Kommentar von Daria Wild: Die grosse Verstimmung

Nr. 45 –

Von nichts reden Politiker:innen diesen Herbst lieber als von der Stimmung in der Schweiz. Warum bloss?

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Es war eine scheinbar beiläufige Äusserung: Mitte-Präsident Philipp Matthias Bregy gab dem «Tages-Anzeiger» letzte Woche ein Interview, es ging um die neuen EU-Verträge und die Zehn-Millionen-Schweiz-Initiative der SVP, und Bregy, dessen Partei einen Gegenvorschlag dazu aufgesetzt hatte, sprach davon, wie nötig ein solcher sei, denn, er sage es «klipp und klar», dass es «ein grosser politischer Fehler» wäre, «die Stimmung in der Bevölkerung nicht ernst zu nehmen».

Mehr erfuhr man nicht, es blieb einem nur, die Stirn in Falten zu legen und darüber zu sinnieren, was er meinen könnte, mit dieser Stimmung. Es ist eine vielzitierte Formel, eine vage Andeutung, kaum in verständliche Sätze gekleidet, aber doch Grund genug, politische Entscheidungen daran zu orientieren – an dieser Stimmung in der Schweiz.

Sie «ernst zu nehmen», hätte mit Bregys Gegenvorschlag ja geheissen, das Gleiche wie die SVP zu tun, nur ohne die automatische Aufkündigung der Bilateralen. Wahrscheinlich ebenfalls dieser Stimmung geschuldet war Grünen-Ständerat Mathias Zopfis Vorschlag – der «Blick» nannte ihn «Denkanstoss» –, einen Inländervorrang bei der Wohnungsvergabe einzuführen, oder FDP-Ständerätin Petra Gössis Forderung nach härteren Massnahmen im Asylbereich, sollte die Nettozuwanderung diesen Finger-in-die-Luft-Betrag erreichen. Alle Gegenvorschläge wurden am Montag von der ständerätlichen Kommission abgelehnt.

Schon der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann hatte sich diesen Herbst übrigens die Stimmung in der Schweiz «angeschaut», wie er in einem SRF-Tagesgespräch erzählte, es ging auch darin um die EU-Verträge, und Straumann sagte, dass «wir» uns ja selbst mit den Bilateralen I und II schwertäten und die Zustimmung zur SVP halt mit der Einwanderungsrate wachse. Abgesehen davon, dass dieser Zusammenhang schlicht nicht besteht: Grenzen schliessen als Rezept gegen die Rechten? Warum sind «wir» da nicht selber draufgekommen! Straumann fuhr kryptisch fort, man sehe einfach, «das» spalte das Land, «weil auch, man liest auch zu viel, also es sind auch Gespräche, die man hat, über Wohnungen, Verkehr». Die Stimmung in der Schweiz, messerscharf analysiert.

Unterstützt wird dieses Geraune gerade wieder von Leuten wie Ueli Maurer, die lautstark jammern, sie dürften nichts mehr sagen, Maurer, der schweigsam blieb, als er den Bundesrat über die Misswirtschaft der CS hätte informieren müssen, und nun gar nicht mehr aufhört zu reden. Neuerdings mit Thilo Sarrazin in ihrem Freizeitverein «Leonhard-Kreis», den die NZZ im Interview mit den beiden, sich kritiklos der dargebotenen Begrifflichkeiten bedienend, Freiheitsverein nennt. Da liest sich schön, wie Ressentiments geschürt werden, verklausulierend eine Stimmung erst geschaffen wird, auf die man sich dann berufen kann: Die Trends, die er damals in seinem Bestseller beschrieben habe, seien heute sichtbarer denn je, sagt Sarrazin, «viele Politiker wissen es, sprechen aber nicht darüber», sie wollten dieser Mehrheit, die das auch so sehe, «wieder eine Stimme geben».

Die Stimmung in der Schweiz ist nichts als eine politische Behauptung, aber eine mobilisierende, eine, die Wirklichkeit gestaltet. Es ist völlig klar, dass es nicht Ventilklauseln (das sprachlich schon Druck reklamiert), Schutzklauseln (auch so ein Wort; wer muss sich eigentlich vor wem schützen?), allgemein die wie auch immer gestalteten Ausschlüsse der migrantischen Bevölkerung aus der Gesellschaft sind, die den gegenwärtigen Problemen beikommen: Doch während die soziale Ungleichheit steigt, die Vermögenskonzentration wächst und die Reichenfürsorge gerade immer gereizter betrieben wird, ist es halt einfacher und den bürgerlichen Interessen dienlicher, auf diese Ungerechtigkeit zu pfeifen. Und stattdessen auf irgendeine Stimmung zu verweisen. Letztlich ist das auch nichts anderes, als sich bejahend auf Fremdenfeindlichkeit zu beziehen. Eine Ventilklausel dafür, bitte!

Ueli Maurer sprach vor ein paar Tagen in einem Video des ultralibertären Liberalen Instituts aus Zürich darüber, die alten Sonderbundskantone vom Rest des Landes zu lösen. Die Schweiz abschaffen – wenigstens das ist doch mal eine stimmungsvolle Idee.