Frauenrechte in den USA: «Zum Teufel, nein!»

Nr. 18 –

Das oberste Gericht der USA will demnächst das seit 1973 geltende Recht auf Abtreibung aufheben. In diversen Bundesstaaten bedeutet dies eine Rückkehr ins tiefste Patriarchat. Die Antwort muss auf der Strasse, im Kongress und an der Wahlurne erfolgen.

«Wir sind der Meinung, dass ‹Roe v. Wade› widerrufen werden muss»: So bringt Bundesrichter Samuel Alito die Mehrheitsmeinung des Supreme Court der USA auf den Punkt. Vor einem halben Jahrhundert entschied der gleiche Gerichtshof im Fall «Roe v. Wade» mit sieben zu zwei Stimmen, die US-Verfassung schütze die Privatsphäre der Bürger:innen – und zu dieser Privatsphäre gehöre auch das Recht jeder Frau, bis zur Lebensfähigkeit eines Fötus selber zu entscheiden, ob sie das Kind austragen wolle oder nicht. Heute vertritt der mehrheitlich rechtskonservative oberste Gerichtshof eine ganz andere Meinung: Die Verfassung der USA erwähne die Abtreibung mit keinem Wort und könne diese auch nicht mitgemeint haben, denn das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung sei «nicht tief in der Geschichte und den Traditionen der Nation verwurzelt». So steht es jedenfalls im Entwurf des Gerichtsentscheids, der zum Wochenbeginn an die US-Tageszeitung «Politico» geleakt wurde.

Haben die «verfassungstreuen» obersten Richter:innen übersehen, dass bereits mehrere Generationen von US-Amerikaner:innen mit dem Recht auf Abtreibung aufgewachsen sind? Oder dass seit «Roe v. Wade» in sämtlichen Umfragen eine solide Mehrheit das Recht auf Abtreibung befürwortet?

Das heutige Amerika reagierte prompt auf die drohende Rückkehr ins tiefste Patriarchat. Hunderte «Pro Choice»-Aktivist:innen demonstrierten bereits am Montagabend vor dem Gerichtsgebäude in Washington D. C. Sie trafen auf eine Handvoll «Pro Life»-Abtreibungsgegner:innen. Die Plakate der beiden Lager hätten aus dem Jahr 1973 stammen können; wie schon damals stand «Abtreibung ist ein Frauenrecht» gegen «Abtreibung ist Mord».

Wenn die Minderheit regiert

Und doch ist die Situation eine andere. Die «Pro Choice»-Bewegung fordert diesmal nicht wie in den sechziger und siebziger Jahren eine Gesellschaftsreform. Sie verteidigt hart errungene Rechte – und letztlich auch die Demokratie. Denn in den USA will eine fundamentalistische Minderheit, grösstenteils Republikaner:innen, der liberaleren Mehrheit immer dreister ihren christlich-nationalen Willen aufzwingen. Das passierte nach den letzten Präsidentschaftswahlen mit dem Sturm aufs Kapitol. Und es passiert nun auch beim Angriff auf selbstbestimmte Geburtenkontrolle. Die Rechte wird das Ende von «Roe v. Wade» als grossen Triumph feiern.

Doch wird sie damit bei den Zwischenwahlen im Herbst auch Stimmen gewinnen? Die andere Seite, von der demokratischen Basis bis hin zu Präsident Joe Biden, nutzt das frauenfeindliche Dokument des Supreme Court bereits als Sprungbrett für die eigene Wahlkampagne. «Zum Teufel, nein! In Illinois vertrauen wir den Frauen», kommentierte etwa Gouverneur J. B. Pritzker die drohende Aufhebung des Rechts auf Abtreibung. Die Gouverneur:innen Gretchen Widmer in Michigan und Gavin Newsom in Kalifornien versprechen, «wie verrückt» für die Rechte der Frauen kämpfen zu wollen. Die einstige Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren stellte sich am Dienstag zu den Demonstrant:innen vor dem Sitz des Supreme Court und sagte: «Ich habe die Welt erlebt, in der Abtreibung illegal ist. Dahin gehen wir nicht zurück.»

Der Women’s March vom 21. Januar 2017, die grösste Kundgebung in der Geschichte der USA, verleiht solch kämpferischen Aussagen im Nachhinein politisches Gewicht. Damals gingen zum Amtsantritt von Präsident Donald Trump im ganzen Land drei bis fünf Millionen Menschen auf die Strasse. Einer der wichtigsten Slogans lautete: «Frauenrechte sind Menschenrechte».

Schattenseite des Föderalismus

Wenn der Supreme Court den Schutzwall des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Abtreibung beseitigt, ist die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs den einzelnen Bundesstaaten überlassen. Es entsteht ein unübersichtlicher Flickenteppich mit ganz unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, die sozial benachteiligte Frauen in konservativen Staaten besonders hart treffen. Demokratisch regierte Staaten, sogenannte «blue states», werden dafür sorgen, dass der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch weiterhin gesichert ist. Republikanisch regierte «red states» werden Abtreibungen erschweren oder gleich ganz verbieten. Manche dieser konservativen Bundesstaaten wollen nicht einmal bei Vergewaltigung oder Inzest eine Ausnahme vom Abtreibungsverbot zulassen.

Föderalismus als «Lösung» für schwierige gesellschaftliche Probleme hat in den USA eine ungute Geschichte. Nach dem Verbot der Sklaverei Mitte des 19. Jahrhunderts waren die USA hundert Jahre lang ein Flickenteppich aus inklusiven und segregierten Bundesstaaten. Erst mithilfe von Gerichtsentscheiden und Gesetzgebung auf Bundesebene sowie dank des Drucks der Bürgerrechtsbewegung liess sich die Apartheid endlich im ganzen Land formal abschaffen.

Gegenwärtig setzen die Republikaner:innen in den USA alles daran, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, sowohl in Sachen Rassismus als auch punkto Sexismus. Und mittlerweile haben sie im Supreme Court eine solide Mehrheit. Umso dringender ist der Widerstand der Regierung Biden und der demokratischen Gesetzgeber:innen im Kongress. Die US-Geschichte zeigt aber auch: Vor allem braucht es eine neue starke Bürger:innenrechtsbewegung.