Chase Strangio: «Nichts davon ist wirklich neu»

Nr. 29 –

Der starke Mann verspricht Ordnung und Härte: Unter Donald Trump folgt die Entrechtung von LGBT-Personen einem autoritären Kalkül. Der New Yorker Anwalt und LGBT-Aktivist Chase Strangio über die Räume, die für den Widerstand bleiben – und verräterische Reflexe im liberalen Amerika.

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Portraitfoto von Chase Strangio
«Die Leute glauben, dass zwanzig Prozent der US-Bevölkerung trans seien. Das ist ein Spiel mit den Ängsten der Menschen»: Chase Strangio.  

WOZ: Chase Strangio, Sie haben mal gesagt, dass Sie als Anwalt eine Art «Schadensbegrenzung» betrieben, weil Sie glauben, dass sich auf juristischem Weg keine wirkliche Gerechtigkeit erlangen lasse. Wie meinen Sie das?

Chase Strangio: Ich bin nicht Rechtsanwalt geworden, weil ich an das bestehende Recht glaube, sondern weil ich mich als Teil von Bewegungen für einen gesellschaftlichen Wandel sehe. Schauen wir uns das Rechtssystem der USA an: ein System, das im Kern angelegt wurde, um die Sklavereiwirtschaft aufrechtzuerhalten und weissen Landbesitzer:innen den Reichtum zu sichern. Ich glaube nicht, dass wirkliche Freiheit in diesem System möglich ist. Ich sehe meine Rolle vor allem darin, so viel Distanz wie möglich zwischen der staatlichen Gewalt und den Communitys zu schaffen, sodass die Menschen Raum haben, um Widerstand zu organisieren und eine wünschenswerte Welt zu schaffen.

WOZ: Ich interpretiere das auch als einen Aufruf dazu, nicht passiv darauf zu hoffen, dass die Justiz alles wieder in Ordnung bringe.

Chase Strangio: Es ist ein Aufruf, die Erwartungen anzupassen. Gerichte haben in einer Demokratie eine wichtige Kontrollfunktion, aber das bedeutet eben nicht, dass sie uns retten. In den Jahren nach Donald Trumps erster Wahl, 2017 und 2018, gab es unter Liberalen eine deutliche Tendenz, auf die Gerichte zu starren, mit der Vorstellung, diese seien die Bastion der Demokratie. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen daran heute weniger glauben, allerdings oft verbunden mit einem Gefühl der Verzweiflung. Die ist angebracht. Aber es braucht auch eine neue Vorstellung davon, wie Gerechtigkeit im Grossen und Ganzen aussehen könnte. Wenn man in die Geschichte schaut, wurden soziale Bewegungen, die sich zu abhängig von der Justiz machten, oft stillgelegt.

Der aktivistische Anwalt

Chase Strangio (42) arbeitet als Anwalt für die American Civil Liberties Union (ACLU), wo er das «LGBT & HIV Project» leitet. Er ist einer der bekanntesten LGBT-Aktivist:innen der USA. In seiner juristischen Laufbahn hat Strangio unter anderem die Whistleblowerin Chelsea Manning vertreten. Im Dezember 2024 verhandelte er als erste trans Person in der Geschichte des Landes in einem Fall vor dem Supreme Court. Er lebt mit seinem Kind in New York City.

WOZ: Blicken wir auf die aktuelle Situation. Würden Sie sagen, dass die USA unter Donald Trump noch ein Rechtsstaat sind?

Chase Strangio: Einerseits ist diese Regierung offensichtlich nicht daran interessiert, Regeln einzuhalten. Sie setzt sich über verschiedenste Normen hinweg, mit dem ideologischen Ziel, die Macht der Milliardär:innen zu festigen. Zugleich folgt Trump vielen bestehenden Regeln. Wir haben beispielsweise Gesetze, die den Beamt:innen der Abschiebebehörde ICE enorme Befugnisse einräumen. Wenn wir uns für Rechtsstaatlichkeit einsetzen, sollten wir uns also bewusst sein, was das bedeutet. Der Rechtsstaat hat viele gewaltvolle und diskriminierende Elemente.

WOZ: Trump bricht das Gesetz und nutzt es zugleich. Was ist sein übergeordnetes Ziel?

Chase Strangio: Ich sehe ihn nicht als eine Art König, der die anderen staatlichen Gewalten abschaffen will. Es ist fast noch tückischer: eine Art Theater der Demokratie. Wir sehen, dass unsere Institutionen ausgehöhlt werden. Trump kann allein durch Drohungen eine Menge Macht ausüben. Er droht Medien mit Strafverfolgung – die kapitulieren. Er entzieht Universitäten Gelder – die folgen seinen politischen Vorgaben. Wir bewegen uns in die Orbán-Putin-Richtung, wo die Systeme von «Checks and Balances» nicht abgeschafft sind, sondern immer mehr in den Diensten der Staatschefs funktionieren.

WOZ: Trump hat seit seiner Amtseinweihung eine grosse Zahl von Präsidialverfügungen erlassen. Organisationen wie Ihre, die American Civil Liberties Union (ACLU), versuchen, mit Unterlassungsklagen vor Bezirksgerichten dagegenzuhalten. Mit welchem Erfolg?

Chase Strangio: Es funktioniert bis zu einem gewissen Grad. Wenn man sich nur die Fälle der ACLU gegen die Trump-Regierung ansieht, haben wir in 75 Prozent einstweilige Verfügungen von den Bezirksgerichten erreicht. Das setzt sich allerdings nicht immer sofort um, insbesondere wenn man es mit einer renitenten Regierung zu tun hat. Insgesamt aber haben die einstweiligen Verfügungen einen positiven Effekt. Schon als Motivation zur Opposition.

WOZ: Das Oberste Gericht entschied Ende Juni im Fall «Trump v. CASA», in dem es um die Abschaffung der automatischen Staatsbürgerschaft per Geburt ging, dass Bezirksgerichte derartige Präsidialverfügungen nicht per landesweiter Verfügung stoppen können. Was bedeutet das Urteil für den Widerstand?

Chase Strangio: Das Recht auf Staatsbürgerschaft per Geburt ist durch den vierzehnten Zusatzartikel der Verfassung gesichert. Insofern ist Trumps Verordnung gänzlich verfassungswidrig. Die Regierung weiss das natürlich und versucht alle möglichen Tricksereien. Sie behauptet, dass die Entscheidungen von Bezirksgerichten nur für diejenigen Leute gelten dürften, die geklagt haben, und nicht landesweit für alle Menschen. Dass der Supreme Court der Regierung jetzt recht gegeben hat, ist ein Angriff auf alle unteren Gerichte und deren Möglichkeiten, die Macht des Präsidenten zu kontrollieren.

WOZ: Wir sind also in einem System gefangen, in dem die Bezirksgerichte nur sehr begrenzt eingreifen können und das Oberste Gericht meist auf Trumps Seite steht?

Chase Strangio: Ja, auf gewisse Weise stimmt das. In meiner Rolle als politischer Kommentator betone ich, wie zynisch, düster und falsch das alles ist. Wenn ich hingegen als Anwalt spreche, weise ich darauf hin, dass uns Wege bleiben. Zum Beispiel: Auch wenn der Supreme Court entscheidet, dass landesweite Unterlassungsverfügungen durch Bezirksgerichte nicht zulässig sind, können wir als ACLU immer noch im Namen eines Mitgliederverbands klagen. Das sind dann Hunderttausende Menschen, die Hilfe bekommen. Wir können auch für verschiedene Personen oder Gruppen eine Sammelklage einreichen. Wir versuchen, alles herauszuholen, was unter den begrenzten Umständen möglich ist.

WOZ: Nicht der ganze Supreme Court ist rechtsorientiert. Drei der neun Richter:innen sind unter demokratischen Präsidenten ins Amt gekommen. Wie wichtig ist es, dass diese bei vielen Urteilen eine abweichende Meinung veröffentlichen?

Chase Strangio: Es ist schon für die Geschichtsschreibung wichtig. Wenn wir etwa an die einstigen Urteile zur Aufrechterhaltung der «Rassentrennung» denken, dann wissen wir, welche Richter damals auf der richtigen Seite standen. Unter den heutigen Richter:innen merkt man vor allem bei Sonia Sotomayor und Ketanji Brown Jackson, dass sie dem Schmerz der Situation eine Stimme geben und aus der Erfahrung als Women of Color sprechen. Ich halte es für immens wichtig, dass wir ihren Dissens hören.

WOZ: Sprechen wir über Ihren Fachbereich, die Rechte von trans Menschen. Wie würden Sie die Situation beschreiben, erst einmal ganz allgemein?

Chase Strangio: Wir erleben einen unfassbaren Backlash gegen Fortschritte für LGBT-Personen im Allgemeinen, und trans Menschen sind davon im Besonderen betroffen. Das drückt sich nicht nur in der Aushöhlung ihres rechtlichen Schutzes aus, sondern auch dadurch, dass trans Menschen im Diskurs zum Sündenbock gemacht werden, mit einer medialen Fixierung auf unsere Körper. Was wir in den USA beobachten, ähnelt dabei sehr stark dem, was wir auch in Europa sehen, insbesondere in Grossbritannien. Rechte Parteien und Regierungen haben sich regelrecht in das Thema verbohrt. Es geht darum, Männer und Frauen in ihre «richtigen» Rollen zu zwingen, es geht um Kontrolle über die Bevölkerung. Aufgestachelt werden vor allem junge Männer online. Und es sind nicht nur LGBT-Personen, die von diesem Backlash betroffen sind, sondern Immigrant:innen, People of Color sowie alles, was irgendwie mit Gleichberechtigung und Inklusion zu tun hat. Es herrscht die Haltung vor, die Linke sei zu weit gegangen.

WOZ: Der Autor Andrew Sullivan hat genau dieses Argument gerade in einem Essay für die «New York Times» vorgebracht. Sullivan, selbst homosexuell, ist der Meinung, dass die Schwulen- und Lesbenbewegung erfolgreich gewesen sei, weil sie sich auf Bürgerrechte wie die gleichgeschlechtliche Ehe konzentriert habe. Die LGBT-Bewegung hingegen scheitere an ihrer eigenen Radikalität, so Sullivan, indem sie etwa geschlechtsangleichende Behandlungen für Minderjährige fordere. Was halten Sie von dieser Argumentation?

Chase Strangio: Es ist eine ahistorische Erzählung, die suggerieren soll, dass sich politischer Erfolg dadurch erzielen lasse, dass man einen Teil einer Community aufgibt. Die Idee – entweder aus Unwissenheit oder in böser Absicht – lautet, dass wir die Gleichstellung homosexueller Menschen bewahrten, wenn wir aufhören würden, uns für trans Menschen einzusetzen. Aber das stimmt natürlich nicht. Die treibenden Kräfte sind die gleichen, die auch «Obergefell» [so der Name eines Supreme-Court-Urteils von 2015, das die gleichgeschlechtliche Ehe landesweit legalisierte, Anm. d. Red.] aufheben wollen. Sie wollen also auch Andrew Sullivans Gleichberechtigung untergraben. Die Ironie ist ja, dass ich mit meiner Arbeit genauso für Sullivans Rechte kämpfe wie für die Rechte von trans Kids.

WOZ: Wie ist denn die Bewegung gegen trans Menschen historisch gewachsen?

Chase Strangio: Es handelt sich um eine globale Kampagne, die bereits seit Jahrzehnten läuft und Milliarden Dollar verschlungen hat. Vieles läuft nach den gleichen Mustern, mit denen homosexuelle Menschen bekämpft wurden, etwa, indem dafür gesorgt wurde, dass sie nicht an Regierungsposten kamen, vom Militärdienst ferngehalten wurden, keine Lehrer:innen werden durften, nicht an sportlichen Wettbewerben teilnehmen konnten, weil sie dann mit in der Umkleidekabine gesessen hätten.

Nichts davon ist also wirklich neu. Es dreht sich heute wie damals um den vermeintlichen Schutz von Frauen und Kindern. Eine wichtige Rolle spielt hier die christliche Rechte, die ganz gezielt LGBT-Menschen dämonisiert. Sie glauben, dass wir eine Bedrohung für die Gesellschaft sind.

WOZ: Wie erklären Sie sich diese Obsession?

Chase Strangio: In gewisser Weise ist es auch für mich unerklärlich. Ich finde diese Besessenheit wirklich obszön. Immer wieder Titelgeschichten. Unerbittliche Schlagzeilen. Fox News beispielsweise hat innerhalb von vier Monaten rund 400 Beiträge über trans Sportler:innen ausgestrahlt, obwohl es davon in den USA nur sehr wenige gibt.

WOZ: Von den 500 000 Athlet:innen im Hochschulsportverband NCAA sind gerade mal zehn trans.

Chase Strangio: Aber aufgrund des politischen und medialen Klimas glauben die Menschen, dass zwanzig Prozent der US-Bevölkerung trans seien. Das hat nichts mit der Realität zu tun. Es ist ein Spiel mit den Ängsten der Menschen in einer sich verändernden Welt, damit sie am Ende einen «strong man» wählen, jemanden, der die alte Ordnung wiederherstellt. Trans Menschen bringen das binäre Geschlechtersystem ins Wanken. Wenn starre Systeme destabilisiert werden, ist das immer eine Bedrohung für die Herrschaft.

WOZ: Trump erklärte gleich am Tag seiner Amtseinführung, dass die Regierung von nun an nur noch zwei Geschlechter anerkennen werde. Wie wird das umgesetzt?

Chase Strangio: Wir haben die Veränderungen sehr schnell auf behördlichen Dokumenten gesehen, zum Beispiel auf neu ausgestellten Ausweisen. Das löst natürlich Chaos und Ängste aus. Trumps Behauptung, dass es nur zwei Geschlechter gebe, verträgt sich weder mit biologischen Erkenntnissen noch mit den Gesetzen der zurückliegenden Jahrzehnte. In der Vergangenheit gab es zwar auch viele regressive Regeln, aber dass Menschen auf ihrem Ausweis das bei der Geburt zugeteilte Geschlecht vermerken müssen, das gab es lange nicht. Jetzt sind wir in einer Situation, in der Leute, denen niemand ansehen würde, dass sie trans sind, gezwungen sind, Ausweise herumzutragen, die offensichtlich nicht stimmig sind, was wiederum dazu führt, dass ihnen Betrug vorgeworfen wird. Die Regierung tut so, als sei ihr Klassifizierungsmodell einfacher als das Modell der Selbstbestimmung, aber das ist es in der Realität einfach nicht.

WOZ: Was hat sich für trans Menschen seit Trumps Amtsantritt noch verändert?

Chase Strangio: Zunächst mal ist gleichgeblieben, dass trans Menschen in republikanisch regierten Bundesstaaten keinen Zugang zu den ihnen entsprechenden Toiletten haben und es keine adäquate Gesundheitsversorgung für unter Achtzehnjährige gibt. Ziel der Regierung ist es, diese Massnahmen auch auf nationaler Ebene zu verankern. Was sich in den vergangenen Monaten verschlechtert hat, ist die Situation an den Universitäten. Immer mehr Einrichtungen geben der Regierung nach und schliessen trans Sportler:innen aus. Gerade erst hat die University of Pennsylvania einer Athletin, Lia Thomas, sogar ihre gewonnenen Titel aberkannt. Ein Kinderkrankenhaus in Los Angeles hat kürzlich sein Zentrum für Trans-Gesundheitsversorgung geschlossen. Auch der Ausschluss von trans Menschen aus dem Militär hat enorme Auswirkungen. Es gab zuletzt Tausende im aktiven Dienst.

WOZ: Im Dezember haben Sie als erste trans Person in der Geschichte der USA einen Fall vor dem Supreme Court vertreten. Bevor wir über den Fall selbst sprechen – wie war diese Erfahrung?

Chase Strangio: Ich bewege mich in meiner Arbeit oft zwischen Räumen der Community und Räumen der Justiz, und das ist eine Herausforderung. Ähnlich wie bei berufstätigen Eltern, die das Gefühl haben, sowohl zu Hause als auch bei der Arbeit zu versagen. Und man muss natürlich immer auch Codes und Sprache wechseln. Aber egal wo, ich folge immer einem Fixstern, einem übergeordneten Ziel, und das ist der Kampf für meine Community. Das hat mir auch vor dem Obersten Gericht geholfen. Ich bin da nicht reingegangen mit der Hoffnung, dass der vorsitzende Richter mich als trans Menschen respektiert; ich war einfach auf meine Aufgabe konzentriert. Und ich weiss mittlerweile auch, wie wichtig meine Anwesenheit für viele Menschen war. Repräsentation alleine ist zwar nicht der Horizont, aber es bedeutet etwas, wenn eine trans Person bei solchen Entscheidungen mit im Raum ist.

WOZ: In dem verhandelten Fall ging es um ein Verbot geschlechtsangleichender Behandlungen für Minderjährige im Bundesstaat Tennessee. Sie haben argumentiert, dass dieses aus zwei Gründen verfassungswidrig sei: Einmal, weil es gegen die Geschlechtergleichstellung verstosse, und auch, weil es Eltern das Recht nehme, medizinische Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen. Der Oberste Gerichtshof war anderer Meinung.

Chase Strangio: Das Gericht hat sich nicht einmal mit unserem Argument für Elternrechte befasst. Es ging also einzig um den Gleichbehandlungsgrundsatz. Wenn du ein trans Mann bist, hast du keinen Zugang zu Hormonen. Wenn du ein cis Mann bist, dann kommst du an diese Hormone. Das Gericht musste schon sehr viel ignorieren, um hier keine Verletzung der Gleichberechtigung zu erkennen.

WOZ: Was bedeutet das Urteil für den juristischen Kampf für Trans-Rechte?

Chase Strangio: Es schränkt unsere Klagemöglichkeiten ein, wenn es um die Gesundheitsversorgung für junge Menschen geht. In anderen Kontexten können wir weiter verfassungsrechtliche Ansprüche erheben, einschliesslich für die Gesundheitsversorgung von trans Erwachsenen.

WOZ: Manche haben argumentiert, es sei riskant gewesen, diesen Fall vor den Obersten Gerichtshof zu bringen.

Chase Strangio: Der einzige Weg, um sicherzustellen, dass ein Fall niemals vor das Oberste Gericht kommt, besteht darin, niemals Klage einzureichen. Das hiesse, aufzugeben. Und das ist keine Option. Wir können Gesetze wie jenes in Tennessee nicht einfach ohne Widerspruch hinnehmen.

WOZ: Die ACLU kämpft zurzeit an verschiedenen Fronten, um die Repressionen der Regierung gegenüber trans Menschen zu verhindern. Wie steht es um die anderen Fälle?

Chase Strangio: Wir klagen in drei Fällen, die speziell Trans-Rechte betreffen. In einem geht es gegen die Regierungsentscheidung, dass trans Menschen einen Ausweis mit ihrem Geburtsgeschlecht haben müssen. Das Bezirksgericht hat uns recht gegeben, weshalb zumindest theoretisch alle trans Menschen vorläufig noch einen Ausweis mit ihrem richtigen Geschlechtseintrag erhalten sollten. In einem anderen Rechtsstreit geht es um den Zugang zu Gesundheitsversorgung für trans Personen in Gefängnissen. Auch hier haben wir über eine Sammelklage von einem Bezirksgericht recht bekommen. In einem weiteren Fall haben wir erreicht, dass die Regierung Krankenhäuser nicht dazu zwingen darf, trans Menschen unter neunzehn Jahren von der Versorgung mit entsprechenden Medikamenten abzuschneiden. Das allerdings ist eine landesweite Verfügung, wir müssen also abwarten, wie es nach dem einschneidenden CASA-Urteil des Supreme Court weitergeht.

WOZ: Wie verhält sich eigentlich die Demokratische Partei zu diesen Fragen?

Chase Strangio: Die Prioritäten dieser Partei wurden zuletzt mal wieder deutlich, als das republikanische Haushaltsgesetz im Kongress verhandelt wurde – und manche demokratische Abgeordnete derweil nichts Besseres zu tun hatten, als Zohran Mamdani, New Yorks neuen linken Bürgermeisterkandidaten, anzugreifen. Die Partei landet immer wieder an dem Punkt, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu verraten. Nach der Wahl 2024 dauerte es nicht lang, bis die Erzählung verbreitet wurde, dass der Einsatz für Trans-Rechte ein Grund dafür gewesen sei, dass die Wahl verloren wurde. Das ist empirisch komplett falsch. Unter dem Strich betrachte ich das Ganze überparteilich; wir brauchen eine Massenbewegung, eine Mobilisierung gegen die Politik des Establishments.

WOZ: Weil Sie die Masse ansprechen: Wo steht die US-Bevölkerung beim Thema Trans-Rechte?

Chase Strangio: Wenn man der Bevölkerung eintrichtert, dass eine Gruppe von Menschen viel mehr Macht habe als der Rest, dann macht sich das irgendwann bemerkbar. Ich bin jüdisch und habe als Heranwachsender viel über die Geschichte der Unterdrückung des jüdischen Volkes gelernt. Aus einer linken Perspektive. Und trotzdem glaubte sogar ich selbst dem überzeichneten Bild, wonach der jüdische Einfluss auf die USA sehr gross sei. Verschwörungserzählungen über Minderheiten bringen uns in jedem Fall an dunkle Orte. Wir sollten also aufpassen, wenn es beispielsweise heisst, dass die American Academy of Pediatrics, die grösste US-Vereinigung von Kinderärzt:innen, von trans Aktivist:innen kontrolliert werde.

WOZ: Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Sie durch Ihre geschlechtsangleichende Behandlung einen Frieden mit sich und der Welt gefunden hätten. Glauben Sie, dass zu viele Menschen die Bedeutung dieser Behandlungen schlichtweg nicht verstehen? Oder ist es zu vielen einfach egal?

Chase Strangio: Ich glaube, die meisten Menschen wissen erst einmal gar nichts zu diesem Thema. Würde man die Gegner:innen fragen, was geschlechtsangleichende Behandlungen sind und warum genau sie verboten gehören, könnten die allerwenigsten drei zusammenhängende Sätze von sich geben. Das ist ja nicht nur bei diesem Thema so. Leute lesen oft nur Schlagzeilen. Wir alle machen das ja manchmal so. Dazu werden sie mit Falschinformationen bombardiert, immer häufiger KI-produziert. Wir stehen also vor ungeheuren Herausforderungen, gegen dieses Klima anzukommen und andere, wahrhaftige Geschichten zu erzählen.

WOZ: Und wie steht es um den Widerstand für Trans-Rechte aus der Bevölkerung?

Chase Strangio: Ich finde, dass mehr Solidarität zwischen den Bewegungen nötig ist. Wir brauchen robustere Bewegungen. Aber ich habe zugleich auch Hoffnung. Ich sehe jeden Tag Menschen, die unter desaströsen Bedingungen Aussergewöhnliches vollbringen. Als im Januar in Los Angeles die Wälder brannten, taten sich Nachbar:innen zusammen. Das Gleiche passierte in meiner Nachbarschaft in Queens, als 2020 die Pandemie ausbrach. Wenn ich an eine Sache glaube, dann an die Kraft der Menschen, füreinander zu sorgen. Und die Geschichte queerer Menschen ist genau diese Geschichte. Ich war kürzlich in Provincetown, einer Stadt in Massachusetts, die für ihre LGBT-Community bekannt ist. Dort erzählten mir die Leute, dass zu Beginn von Covid jeder gewusst habe, was zu tun war, weil Provincetown noch über so viel Erfahrung aus jener Zeit verfügte, in der Menschen an Aids starben. So sei die Covid-Impfquote in Provincetown dann auch quasi bei hundert Prozent gelegen. Was ich sagen will: Wir können auf unsere Geschichte des Überlebens und Kümmerns zurückgreifen.