Auf allen Kanälen: Szenedarling in Not

Nr. 21 –

Die Edition Moderne ist seit über vierzig Jahren die erste Adresse für Indie-Comics in der Schweiz. Nun droht dem Zürcher Verlag die Pleite.

stilisierter Ausschnitt aus dem Logo des Verlags «Edition Moderne»

Schönes Geschenk! Mit dem Vierzig-Jahr-Jubiläum von 2021 im Rücken droht der Edition Moderne das Aus. Macht man so weiter wie bisher, wird das Geld voraussichtlich bis ins Frühjahr 2024 reichen. Dann ist Schluss.

Auf den ersten Blick ist das doch einigermassen erstaunlich: Die Edition Moderne ist der älteste unabhängige Comicverlag im deutschsprachigen Raum und gewinnt bis heute regelmässig Preise für seine Bücher. «Wir sind Everybody’s Darling», sagt Claudio Barandun am Telefon auf die Frage, welche Rolle die Edition Moderne in der Comicszene einnehme. Zusammen mit Julia Marti und Marie-France Lombardo hat Barandun vor drei Jahren die Leitung von Mitbegründer David Basler übernommen.

Unter normalen Bedingungen hat das Team noch gar nie gearbeitet – erst kam Corona, nun die finanzielle Schieflage. Erschwerend sind dabei die höheren Produktionskosten, ausgelöst etwa durch die Papierkrise, die wie viele andere Verlage auch die Edition Moderne treffen. Als Schweizer Verlag, dessen grösster Absatzmarkt in Deutschland liegt, ist die Edition Moderne allerdings stärker von der Inflation betroffen als andere hierzulande.

Ganz ohne Text

Dem altehrwürdigen Verlag ein frisches Gewand zu verleihen, ist auch nicht ganz einfach. Der Generationenwechsel zeigt sich schon beim Blick ins Programm: In den letzten drei Jahren sind viele Debüts von jungen Autor:innen erschienen, die mit der Comickunst einen freien Umgang pflegen, über die geradlinige Erzählweise klassischer Panels hinaus; die auf Text verzichten, starre Formen aufbrechen. Ebenso fällt auf, wie gut die Bücher der Edition Moderne in den letzten Jahren aussehen. «Der Comic ist die einzige visuelle Kunstform, die als Buch geplant ist», sagt Barandun – sie hätten im neuen Team auch den Anspruch, entsprechend zu gestalten. Schöne Bücher zu machen.

Das gefällt durchaus nicht allen. Die neue Ausrichtung habe gerade ein älteres, klassischeres Comicpublikum verschreckt, das mit Autoren wie Jacques Tardi oder auch Joe Sacco grossgeworden ist und auf experimentellere Stile wenig Lust hat. Coffee-Table-Comics statt gute Geschichten? Das muss sich nicht gegenseitig ausschliessen – eher geht es darum, die Möglichkeiten des Mediums auszuloten, wie es in den vergangenen Jahren auch das Zürcher Comicmagazin «Strapazin» gepflegt hat.

Neben diesem neuen Fokus auf die Gestaltung haben sich die Inhalte der Comics ebenfalls verändert. Das sei nicht unbedingt geplant gewesen, sagt Barandun. «Wir haben uns zu Beginn eigentlich nur zwei Regeln gegeben: mindestens zur Hälfte Bücher von Flinta-Personen zu verlegen und kein Buch bloss aus finanziellem Kalkül zu machen.»

Die Neugier ist geblieben

Thematische Schwerpunkte hätten sich eher durch persönliche Interessen des Leitungsteams herauskristallisiert. Die neueren Titel drehen sich oft um Fragen zu Sexualität, Freundschaft und Zugehörigkeit: etwa Marijpols «Hort» über eine Frauen-WG als Schicksalsgemeinschaft, Tommi Parrishs «Menschen vertrauen» über die Freundschaft einer alleinerziehenden Mutter und einer Sexarbeiterin oder Ben Gijsemans «Aaron» über den Umgang mit Pädophilie. Aber auch Jacques Tardi bleibt im Programm, ebenfalls pro Saison mindestens ein Humortitel, etwa von Nicolas Mahler oder Tom Gauld. Als Bruch empfindet Barandun die Übernahme jedenfalls nicht: «Die Kontinuität liegt in der Neugier, die haben wir von David Basler übernommen.»

Trotzdem: Ein Szeneliebling ist nicht unbedingt auch ein Publikumsliebling, Preise zu gewinnen, steigert nicht unbedingt den Absatz. Und sowieso: Umwälzungen brauchen ihre Zeit. Barandun sagt, sie seien aktuell erst daran, eine breite Leser:innenschaft aufzubauen, die den Laden langfristig am Laufen halten könne – über die Szene hinaus: «Es besteht schon die Gefahr, dass wir uns zu fest in unserer Rolle gefallen. Dabei sind wir eigentlich ein Ort, von dem aus Brücken geschlagen werden können.»

Die drohende Pleite hat das Leitungsteam dazu veranlasst, ein Crowdfunding zu starten. 100 000 Franken sollen so eingenommen werden, dazu wurden diverse Stiftungen um Finanzierung angefragt. Wie wichtig dieser Verlag vielen bis heute ist, zeigen die Reaktionen darauf: Bereits nach 24 Stunden war die Hälfte beisammen, bei Redaktionsschluss fehlten noch weniger als 7000 Franken.

Die Crowdfundingkampagne findet sich bei www.wemakeit.ch unter dem Projekttitel «Too big to fail?!».