere Mal. Bis sich letzte Woche der Fixpreis als Luftschloss erwies. Der Bundesrat musste zugeben, dass die Jets den vom Stimmvolk beschlossenen Kostenrahmen von sechs Milliarden Franken sprengen und voraussichtlich über eine Milliarde teurer werden.

Vermutlich ist es wieder einmal dem Schweizer Glauben an den eigenen Sonderfall zu verdanken, dass die Erzählung von der Spezialbehandlung die Gemüter so lange beruhigt hat. Denn dass die Verantwortlichen nicht wussten, dass die US-Behörden bei Rüstungsverkäufen standardisiert von einem «fixed price» sprechen, damit jedoch lediglich eine Weitergabe ihres eigenen Einkaufspreises bei den Rüstungsfabrikanten meinen – das ist beim besten Willen nicht vorstellbar.

Wahrscheinlicher ist, dass die Kader der Schweizer Armee und der Rüstungsbehörde Armasuisse zuerst den Kauf der Luxusjets von Hersteller Lockheed Martin, dieses «Ferraris unter den Kampfjets», durchdrückten – und daraufhin ihre Erzählung je nach Lautstärke der Kritik anpassten. Bis sie sich spätestens im Sommer 2024 nicht länger der Realität verweigern konnten. Wie Armasuisse auf Anfrage bestätigt, wurde ihr Direktor Urs Loher damals über «mögliche Mehrkosten» informiert. Im Februar dieses Jahres, das berichten wiederum Mitglieder der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats (SiK), erfolgte dann eine schriftliche Information aus den USA.

Rund um die Jahreswende passierte zudem etwas Auffälliges. Alle für das Beschaffungsprojekt Verantwortlichen machten sich aus dem Staub – und sicherten sich zum Teil in der Privatwirtschaft lukrative Stellen. Womit sich umso dringender die Frage stellt: Wer hat bei der Beschaffung des F-35 welche Rolle gespielt?

Viola Amherd: Die Schönfärberin

Als Verteidigungsministerin Viola Amherd am 15. Januar ihren Rücktritt ankündigte, gab sie sich betont bescheiden: «Die Erstellung einer Bilanz überlasse ich Ihnen», sagte sie zur Presse. Eine für diese Bilanz entscheidende Information, die noch nicht öffentlich bekannt war – die Kostenüberschreitung beim F-35 –, musste sie damals längst erhalten haben. Doch Amherd zögerte bis zum letzten Moment, ihre Kolleg:innen über den Milliardenfehler ins Bild zu setzen. Sie informierte erst an einer ihrer letzten Sitzungen Anfang März darüber und sprach dabei, so heisst es in bundesratsnahen Kreisen, von einem «Missverständnis» mit den USA. Amherd setzte damit die Erzählung in die Welt, die nun auch ihr Nachfolger Martin Pfister zur Verteidigung braucht.

Hat Amherd den F-35-Kauf mit geschönten Berechnungen, gar mit dreisten Lügen durchgesetzt – oder wurde sie von ihren Untergebenen bloss unzureichend informiert? Nationalrätin Marionna Schlatter von den Grünen, die den Kauf des Jets stets kritisierte, hat darauf eine interessante Antwort: «Die Verantwortung von Amherd liegt darin, dass sie das Geschäft zu einer Vertrauensfrage hochstilisierte. Sie vertraute ihren Mitarbeiter:innen blind – und empfand jede Kritik an ihrer Politik als persönlichen Vertrauensbruch.» Kritiker:innen in der SiK habe sie die Kompetenz abgesprochen. Und sie jeweils angeblafft: «Traut ihr etwa den Fachleuten in der Beschaffung nicht?»

Darko Savic: Der Verkäufer

Eine Woche vor Amherds Rücktritt, am 8. Januar 2025, wurde bei Armasuisse ein Abgang bekannt, der öffentlich weniger Beachtung fand. «Mr. Kampfjet», wie Darko Savic von SRF betitelt wurde, nahm den Hut. Savic hatte sich von der Pike auf hochgedient: Bei den Pilatus-Flugzeugwerken hatte er einst die Lehre zum Maschinenbautechniker absolviert. 2009 stieg er bei Armasuisse ein und rasch auf: Er wurde schliesslich Projektleiter für die Beschaffung eines neuen Kampfjets und übernahm Anfang 2024 die Leitung des Gesamtprojekts «Air2030», zu dem neben den Fliegern auch die Erneuerung der Luftabwehr gehört.

Savic gab stets den smarten Verkäufer. «Alle Bürgerlichen haben ihn bewundert», sagt SiK-Mitglied Balthasar Glättli von den Grünen. «Nein, ich will Savic nicht kritisieren», meint Thomas Hurter von der SVP heute noch. «Die Verantwortung für den Kauf tragen einzig Bundesrätin Viola Amherd und der Rüstungschef.» Dabei war es Savic, der an einer Pressekonferenz im November 2021 die Fixpreiserzählung lancierte. Damals mussten die Verantwortlichen nach kritischen Medienberichten zum ersten Mal eine Milliarde Mehrkosten aufgrund der nicht einberechneten Teuerung einräumen. Am neuen Preis von sechs Milliarden Franken werde sich nichts mehr ändern, sagte Savic, «wir profitieren bei der Beschaffung von Fixpreisen».

Auch in der SiK ging er nicht auf Kritik ein: «Die Kosten sind am Sinken», behauptete er gar gemäss einem Protokoll, von dem die WOZ Kenntnis hat. Zuvor war die Frage gestellt worden, ob die Schweiz nicht einmal ihre Kosten mit jenen der anderen Abnehmerländer des Flugzeuges vergleichen müsste. Savic war es schliesslich auch, der gemeinsam mit dem damaligen Rüstungschef Martin Sonderegger am 19. September 2022 den Kaufvertrag mit den USA unterzeichnete, obwohl die Eidgenössische Finanzkontrolle in einer Untersuchung zwei Monate zuvor gewarnt hatte, es gebe keinen Fixpreis. Und obwohl eine Volksinitiative gegen den F-35 eingereicht war.

Nach seinem abrupten Abgang nach sechzehn Jahren bei Armasuisse arbeitet Savic nun wieder bei den Pilatus-Werken. Dort wird man ihm seinen Einsatz danken: Der Nidwaldner Flugzeugbauer profitiert von den Offsetgeschäften, die mit dem F-35-Kauf einhergehen, und entwickelt für Lockheed Martin ein Trainingsprogramm für den Jet. Den finanziellen Umfang geben weder Pilatus noch Armasuisse bekannt.

Peter Winter: Der Botschafter

Auch auf die Anfrage an Armasuisse, wer wann welche Verantwortung trug, will die Behörde kein Organigramm schicken. Sie hält nur nichtssagend fest: «Alle Projektmitarbeiter des Projektes Air2030 nehmen ihre Verantwortung in ihrem Zuständigkeitsbereich wahr.» Geleitet wurde das Beschaffungsprojekt von Peter Winter, ehe ihn Darko Savic Anfang letzten Jahres ablöste. Winter war verantwortlich für die 2021 durchgeführte Evaluation von vier Kampfjettypen, die zur Auswahl des F-35 führte – weil die Kauf- wie die späteren Betriebskosten des Jets notorisch zu tief berechnet wurden, wie Kritiker:innen früh bemängelten.

Der diplomierte Elektroingenieur Winter spielte auch bei der Fixpreiserzählung eine entscheidende Rolle. Wie die «NZZ am Sonntag» berichtete, holte er für Viola Amherd bei der US-Regierung eine Bestätigung ein, dass ein solcher garantiert sei. Das vertrauliche Dokument belegt allerdings nur das Bekannte: dass die USA die Jets zum gleichen Preis an die Schweiz weitergeben, wie sie diese bei Lockheed Martin einkaufen werden.

Winter arbeitet zwar immer noch für Armasuisse, allerdings weit weg von Bundesbern: Im Rahmen einer Umstrukturierung ist er seit Januar dieses Jahres «Berater im Beschaffungswesen» auf der Schweizer Botschaft in Washington D. C.

Peter Merz: Der Rechthaber

Der eigentliche Auftraggeber bei der Armasuisse für den Kauf der Jets ist die Schweizer Luftwaffe – jene im Selbstverständnis elitäre Truppe also, die sich über die anderen Gattungen der Armee stets erhaben fühlt. Diese Haltung verkörperte auch Luftwaffenkommandant Peter «Pablo» Merz, gelernter Lastwagenmechaniker, Kampfjetpilot und sogenannter Leader der Schweizer Kunstflugstaffel.

Merz zerstreute Bedenken stets auf die arrogante Tour: Kritiker:innen am F-35 kanzelte er noch im März 2025 in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» als bloss «vermeintliche Expert:innen» ab, die technisch keine Ahnung hätten. Und er behauptete trotz der Warnungen aus den USA weiterhin öffentlich: «Der Vertrag beinhaltet einen Fixpreis.» Auch nach dem Eingeständnis des Bundesrats gibt sich Merz unbelehrbar. Am Wochenende war er zu Gast an einem Sommeranlass der FDP im solothurnischen Rickenbach und fand gemäss dem «Grenchner Tagblatt»: «Die Beschaffung ist alternativlos.»

Eigentlich bräuchte die Schweiz nicht 36, sondern 72 Kampfjets für den Kriegsfall, meinte Merz noch. Der Mann hat gut reden: Am 21. Februar dieses Jahres wurde bekannt, dass er sich als CEO der Flugüberwachung Skyguide in Sicherheit gebracht hat. Merz äussert sich gegenüber der WOZ wie alle anderen nicht zu seinem Abgang.

Thomas Süssli: Noch ein Schönfärber

Nach der Bundesrätin und den Projektverantwortlichen trat dann am 25. Februar als Letzter auch noch der Chef der Armee ab: Thomas Süssli. Der frühere Banker war nicht direkt mit der Beschaffung betraut. Als Vorsitzender der Programmaufsicht von «Air2030» hatte er aber eine Kontrollaufgabe. Und auch Süssli war allzeit bereit, die Sache schönzureden, zuletzt am Dienstag im SRF-«Tagesgespräch»: Der F-35 erfülle die Anforderungen mit Abstand am besten – und sei über die gesamte Lebensdauer der günstigste. Nun müsse man eben so gut wie möglich mit den USA verhandeln.

Doch im Parlament werden die Fragen immer lauter: Ebenfalls am Dienstag hat die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) entschieden, eine Inspektion zur Frage des Fixpreises durchzuführen. SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, Präsidentin der SiK, sagt: «Im Moment frage ich mich: Wer sagt überhaupt noch die Wahrheit?» Die Untersuchung müsse endlich die zentralen Fragen stellen: «Wer hatte genau welche Verantwortlichkeiten? Wer wusste was zu welchem Zeitpunkt?» Sollten die Antworten nicht befriedigend ausfallen, «werden wir eine PUK fordern».