Wissenschaft: Dem Virus auf der Spur

Nr. 14 –

Mit seinem Dokumentarfilm «Blame» platzt Christian Frei mitten in aktuelle Kontroversen und Verschwörungsthesen zum Ursprung der Coronapandemie.

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Christian Frei steht hinter zwei Bildschirmen des Schnittcomputers
Am Anfang war die Fledermaus, daran lässt Christian Frei keine Zweifel.

Für einen, der sich bald mitten in einer neu aufgeflammten Kontroverse wiederfinden dürfte, wirkt Christian Frei extrem gelassen. Als sässe er bereits im Auge des Sturms und nicht in seinem Schnittstudio in Zürich. Nur Tage vor der Weltpremiere von «Blame. Bats, Politics and a Planet out of Balance» an den Visions du Réel in Nyon sorgt das Thema seines Films erneut für Aufruhr: Liegt der Ursprung der Coronapandemie womöglich doch in einem Laborleck in Wuhan und nicht in Fledermäusen, wie «Blame» zu zeigen versucht?

«Ich hätte nicht gedacht, dass es nach fünf Jahren, in denen ich eine gesunde Immunität gegen Verschwörungsnarrative und deren mediale Bewirtschaftung entwickelt habe, noch immer so weitergehen würde», sagt Frei. Auch wenn es zum Grundinstinkt eines Dokumentarfilmers gehöre, Drama vorauszusehen.

Das klingt ziemlich unbescheiden – und ist mit Blick auf die Ursprungsidee zum Film doch untertrieben: Sie entsprang einer wissenschaftlichen Studie dreier Wissenschaftler:innen, die in zehnjähriger Detektivarbeit die Ursprünge der Sars-CoV-1-Epidemie von 2003 bis in eine Fledermaushöhle in Südchina zurückverfolgten. Und daraufhin warnten, ein neues Coronavirus könne jederzeit auf Menschen überspringen. «Ihre Geschichte wollte ich als eine klassische Kassandra-Story erzählen», so Frei.

Zwei seiner drei Protagonist:innen sollten im Verlauf der Dreharbeiten in den Strudel von Verschwörungstheorien rund um einen Laborursprung von Sars-CoV-2 geraten, die sie ins Schlaglicht der Weltöffentlichkeit katapultierten: Shi Zhengli, die am Virologischen Institut in Wuhan Coronaviren erforscht, und Peter Daszak, Zoonosenexperte und Präsident der NGO Eco Health Alliance aus den USA, sollen durch ihre Forschung die jüngste Pandemie ausgelöst haben. Daszak hat nicht nur Shi über Jahre in ihrer Arbeit mit Coronaviren finanziell unterstützt, sondern auch den chinesischen Fledermausvirologen Linfa Wang aus Singapur, den dritten Protagonisten. «Blame» ist so über weite Strecken auch zur Chronik einer Eskalationsspirale geworden.

Ambivalente Helden

Er habe Hunderte von wissenschaftlichen Studien gelesen, Fachbücher ebenso, sei mittlerweile zum Experten geworden, sagt Frei von sich. Was fasziniert ihn so an Wissenschaft? Die Frage scheint ihn zu überraschen. Dabei spielte doch Wissenschaft schon in seinen früheren Filmen eine wichtige Rolle: von der Raumfahrt in «Space Tourists» (2009) über Liebe als Sucht in «Sleepless in New York» (2014) bis zur Vision, das Mammut im Labor auferstehen zu lassen, in «Genesis 2.0» (2018). Vielleicht rührt die Irritation ja daher, dass Frei in seinen Dokumentarfilmen so offensichtlich das Drama sucht: grosse Themen, in Heldengeschichten verpackt und mit bildgewaltiger Sprache erzählt, angefangen bei «War Photographer» (2001), der ihm eine Oscar-Nomination bescherte.

Auch «Blame» ist als dramatische Heldengeschichte konzipiert, in der drei Forscher:innen um die Wahrheit kämpfen, wie es in der Beschreibung zum Film heisst. «Wir Dokumentarfilmer:innen gehen dahin, wo die Schwachen sind, die Geplagten, die Verfolgten – warum sollten nicht auch Wissenschaftler dazugehören?», fragt Frei. Vor Pathos ist er noch nie zurückgeschreckt.

Aber sind seine Protagonist:innen, allen voran Peter Daszak, tatsächlich Opfer? Dass er die Laborleckthese vorschnell als Verschwörungstheorie zurückwies, noch bevor er als Teil der WHO-Expert:innengruppe nach Spuren von Sars-CoV-2 im Virologischen Institut in Wuhan suchte, hat ebenso wenig zu seiner Glaubwürdigkeit beigetragen wie der Umstand, dass seine Eco Health Alliance seit den nuller Jahren insgesamt 39 Millionen US-Dollar vom US-Verteidigungsministerium erhielt. Daszak wird vorgeworfen, in Gain-of-function-Forschung involviert zu sein, einen höchst umstrittenen Ansatz, der Viren im Labor gefährlicher machen soll, um präventiv einen Impfstoff gegen die nächste Epidemie entwickeln zu können – möglich wäre aber auch eine tödliche Biowaffe als Resultat.

Im Film bestreitet Daszak eine solche Beteiligung vehement. Weder die Gelder von Pentagon, CIA, Homeland Security und anderen noch wofür er sie erhalten hat, sind indes je ein Thema. «Warum sollte ich ihm diese Frage stellen? Das öffnet doch nur den Raum für Misstrauen», sagt Frei. Natürlich habe er Daszak hinter den Kulissen darauf angesprochen. Er hat sogar die einzelnen Projektbeschriebe recherchiert. «Darin ging es um Forschung zu Zoonosen, Biosicherheitsmassnahmen, weltweite Seuchenüberwachung und andere Public-Health-relevante Themen.»

Komplexität verteidigen

Irgendwann scheint der Druck der wuchernden Anschuldigungen gegen Daszak und Shi dann doch zu gross geworden zu sein. Frei zieht sich mit seinen Protagonist:innen in den Norden Thailands zurück, geht mit ihnen quasi offline, um in der Ruhe der Natur den wissenschaftlichen Argumenten rund um eine zoonotische Übertragung des Virus Raum zu geben. Dort findet er endlich auch die Bilder dafür: Einheimische, die in engem Kontakt mit Fledermäusen leben, deren Kot sie als Dünger sammeln. Forschende in Schutzanzügen, die Viren aus den Tieren isolieren auf der Suche nach solchen, von denen man bereits aufgrund von lokalen Ausbrüchen weiss, dass sie für Menschen gefährlich sind.

Shi darf nicht aus China ausreisen, stattdessen lädt der Regisseur die unabhängige chinesische Wissenschaftsjournalistin Jane Qiu ein – ein Glücksfall für den Film. Qiu streitet sich vor laufender Kamera mit dem Regisseur. Sagt, sie wolle nicht Teil eines Propagandafilms für eine so kontroverse Figur wie Daszak sein. Im Voiceover ist Freis Stimme zu hören: «Jane hat recht, sie will den Film vor Angriffen schützen, vor der Kritik, er würde in naiver Weise die Hypothese vom natürlichen Ursprung von Sars-CoV-2 stützen.»

Dass Frei selber in einem seiner Filme auftritt, im Voiceover erzählt: beides eine Premiere. Ein Versuch, die Deutungshoheit zu bewahren? Frei wiegelt ab, «Männer, die einem die Welt erklären», das gehe gar nicht. Geholfen hätte ihm vor allem sein langjähriger Kameramann Peter Indergand, der ihm ans Herz legte, auch Zweifel, Umdenken, vielleicht sogar Scheitern mit dem Publikum zu teilen.

Entstanden ist so eine Art Reflexionsraum, eine Metaebene, um über die Natur von Verschwörungstheorien nachzudenken, die Sehnsucht nach einfachen Geschichten, die von der Laborleckthese besser bedient wird. «Die Wissenschaft liefert nur Kompliziertheit und Komplexität», so Frei. Wissenschaftliches Denken beruhe auf Peer-Review als System der Wahrheitsfindung, das versuche er in «Blame» zu verteidigen und gleichzeitig fassbar zu machen mit einer Geschichte, die nicht langweile: «Es wird gestritten, auch Eifersucht ist mit im Spiel.»

Ursprung unserer Zweifel

Da sind sie wieder: grosse Emotionen, Drama. Vielleicht ist es das, was Frei im Kern an der Wissenschaft interessiert. Er habe es vor allem spannend gefunden, dabei zuzuschauen, «wie Wissenschaft plötzlich den Boden unter den Füssen verliert und keine Chance mehr hat mit ihrer Art des Debattierens, des Uneinigseins». Dass die faktische Evidenz klar für einen zoonotischen Ursprung von Sars-CoV-2 spricht: Daran lässt Frei keine Zweifel. Die Suche nach dem Ursprung des Virus sieht er nur als «Etikette» von «Blame». Das eigentliche Thema sei der Ursprung unserer Zweifel und wie diese bewirtschaftet würden. «Es geht um Deutungshoheit, Kulturkampf, Geopolitik und die Bewirtschaftung von Aufregung und Spekulation aus politischen Gründen.»

Dass der Ausbruch der Pandemie in die erste Amtszeit von Donald Trump fiel, spielt auch im Film eine zentrale Rolle. Rechte Onlineportale wie «Infowars», die Verschwörungstheorien verbreiteten, befeuerten noch die abstrusesten Thesen zum Laborursprung von Corona, darunter auch jene eines Robert F. Kennedy Jr. Spätestens seit dessen Ernennung zum Gesundheitsminister im Januar 2025 und den pauschalen Angriffen auf die Wissenschaft durch Trumps Regierung muss man sagen: Selten hat ein Dokumentarfilm nach fünf Jahren Dreharbeit so den Nerv der Zeit getroffen.

«Blame» läuft als Eröffnungsfilm an den Visions du Réel in Nyon und kommt im Herbst in die Kinos. Weiteres Programm und Infos zum Festival: www.visionsdureel.ch.