Von oben herab: Unterm Rad

Nr. 9 –

Stefan Gärtner würde die Veloabgabe zahlen

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Das Gegenteil von gross ist klein, das Gegenteil eines netten Menschen, mit dem man gern auf eine Stange in die Beiz geht, ist Alice Weidel, das Gegenteil von Alice Weidel ist Ruedi Widmer; und das Gegenteil der modernen, fahrradfreundlichen Stadt ist die, in der ich lebe.

«Lass uns aufgeben», sage ich manchmal zu meiner Frau. «Lass uns einen SUV kaufen und damit zum Briefkasten fahren.» Solange ich denke, fahre ich im Alltag Fahrrad, zur Schule, zur Uni, in die Redaktion, und immer ging es. Da, wo wir jetzt wohnen, geht es auch, wie ja immer alles geht, aber es ist eigentlich nicht vorgesehen. Vorgesehen ist, dass alle mit dem SUV zum Briefkasten fahren und Velos bitte sehen sollen, wo sie bleiben. Fahrradwege gibt es nur ausnahmsweise, und wenn es sie gibt, bestehen sie in einem auf den Rand einer vierspurigen Ausfallstrasse gemalten Piktogramm. Im Wesentlichen hat man dann die Wahl, sich auf der Strasse überfahren oder auf dem Trottoir anpflaumen zu lassen. Alternativ besteht das Verhältnis von Anfahrtszeit mit dem öffentlichem Nahverkehr zu der mit dem Auto verlässlich bei fünf zu eins, und wenn mein WOZ-Redaktor (freundschaftlich) spöttelt: «Du bist doch Autofahrer!», dann war er noch nicht hier.

Ein Bild sagt ja mehr als tausend Worte, und wer wissen will, in welch feindlicher Umgebung ich bei Wind und Wetter Fahrrad fahre, der schlage zum Beispiel den «Thalwiler Anzeiger» vom 21. Februar auf, Seite 7: «Wer Velo fährt, soll künftig wie Autofahrende Verkehrsabgaben leisten», dies sei «auch schweizweit ein Thema». Dem Artikel ist ein Foto beigegeben, auf dem ein Velofahrer auf einem luxuriösen innerstädtischen Fahrradschnellweg unterwegs ist, und falls irgendwer wissen will, wie es bei mir daheim ganz und gar nicht ist: so.

Ich würde die Veloabgabe zahlen, auch wenn sie natürlich ein Witz ist. Unsere sogenannte Jahresfahrleistung mit dem Automobil beträgt ein Drittel des statistischen Durchschnitts, und auch das nur, weil wir nicht in den Urlaub fliegen, und trotzdem bezahle ich den Strassenbau voll mit. Ich bezahle auch die Bahn voll mit, obwohl es in Deutschland so gut wie ausgeschlossen ist, irgendwo pünktlich damit anzukommen, weil jahrzehntelang alles Geld in den Strassenbau statt in funktionierende Weichen geflossen ist.

Gut, das ist jetzt schweizweit eher kein Thema (seien Sie froh!), aber die Grünen im Zürcher Kantonsrat haben natürlich völlig recht mit dem Hinweis auf die enormen externen Kosten des Automobilverkehrs, zumal für die Umwelt: Da komme das Velo «viel besser weg». Dem eidgenössischen Verkehrsdepartement liegen wohl Zahlen vor, wonach jeder Autokilometer 16,5 Rappen «ungedeckte Kosten» verursacht, jeder Velokilometer aber 26,8 Rappen Nutzen bringt, und also ist die Einzelinitiative, die ein Küsnachter Jurist im Kantonsrat eingereicht hat, nichts als Demagogie, wie sie in die Zeit nicht mehr passt oder wie sie in die Zeit gerade sehr gut passt. Es müsse, so der kommende deutsche Kanzler Friedrich Merz in einer letzten Wahlkampfrede, Schluss sein mit linker und grüner Spinnerei, und zu dieser Spinnerei gehört die Idee, dass Autofahren in der Stadt meist überflüssig ist. Das ist noch nicht Kommunismus, sondern verdankt sich der schlichten Erkenntnis, dass es Wahnsinn sei, für achtzig Kilogramm Mensch zwei Tonnen Fahrzeug in Bewegung zu setzen, und dann ist der Hinweis aufs konsumistische Missverhältnis doch wieder Kommunismus, wenn Gemeinwohl wäre, den (über)motorisierten Individualverkehr aus den Städten zu kriegen. Im Kanton haben sie schon ausgerechnet, was eine Fahrradabgabe im Jahr kosten müsste, nämlich keine zehn Franken (zuzüglich der Verwaltungskosten), und bitte, ich würde zahlen, und sei es nur, damit sichtbar wird, was das schlechte Alte kostet und was das bessere Neue.

Es schadet allgemein nicht, das zu wissen.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.