Film: Die perverse Seite des American Dream

Nr. 5 –

Filmstill aus «The Brutalist»
«The Brutalist». Regie: Brady Corbet. USA / Grossbritannien /Kanada 2024. Jetzt im Kino.

Die Kamera wackelt durch das Chaos eines Schiffsladeraums. Menschen tummeln sich, es geht Treppen hinauf, bis oben eins dieser Bilder wartet, die so vielsagend wie offensiv von der Leinwand niederschmettern: die Freiheitsstatue, auf dem Kopf. «Niemand ist hoffnungsloser versklavt als jene, die fälschlicherweise glauben, frei zu sein», zitiert die Frauenstimme aus dem Off Goethe.

Die hämmernde Ouvertüre von «The Brutalist» deutet an, woran sich Brady Corbet in seinem Dreieinhalb-Stunden-Koloss abarbeitet: an Migration, Macht und der perversen Seite des American Dream. Der Film, mit zehn Nominierungen ein Favorit bei den Oscars, folgt in zwei Kapiteln und einem Epilog dem ungarisch-jüdischen Architekten László Tóth (intensiv: Adrien Brody). Tóth kommt 1947 auf Ellis Island an, arbeitet im Möbelgeschäft seines Cousins und gerät durch die Renovierung einer Bibliothek an einen schwerreichen Tycoon (grossartig: Guy Pearce). Der unterbreitet dem Bauhaus-Architekten das Angebot, ein gigantisches Gemeindezentrum zu entwerfen.

Ein wahnwitziges Projekt, in dem sich der Film selbst spiegelt. Sieben Jahre hat Corbet, der das Drehbuch zusammen mit seiner Frau Mona Fastvold schrieb, mit der Entwicklung verbracht und für weniger als zehn Millionen US-Dollar ein imposantes, dreissig Lebensjahre umspannendes Epos geschaffen. Gefilmt wurde in Vista Vision, einem in den fünfziger Jahren populären analogen Grossformatverfahren. Wie Orson Welles’ Klassiker «Citizen Kane» oder Paul Thomas Andersons «There Will Be Blood» rechnet «The Brutalist» mit dem amerikanischen Traum ab und konterkariert diesen mit einer jüdisch-migrantischen Perspektive. Amerika erscheint als Land, das Einwanderer wie Tóth nur duldet und sich im schlimmsten Fall an ihnen vergeht.

Im Epilog materialisieren sich in Tóths brutalistischer Kathedrale die Spuren des Holocaust, der im Film durchweg präsent ist – in der Kunst bekommt die schreckliche Vergangenheit so Kontur in diesem Film, der viel über unsere Gegenwart erzählt.