Durch den Monat mit Onno Poppinga (Teil 4): Als Linker im bäuerlichen Milieu – geht das?

Nr. 17 –

Als «Arbeiter auf eigener Scholle» stünden die Bauern zwischen den Klassen, sagt Onno Poppinga. Trotzdem habe es immer wieder produktive Bündnisse mit Linken gegeben. Quereinsteiger:innen zu unterrichten, hat er sehr genossen.

Portraitfoto von Onno Poppinga
Onno Poppinga: «Das Entscheidende ist, über die Sache zu reden, nicht über Parteipolitik. Wenn Sie bei Sachfragen gute Erklärungen haben, bauen Sie Glaubwürdigkeit auf.»

WOZ: Onno Poppinga, Sie sind seit langem als Linker im bäuerlichen Milieu unterwegs, das als ziemlich konservativ gilt. Geht das gut?

Onno Poppinga: Das Entscheidende ist, über die Sache zu reden, nicht über Parteipolitik. Etwa darüber, warum der Milchpreis so tief ist. Wenn Sie bei Sachfragen gute Erklärungen haben, bauen Sie Glaubwürdigkeit auf. Einer der ersten Arbeitskreise, aus denen die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hervorging, war in Baden-Württemberg und kam aus einer kirchlichen Tradition; er hiess ursprünglich Arbeitskreis Gottesdienst und Musik. Das war in der Zeit, als Deutschland hitzig über Abtreibung debattierte, und einmal fing auch dort jemand damit an. Es war schnell klar: Wenn wir das noch einmal machen, ist der Arbeitskreis am Ende. Man muss sich nicht in allem einig sein.

In manchen Grundwerten aber schon, nehme ich an?

Ja. Für Rechte und Rechtsradikale ist in der AbL kein Platz. Wir haben auch schon Leuten nahegelegt auszutreten. Wir sehen ja nicht immer von Anfang an, welche Positionen neue Mitglieder haben.

Gibt es in der Geschichte positive Beispiele für die Zusammenarbeit zwischen Linken und bäuerlichen Kreisen?

Historisch war sie immer dann wichtig, wenn es um die Frage des Grossgrundbesitzes ging. In der Spanischen Republik der dreissiger Jahre gab es eine starke Bodenreformbewegung, die von Arbeitern und Bauern gemeinsam getragen wurde. Die Arbeiterbewegung in Spanien war ja anarchosyndikalistisch geprägt, das passte den Bauern gut, sie beteiligten sich auch am Kampf gegen den Faschismus.

Und zu Friedenszeiten?

In Frankreich gab es zur Zeit der Volksfront vor dem Zweiten Weltkrieg auch eine sehr gute Kooperation. Da wurden gestaffelte Preise für Getreide eingeführt ­– die kleinen Betriebe bekamen mehr, damit sie auch leben konnten. Aber wenn es nicht um Grossgrundbesitz ging, waren Bündnisse schwieriger, denn die Arbeiter waren auf billige Lebensmittel angewiesen, gerade bei Arbeitsniederlegungen. Im Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit stehen die Bauern dazwischen, sie sind «Arbeiter auf eigener Scholle».

Quasi ihre eigenen Ausbeuter.

Leider nahmen auch viele sozialistische Theoretiker die Bauern nicht ernst. Berühmt ist die Aussage von Friedrich Engels, dass auch in der Landwirtschaft der kapitalistische Grossbetrieb über den machtlosen, veralteten Kleinbetrieb hinweggehen werde «wie die Lokomotive über die Schubkarre». Verhängnisvoll war diese Einschätzung vor allem, weil sie nicht stimmte. Erst um 1950 erfasste die Industrialisierung auch die Landwirtschaft. Bis dahin ging es den meisten selbstständigen Höfen gut. In Deutschland waren sie erst im 19. Jahrhundert entstanden, als Folge der Agrarreformen. Die Bauern mussten die Höfe für viel Geld von den Grundherren kaufen. Eigentum an Grund und Boden wurde für sie deshalb im mehrfachen Sinne «lieb und teuer». Da lag es nahe, dass konservative Parteien mit ihrer Betonung von Eigentum bei den Bauern leichter Zustimmung fanden als linke. Ein guter Freund von mir, Franz Rohrmoser, der die Österreichische Bergbauernvereinigung mitgegründet hat, sagt, für das konservative Verhalten vieler Bauern sei der «Vorspannmechanismus» wichtig.

Wie meint er das?

Die Eigentümer grosser Betriebe – Adel und Grossbauern – hätten bei vielen Bauern Ansehen und würden sie veranlassen, einer Politik zuzustimmen, die ihnen selbst letztlich schade.

Sie lassen sich also vor einen fremden Karren spannen.

Ja. Das gelingt oft, aber nicht immer. So gab es in der Weimarer Republik auch sozialdemokratische und kommunistische Landwirtschaftsverbände. Nach 1945 war allerdings nichts mehr davon übrig. Erst als Folge der Studenten-, Lehrlings- und Umweltbewegung in den sechziger und siebziger Jahren entstand wieder eine «Agraropposition». Jugendliche vom Land sahen, was die Politik des «Wachsens oder Weichens» anrichtete – bei ihnen zog das Eigentum als Argument nicht mehr.

Solche alternativen Landwirt:innen haben Sie in Witzenhausen unterrichtet.

Ja. Das hat unheimlich Spass gemacht. Die Studierenden da sind richtige Überzeugungstäter. An andere landwirtschaftliche Hochschulen kommen vor allem junge Leute, die einen Hof zu Hause haben, zu vielleicht neunzig Prozent. In Witzenhausen sind es zehn Prozent. Diejenigen ohne Hof wollen aber unbedingt in die praktische Landwirtschaft einsteigen. Das schaffen nicht alle, aber doch ziemlich viele. Und wenn sie mit zehn Ziegen ihren Weg gehen.

Warum arbeiten Sie mit fast achtzig Jahren immer noch als Bauer?

Weil Landwirtschaft Spass macht! Man kann vieles gestalten: Wie man seinen Betrieb führt, wie man mit den Tieren umgeht, züchtet – man hat starke Wirkungsmöglichkeiten. Das gibt es in den wenigsten Berufen so.

Onno Poppinga (79) ist Agrarwissenschaftler, Landwirt und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Ein Motto der AbL heisst: «Bleib auf dem Land und wehre dich täglich!»