Leser:innenbriefe

I would prefer not to
«Unversöhnt: Was taugt die Psychoanalyse zur Erklärung des Autoritarismus», «wobei» Nr. 4, beigelegt WOZ Nr. 29/25
Hervorragende Umschau zu den diversen Theorien des Autoritarismus, die alte Erinnerungen (Adorno, Frenkel-Brunswik, Löwenthal, Fromm, Theweleit) wachruft und neue Gesichtspunkte (Decker etc.) einbringt. Einziges kleines Versäumnis: «I prefer not to» bzw. wörtlich «I would prefer not to» sagt nicht «DIE Psychonanalyse», sondern der legendäre Kanzlist in Hermann Melvilles einzigartiger Novelle «Bartleby the Scrivener» von 1853 (!), eine der tiefgründigsten literarischen Gestaltungen sowohl der bürokratisch verwalteten Welt der Moderne zum Zeitpunkt ihrer Anfänge wie auch der hegelschen Dialektik von Herr und Knecht in der «Phänomenologie des Geistes» – ein psychologisch-soziologisch-philosophischer Schlüsseltext der Weltliteratur, der genannt – und gelesen – zu werden verdient.
Michael Böhler, Zürich
Lage immer desaströser
«Krieg gegen die Ukraine: Welche Wirklichkeit?», WOZ Nr. 33/25
Die Redaktorin beklagt sehr nachvollziehbar den Tod eines ukrainischen Künstlers und Anarchisten an der Front und die brutale Wirklichkeit des Krieges. Auch beklagt sie zu Recht, dass Trump und Putin in einer anderen Wirklichkeit leben.
Ihren Artikel überschreibt sie mit «Welche Wirklichkeit?». Die Wirklichkeit sind die veränderten Grenzen der Ukraine, so hart und ungerecht das auch immer ist. Wer das nicht zur Kenntnis nehmen will, muss den Krieg fortführen, kann schon jetzt den sicheren Tod zahlloser weiterer Menschen beklagen. Einen absolut sinnlosen Tod. Es findet sich kein halbwegs zur realistischen Beurteilung fähiger Militärexperte mehr, der eine Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete für möglich hält. Die Redaktorin sieht das offensichtlich anders, und zwar, wenn «die Europäer:innen die Ukraine glaubhaft ihrer Unterstützung versichern». Das tun sie aber in zunehmendem Masse seit dreieinhalb Jahren, letztlich ohne Erfolg, im Gegenteil, die Lage wird für die Ukraine immer desaströser.
Wolfgang Lerch, per E-Mail
Komm bald wieder!
«Postverordnung: Service public à la Rösti», WOZ Nr. 32/25
Wenn schon sparen, dann richtig: Einmal im Jahr wird die Post noch vom einzigen Pöstler im Land (Albert Rösti) mit einem Lastwagen mit der Aufschrift «De Röschti isch de Gröschti» ausgeliefert. Erwartet werden all die Rechnungen mit dazugehörenden Mahnungen, Betreibungen, muffig riechenden Paketen und vergilbten Zeitungen an offiziellen Sammelstellen von einer riesigen Menschenmenge, ausgerüstet mit Handwagen und Hubstaplern. Und bei der Abfahrt des gelben Camions ertönt aus dem Lautsprecher der Sammelstelle der Schlager «Junge, komm bald wieder».
Richard Knecht, Glarus
Eiertanz
«Schweiz und Israel: Eine Konvention, die verpflichtet», WOZ Nr. 33/25
Der Eiertanz, der beim Thema Gaza um die Frage «Völkermord oder nicht?» vollführt wird, ist bezeichnend für die Sonderrolle, die Israel unisono in seinen wiederholten Kriegen gegen das palästinensische Volk zugestanden wird. Als in Srebrenica mehrere Tausend Männer ermordet wurden, hat auch die WOZ keine Sekunde gezögert, dies einen Völkermord zu nennen. Auch ob man Israels Kolonisierungs- und Vertreibungspolitik sanktionieren soll oder nur seine illegalen Siedlungen auf geraubtem Land, was eh nicht zu kontrollieren ist, wird als umstritten dargestellt. Russland für seinen Ukrainekrieg den Geldhahn zuzudrehen, dazu wurden nie die geringsten Zweifel angebracht.
Hanspeter Gysin, Basel