Von oben herab: Hoffnung

Nr. 23 –

Stefan Gärtner über ewige Halbbatzigkeiten

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Gestern sass ich auf dem Spielplatz neben den stumpfsinnigsten Menschen der Welt: Eltern. Es ist wirklich niederschmetternd, dass Menschen, die doch auch über andere Sachen reden und nachdenken könnten, über nichts anderes mehr reden wollen als darüber, wie lange es gedauert hat, Mia ans Zähneputzen zu gewöhnen, nämlich «gefühlt krass lange». Es mag uns trösten, dass der kämpferische Elan der Menschen nicht verschwunden ist; es zieht mich nieder, dass er sich in der Frage materialisiert, was es in der Kita wann zu essen gibt. Unsere Kinderbetreuungseinrichtung schätzt uns, weil wir über zwei Eigenschaften verfügen, die Eltern heute nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen: Ironie auch (oder gerade) in Kindsangelegenheiten und die Unlust, uns ständig in die Arbeit von Profis einzumischen.

Es ist freilich sonnenklar, wo die Verbissenheit herkommt. Erstens ist in einer Welt, deren Reklame sich um das Wort «perfekt» gruppiert, schlichtweg alles verbissen (sogar die Entspanntheit, als ewige «Tiefenentspanntheit», ist es), zweitens sind alle für ihre Zukunft selbst verantwortlich, und schliesslich ist der Nachwuchs jene Zukunft, die man sich lieber nicht ausmalen will. Dass die Autos so aussehen, wie sie aussehen, dick, böse, biotisch, ist nur Ausdruck des Naturzustands, in den Gesellschaft regrediert, und die Hysterie um Kinder, denen der Kindergarten ohne elterliche Zustimmung nicht mal mehr ein Pflaster aufs Knie kleben darf (wegen Übergriffigkeit), ist der Versuch, ein Morgen zu retten, das sich immer entschlossener dem Zweifel aussetzt, noch zu retten zu sein.

Aus dem Kanton St. Gallen ist Fleisch in den Schweizer Handel gelangt, das abenteuerlich hohe Werte des Umweltgifts PFAS aufweist. Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen werden seit den fünfziger Jahren ihrer Imprägnier- und Antihafteigenschaften wegen eingesetzt, in Outdoorkleidung, Skiwachs, Backpapier, Pizzakartons. Sie sind sehr nützlich, aber auch sehr krebserregend und bleiben, als «Ewigkeitschemikalien», nicht nur gefühlt krass lange in der Umwelt.

«Im Kanton hat ein ganzer Landstrich von Eggersriet über Goldach bis nach St. Margrethen mit stark belasteten Standorten zu kämpfen», meldet die «NZZ am Sonntag». «Dass das Gift heute im Boden schlummert, dürfte daran liegen, dass die Bauern ihre Weiden mit Klärschlamm gedüngt haben.» Und dass das vergiftete Fleisch in den Handel gelangt ist, daran, dass der Kanton, geht es um seine Landwirtschaft, «beide Augen» (ebd.) zugedrückt hat: Die Schweiz hat zwar Grenzwerte von der EU übernommen, aber dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen «sind die Hände gebunden. Die Eidgenossenschaft kann gegen einen säumigen Kanton eine Weisung erlassen. ‹Darüber hinaus hat sie keine rechtliche Handhabe›», und ausserdem monieren Fachfrauen wie die Umweltnaturwissenschaftlerin und Zürcher GLP-Ständerätin Tiana Moser, es sei «halbbatzig», belastete Produkte mit unbelasteten zu mischen, um die Grenzwerte nicht zu reissen.

Das schöne Wort «halbbatzig» war mir zwar neu, aber unterm systemischen Vorzeichen kann Umweltpolitik nichts anderes sein: Bitte alles öko, aber wie sollen wir Lieferandos denn auf den Pizzakarton verzichten? Klimakrise bekämpfen, jederzeit, aber nicht auf Kosten des Ferienflugs. Und natürlich kann ich auch darum gut weniger Fleisch essen, weil es so prima Ersatzprodukte gibt, die allesamt in der Ewigkeitschemikalie Plastik verpackt sind.

Der Kollege Leo Fischer hat neulich geschrieben, das einzig Vernünftige sei, alle Hoffnung fahren zu lassen, aber er hat auch keine Kinder. Wer welche hat, muss Hoffnung haben, andernfalls das mit den Kindern eine blöde Idee gewesen wäre. Hoffnung ist aber bloss die, dass es immer die andern trifft, und dass die Söhne Landwirte in Eggersriet werden, ist halt unwahrscheinlich.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.