Neues von Bührle: Zürich, Paris oder Abu Dhabi?

Nr. 44 –

Die Bührle-Stiftung hat ihren Zweck geändert: Ihre Kunstsammlung soll nicht mehr zwingend in Zürich gezeigt werden müssen. Die Stadt prüft rechtliche Schritte dagegen.

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Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich
Auf einmal soll ein Umzug möglich sein: Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich.   Foto: Michael Buholzer, Keystone

Alles begann mit Standortpolitik: Zürich sollte mit einer Erweiterung des Kunsthauses für die Sammlung des Waffenfabrikanten Emil Georg Bührle zum «wichtigsten Standort für den französischen Impressionismus nach Paris aufsteigen». So hiess es 2012 in den Abstimmungsunterlagen für den 206 Millionen Franken teuren Museumsbau. Endet nun die Auseinandersetzung um die historisch kontaminierte Sammlung ebenfalls mit einem Standortentscheid?

Diese Frage stellt sich, nachdem die Bührle-Stiftung vergangene Woche ihren Zweck im Handelsregister geändert hat. Lautete dieser bisher, die Werke der Kunstsammlung «als Ganzes der Stadt Zürich zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen», so wurde der Ortsbezug zu Zürich nun gestrichen. Die Sammlung muss also nur noch öffentlich gezeigt werden: ob weiterhin in Zürich, Paris oder der arabischen Kunstmetropole Abu Dhabi – alles ist jetzt denkbar.

Fragwürdige Änderung

Mit der Änderung erhält die Stiftung auf jeden Fall ein Druckmittel. Wie die armen Superreichen, die sich derzeit vor einer Erbschaftssteuer fürchten, kann sie nun jederzeit mit ihrem Wegzug drohen, um ihrem Willen Nachdruck zu verleihen. Dabei hört Bührle-Stiftungsrat Victor Schmid, früherer PR-Experte bei Hirzel Neef Schmid Konsulenten, das Wort «Druckmittel» nicht gerne: «Mit der Änderung wollen wir uns alle Handlungsoptionen für die Zukunft der Sammlung offenhalten.» Die Sammlung bleibe vorerst im Zürcher Kunsthaus, der entsprechende Leihvertrag läuft bis 2034. «Ein Wegzug war im Stiftungsrat bisher kein Thema.» Schmid lobt die «einvernehmliche Zusammenarbeit» mit dem Kunsthaus.

Beim Präsidialdepartement der Stadt Zürich – Stadtpräsidentin Corine Mauch sitzt auch im Vorstand der Kunstgesellschaft, die das Kunsthaus betreibt – zeigt man sich von der Änderung des Stiftungszwecks «überrascht». Und zwar, wie Pressesprecher Lukas Wigger ausführt, gleich in doppelter Hinsicht: überrascht davon, dass die Stiftung eine solche Zweckänderung angestossen hat, aber auch davon, dass die kantonale Stiftungsaufsicht diese überhaupt gebilligt hat.

Tatsächlich gilt unter Jurist:innen der Zweck als der heilige Gral einer Stiftung. Entsprechend braucht es sehr gute Gründe, um ihn abzuändern. Gemäss Zivilgesetzbuch sind Änderungen des Stiftungszwecks nur dann erlaubt, «wenn deren ursprünglicher Zweck eine ganz andere Bedeutung oder Wirkung erhalten hat, so dass die Stiftung dem Willen des Stifters offenbar entfremdet worden ist». Ist das im Fall Bührle wirklich gegeben?

Stiftungsrat Victor Schmid begründet die Änderung so: «Die pflichtgemässe Geschäftsführung der Stiftung ist infrage gestellt, wenn die Politik verlangen kann, dass einzelne Bilder aus der Sammlung entfernt werden müssen.» Allerdings ist gemäss dem aktuellen Leihvertrag die Stiftung für die allfällige Restitution von Werken zuständig, die während der NS-Verfolgung ihren jüdischen Vorbesitzer:innen entzogen wurden. Auch war es die Stiftung selbst, die zuletzt fünf Werke aus dem Kunsthaus entfernen liess, um eine «faire und gerechte Lösung» mit den Rechtsnachfolgern früherer Besitzer:innen zu finden. Auf die Nachfrage, die Begründung wirke reichlich spekulativ, betont Schmid erneut, dass eine zeitgemässe Auslegung des Stifterwillens eben alle Handlungsoptionen einschliessen müsse. Zudem habe die kantonale Stiftungsaufsicht die Änderung bewilligt.

Stadt kann Entscheid anfechten

Über die Änderung des Zwecks kann allerdings nicht nur die Stiftungsaufsichtsbehörde befinden – den Entscheid anfechten können alle, die über ein rechtliches Interesse am Zweck verfügen, wie der Stiftungsrechtsexperte Hans Michael Riemer, emeritierter Professor der Universität Zürich, ausführt: «Weil die Sammlung von Bührle bisher der Stadt Zürich zugedacht und hier der Öffentlichkeit gezeigt werden sollte, könnten beispielsweise die Stadt Zürich, vertreten durch den Stadtrat von Zürich, oder auch das Kunsthaus, vertreten durch den Kunsthausvorstand, eine Beschwerde einlegen.» Ob diese legitimiert erfolgt, darüber würde das kantonale Verwaltungsgericht entscheiden. Selbstverständlich müssten auch die nötigen Fristen eingehalten werden. Er kenne den Fall nur aus den Medien, betont Riemer. «Aber angesichts des bisherigen Stiftungszwecks und der Investitionen der Stadt Zürich in den Erweiterungsbau scheint mir das erwähnte rechtliche Interesse gegeben.»

Tatsächlich überlegt man bei der Stadt Zürich nach der ersten Überraschung, ob die Grundlagen für eine Anfechtung gegeben sind. Pressesprecher Lukas Wigger sagt: «Die Stadt ist zurzeit daran zu prüfen, in welcher Art die Stiftungszweckänderung ihre Interessen und die Interessen der Zürcher Bevölkerung berührt. Darauf aufbauend wird sie entscheiden, inwiefern Schritte seitens der Stadt Zürich angezeigt sind.»

Unterstützung kommt von der IG Transparenz, die sich für die weitere Aufarbeitung der Bührle-Geschichte einsetzt. Ihr Vertreter, der Historiker Thomas Buomberger, meint: «Wenn die Stadt Zürich für eine Anfechtung legitimiert ist, würden wir diese begrüssen und unterstützen.» Ein Abzug der Sammlung sei bei aller Kritik an deren Entstehung und an der Aufarbeitung der Herkunft der Bilder keine Option. «Die Geschichte der Sammlung und damit auch die Verantwortung dafür ist stark mit Zürich verbunden. Zudem würde ein Wegzug eine Verschleuderung von Steuergeldern bedeuten.»

FAZ versus NZZ

Mit öffentlichen Geldern wurde nicht nur der Erweiterungsbau zum grösseren Teil finanziert, sondern auch die Ausstellung der Sammlung sowie deren Aufarbeitung. Derzeit berät die zuständige Kommission des Stadtparlaments einen Antrag über weitere drei Millionen Franken. Anlass ist der unabhängige Untersuchungsbericht des Berliner Historikers Raphael Gross. Die von ihm geforderte vertiefte Abklärung will das Kunsthaus selbst übernehmen. Das Präsidialdepartement hält auch nach der Änderung des Stiftungszwecks am Vorgehen fest: «Die Umsetzung soll aus ethischen Gründen und wegen der hohen gesellschaftlichen Relevanz rasch erfolgen.» Auch die Stiftung signalisiert Offenheit: «Wir sind jederzeit bereit, aufgrund neuer Erkenntnisse oder Quellen Restitutionen zu prüfen.»

Dass sie sich auch bei einer Änderung des Stiftungszwecks auf unbequeme Jahre einzustellen hat, zeigte eine mitleidlose Wortmeldung der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Zu einem Kommentar der NZZ, wonach viele Museen der Welt die Sammlung mit offenen Armen empfangen würden, meinte die FAZ: «Dies kann bezweifelt werden, denn jedes potentielle Museum wird sich bewusst sein, dass es ein vergiftetes Angebot bekommt.»