Grossbritannien: Ein Urteil gegen den Schutz

Nr. 17 –

Der britische Supreme Court hat entschieden, dass das Gleichstellungsgesetz nur das biologische Geschlecht betrifft.

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Selbst die Organisator:innen waren überrascht von der Grösse des Protests. Geschätzte 20 000 Menschen tauchten am Samstag am Londoner Parliament Square auf, um mit einer «Notfalldemo» Solidarität mit der Transcommunity zu zeigen. Auch in vielen anderen britischen Städten fanden Proteste statt, von Bristol bis nach Glasgow. Anlass war ein Urteil des Supreme Court, des höchsten Gerichts im Land.

Differenziertes Urteil

Die zwölf Richter:innen hatten am Mittwoch entschieden, das geltende Gleichstellungsgesetz beziehe sich nur auf das biologische Geschlecht: Trans Frauen seien damit nicht als Frauen geschützt. Das 88-seitige Urteil ist aber differenzierter, als es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die verbreitete Interpretation ist, dass etwa geschlechtergetrennte Räume oder Dienstleistungen nicht mehr für trans Menschen gelten – dass also eine trans Frau nicht einer Selbsthilfegruppe für Opfer von Gewalt gegen Frauen beitreten darf.

Der Rechtsstreit hatte 2018 begonnen. Damals erliess die schottische Regierung ein Gesetz, laut dem die Hälfte der Aufsichtsrät:innen in Firmen Frauen sein müssen. Sie legte fest, dass dies auf alle Menschen zutrifft, die sich als Frauen identifizieren. Die transfeindliche Gruppe For Women Scotland, die sich daraufhin formierte, focht den Entscheid an. Schliesslich endete der Fall vor dem Supreme Court.

Zwar betonte Richter Patrick Hodge bei der Urteilsverkündung, dass der Entscheid nicht als Gewinn für die eine oder andere gesellschaftliche Gruppe interpretiert werden sollte. Auch haben führende Jurist:innen klargestellt, dass es keine neue Verpflichtung gebe, trans Menschen aus geschlechtergetrennten Einrichtungen zu verbannen: Es bedeute lediglich, dass Organisationen, die dies tun, nicht gegen das Gleichstellungsgesetz verstossen.

Dennoch feiern Anti-Trans-Aktivist:innen das Urteil als Sieg. Vor dem Gerichtsgebäude liessen sie die Champagnerkorken knallen, die «Harry Potter»-Autorin J. K. Rowling gratulierte den Frauen von For Women Scotland.

Von Männern abgetastet

Der Entscheid wird schon bald handfeste Konsequenzen haben. Die britische Gleichheits- und Menschenrechtskommission (EHRC) hat angekündigt, ihre Leitlinien anzupassen. Sie hat klargestellt, dass etwa eine nur für Frauen bestimmte Toilette nicht von trans Frauen benutzt werden sollte. Übereifrig auch die Verkehrspolizei: Ab sofort werden Leibesuntersuchungen «in Übereinstimmung mit dem biologischen Geschlecht» vorgenommen; trans Frauen werden also von männlichen Beamten abgetastet.

Das Urteil hat innerhalb der Transcommunity Angst ausgelöst. Schon in den vergangenen Jahren sind Fälle von Transphobie in der britischen Gesellschaft häufiger geworden: Zwischen 2020 und 2024 haben Hassverbrechen gegen trans Menschen laut Regierungsstatistik um siebzig Prozent zugenommen. In den Medien sind transfeindliche Standpunkte prominent vertreten, wie Studien zeigen. Von der Berichterstattung erhalte man den Eindruck, «dass wir mit einer Art Invasion von innen konfrontiert sind», so die Journalistin Ash Sarkar in ihrem neuen Buch, «Minority Rule», das sich mit dem britischen Kulturkampf befasst. Trans Menschen (die gemäss der jüngsten Volkszählung 0,5 Prozent der Bevölkerung von England und Wales ausmachen) werden als «gefährliche Minderheit dargestellt, die versucht, ihre Ideologie – und ihre Körper – anderen aufzuzwingen» und «normale» Menschen oder Institutionen zu korrumpieren, so Sarkar.

Transaktivist:innen befürchten, dass das Urteil des Supreme Court solche transphobe Haltungen legitimieren wird. «Es spornt transfeindliche Leute an», sagte die Schauspielerin Charlie Craggs, die selbst trans ist, in einem Fernsehinterview. «Es signalisiert ihnen, dass sie gewinnen.»