Theater: Ungebumst auf dem Friedhof

Nr. 46 –

Bühnenfoto des Theaterstück «Frühlings Erwachen»
«Frühlings Erwachen» in: Bern Bühne Bern. Nächste Aufführungen: Sa, 16., und Do, 21. November 2024, jeweils 19.30 Uhr. Weitere Aufführungen bis ins Jahr 2025.

Woran merkt man, dass man lebt? Wenn man Schmerzen spürt. Also schlägt Blue mit einem gefrorenen Fisch auf Guillaume ein. Das hatte sie sowieso auf ihrer Bucketlist: jemanden mit einem gefrorenen Fisch schlagen. Dass dies Guillaume sein würde, damit hatte sie jedoch nicht gerechnet. Er ist unverhofft in der Gruppe der Jugendlichen aufgetaucht – mit seinem eigenen Kopf in der Hand. Ist er nun tot, oder lebt er? Und was ist eigentlich in dieser Novembernacht passiert, als Guillaume aus der Freund:innengruppe verschwand und die Jugendzeit, die doch gerade erst begonnen hatte, für alle ein jähes Ende fand?

Davon erzählen die zehn jugendlichen Schauspieler:innen in einer grossartigen Adaption von Frank Wedekinds «Frühlings Erwachen» der Bühnen Bern. Dabei verpflanzen sie das Skandalstück aus dem 19. Jahrhundert nicht einfach ins Heute, sondern verschachteln das Jetzt mit der Erzählung von damals. Guillaume inszeniert als Maturaarbeit «Frühlings Erwachen», die Geschichte von Wendla, Melchior und Moritz, die ihre Sexualität entdecken.

Doch das Projekt bringt alle Beteiligten an ihre Grenzen, und Realitäten beginnen sich zu überlagern: Ist Guillaume nun Moritz Stiefel, der dauernd von Stromschnellen spricht und am Ende ungebumst über den Friedhof wandelt, wie Lars den Inhalt des Buchs knapp zusammenfasst? Immer offensichtlicher werden auch die Parallelen zu heute: Wissen die Teenager bei Wedekind nicht, wie Kinder entstehen, so scheinen die Jugendlichen heute alles über Sex zu wissen – und doch ist Silas zu verklemmt, das Wort «Vulva» laut auszusprechen. Zwei Jungs, die sich küssen, werden nach wie vor bedroht. Und eine grosse Anzahl Jugendlicher zerbrechen noch heute wie bei Wedekind am enormen Erwartungsdruck von Eltern, Schule und Gesellschaft.

Das lustvolle Spiel des starken Lai:innenensembles (Regie: Joanna Praml) und die vielen lustigen Dialoge bringen immer wieder eine Leichtigkeit in das an sich schwere Thema. Fast fühlt es sich an, als würde man die Pubertät selbst nochmals im Schnelldurchlauf durchleben.