Durch den Monat mit Onno Poppinga (Teil 2): Braucht es wegen Krieg und Krise hohe Erträge?

Nr. 15 –

Obwohl Onno Poppinga die Agrarmärkte seit langem beobachtet, findet er die heutige Situation verwirrend. Er plädiert für eine Landwirtschaft, in der Kühe nicht ein Maximum an Milch geben müssen – und in der auch Wildblumen und Hasen Platz haben.

Onno Poppinga schiebt eine Schubkarre voller Stroh
«Als liesse sich der Hunger in Afrika mit landwirtschaftlichen Überschüssen in Europa bekämpfen!»: Onno Poppinga.

WOZ: Onno Poppinga, Sie beschäftigen sich seit langem mit den Agrarmärkten. Da geht es gerade turbulent zu …

Onno Poppinga: Ich engagiere mich vor allem im Bereich Milch. In Deutschland geben jedes Jahr zwischen eineinhalb und drei Prozent der Milchbetriebe ihre Milchviehhaltung auf. Es lohnt sich einfach nicht mehr. Oder man sieht keinen Sinn mehr darin, immer noch grössere Flächen zu bewirtschaften, auf immer noch höhere Leistung zu füttern und immer noch mehr kranke Tiere im Stall zu haben. Die Milchbetriebe haben über Jahrzehnte viel zu wenig verdient. Aber ab Mitte 2022 hatten wir plötzlich ungewohnt hohe Milchpreise.

Woran lag das?

Da kamen zwei Dinge zusammen. Seit Corona spricht man ja von Störungen der Lieferketten. Das betrifft auch das Soja, das in der intensiven Milchviehhaltung gefüttert wird. Zuerst sind die Getreide- und Soja-, mit Verzögerung auch die Milchpreise gestiegen. Der zweite Grund: Irgendwann hatten so viele Landwirte mit der Milchviehhaltung aufgehört, dass die Milchmenge sank. Da fingen die Preise in grossem Umfang an zu steigen. Bis vor einem Jahr lag der Milchpreis für die Bauern bei etwa 34 Cent pro Kilo, dann stieg er auf fast 60 Cent. Das ist für Milchbauern eine völlig ungewohnte Situation: mal richtig Geld zu verdienen. Jetzt ist der Preis allerdings schon wieder am Rutschen.

Von den hohen Preisen profitieren jene, die viel und intensiv produzieren. Sehen sich diese Leute nun bestätigt?

Ich glaube nicht. Alle gehen davon aus, dass die Hochpreisphase vorübergeht. Der Milchpreis ist schon deutlich gefallen, ebenso der Getreide- und der Düngerpreis. Ein Bekannter von mir, ein konventioneller Landwirt, hat ganz schön geflucht, weil er seinen Stickstoffdünger zu früh gekauft hat. Der Getreidepreis hingegen steigt jetzt plötzlich wieder. Das ist einfach verwirrend, niemand kann sagen, wie es weitergeht.

Seit Russland Krieg gegen die Ukraine führt, fühlen sich die konventionellen Bauernverbände im Aufwind und fordern eine Landwirtschaft mit möglichst hohen Erträgen, weil sonst Knappheit drohe. Wird das die Agrarpolitik der EU verändern?

Natürlich nutzen diese Kreise jede Gelegenheit. Als liesse sich der Hunger in Indien oder Afrika mit Überschüssen in Europa bekämpfen! Das ist erwiesenermassen Unsinn, aber die Behauptung hat einen gewissen Erfolg. Die EU wollte in der neuen gemeinsamen Agrarpolitik durchsetzen, dass jeder Betrieb vier Prozent seiner Flächen stilllegen muss, und das ist jetzt ausgesetzt. Aber die alten Fragen verschwinden deswegen nicht. Diese Bauern, die 200 Kilo Stickstoff pro Hektare Getreide düngen oder Kühe halten, die über 10 000 Kilo Milch im Jahr geben, müssen sich damit herumschlagen, dass bei dieser Art Wirtschaft hohe Stickstoffüberschüsse entstehen. Das verschmutzt die Luft und das Wasser – und die Gesellschaft akzeptiert das im Gegensatz zu früher nicht mehr einfach so. Ich glaube, die meisten wissen, dass sie etwas ändern müssen.

Was passiert eigentlich mit den stillgelegten Flächen?

Es gibt zwei Varianten: entweder spontane Vegetation, also wachsen lassen, was will. Oder man sät eine Blühpflanzenmischung ein. Entscheidend ist, dass nichts geerntet wird. Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu diesen Stilllegungen.

Warum?

Einerseits finde ich, wenn die Regierung das schon beschliesst, darf sie sich nicht durch ein windiges Argument davon abbringen lassen. Andererseits fände ich es besser, die ganze Fläche zu nutzen, dafür extensiver. Da stimme ich mit vielen Kollegen in den Umweltverbänden überein, etwa mit Hubert Weiger, dem ehemaligen Präsidenten des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Er hat immer gesagt: Wir wollen keine Spaltung in Schutz- und Schmutzgebiete, sondern eine Landwirtschaft, vor der die Natur nicht geschützt werden muss. Es gibt viele erfreuliche Beispiele dafür, dass das funktioniert. An einem bin ich auch beteiligt.

Worum geht es da?

Eine Freundin, Karin Jürgens, untersucht Milchbetriebe, die statt auf Hochleistung und viel Kraftfutter auf Weidehaltung setzen. Ich unterstütze sie dabei. Wir haben feststellen können, dass diese Betriebe wirtschaftlich sind, obwohl ihre Kühe nur je 5000 bis 6000 Kilo Milch geben. Johannes Isselstein von der Uni Göttingen untersucht dort die Vegetation und konnte zeigen, dass viel mehr Pflanzenarten wachsen – kein Wunder, mit weniger Tieren pro Hektare fällt weniger Dünger an. Und hier in der Nähe liegt ein grosser Versuchsbetrieb der Uni Kassel, der die Biodiversität dokumentiert. Seit der Umstellung auf Bio vor zwanzig Jahren hat sich der Bestand der Hasen mehr als verfünffacht! Es gibt da ein Selbsternteprojekt, wo fast achtzig Leute ihr eigenes Gemüse vom Feld holen. Sie mussten einen soliden Zaun bauen, weil die Hasen so herumgeräubert haben.

Onno Poppinga (79) ist Agrarwissenschaftler. Bis zu seiner Pensionierung 2009 war er Professor für Ökologische Agrarwissenschaften an der Universität Kassel, Standort Witzenhausen. Zusammen mit seiner Frau führt er bei Kassel einen Grünlandbetrieb mit Pferdehaltung.