M. S. Bastian und Isabelle L.: Unterwegs mit Pulp und Mickey
M. S. Bastian und Isabelle L. geben mit «Bastomania» einen Einblick in ihr Gesamtwerk. Und damit in eine vergnügte Welt zwischen Comic und Kunst – zusammen mit allerlei Figuren aus der Popkultur.
Ein erster Eindruck: ein einziges Chaos. Verträumte Märchenwelten mit Tieren und riesenhaften Pflanzen, schwarzweisse Hommagen an die Underground-Comicszene der späten sechziger und siebziger Jahre à la Robert Crumb oder früher Art Spiegelman, in Wimmelbildern die versammelte Schickeria der Comicwelt: Mickey Mouse, Bart Simpson, Kermit, Käpt’n Haddock, die Mumins und viele mehr. M. S. Bastians und Isabelle L.s Gesamtwerk, gesammelt im Band «Bastomania», ist voller Anspielungen, eine wilde Ansammlung von Reverenzen an die Popkultur des 20. Jahrhunderts. Mal unschuldig, mal brutal, denn es kann durchaus sein, dass Mickey plötzlich durchdreht und zähnebleckend und geifernd auf die anderen Figuren zu schiessen beginnt. Auf den Bildern passiert so viel, dass auch nach langem Betrachten noch mehr entdeckt werden kann – fast scheinen sie zum Spiel einzuladen: Wo ist Goofy? Beliebig ersetzbar, zum Beispiel durch: Wo ist Pulp?
Pulp ist die einzige wiederkehrende selbsterschaffene Figur im Werk, ein eher naiv wirkender weisser Toggel mit grossem Kopf und Kulleraugen, der M. S. Bastians und Isabelle L.s Universum ganz selbstverständlich zusammen mit den anderen, bekannteren Charakteren bevölkert. Er ist zum Markenzeichen der Arbeit der beiden geworden, ihr «Kind», wie sie es manchmal nennen. Pulp ist in ihrer Arbeit überall – und mittlerweile gibt es in Biel sogar eine fünf Meter hohe Pulp-Skulptur.
Wo ist Isabelle L.?
M. S. Bastian und Isabelle L. arbeiten seit dem Jahr 2000 zusammen. Doch während der künstlerische Werdegang von M. S. Bastian in «Bastomania» ausgiebig illustriert wird, erfahren wir über das Schaffen von Isabelle L. – bürgerlich Isabelle Laubscher – vor Beginn ihrer Zusammenarbeit mit Bastian: genau gar nichts. Das ist schade. War die Arbeit der Künstlerin vor ihrem Einstieg ins «Bastiversum» so unbedeutend, dass sie in keinem einzigen Kapitel des 536-seitigen Buchs Erwähnung findet?
Wohl kaum. Ist doch auf den vielen Fotos, die im Buch versammelt sind, klar ersichtlich, dass die Arbeit an den teils riesigen Bildern eine gemeinsame ist. Eine zumindest kurze Anerkennung ihrer eigenen künstlerischen Tätigkeit wäre sicher angemessen gewesen. Seltsam auch, dass der Titel des Buchs trotz gemeinsamer Arbeit dann doch «Bastomania» heisst oder eine frühere Sammlung, ebenfalls mit Isabelle L., «Bastokalypse»: Es ist sein Universum, hat man den Eindruck, und sie gehört irgendwie auch ein bisschen dazu.
Nichtsdestotrotz ist es spannend zu sehen, wie sich Marcel Sollberger, wie M. S. Bastian mit bürgerlichem Namen heisst, und sein «Bastiversum» über die Jahre entwickelt haben. Seit den späten Achtzigern ist M. S. Bastian künstlerisch tätig und bedient sich für seine Kunst bei Comics und Subkultur. Der Anfangspunkt wird im Buch 1986 gesetzt, als Bastian zusammen mit Lorenz Meier und Michael Hertig – alle drei aus der Grafikfachklasse in Biel – die «Polstergruppe», eine Galerie für junge Kunst, gründete. «Den Systemen ihre Kunst ist zu muffig, um sich an ihr zu berauschen», proklamierten sie in ihrer ersten Publikation 1987 und positionierten sich kurzerhand zwischen Dada, Punk, Antikunst und Art brut.
Nach dem Ende der Galerie – die Zwischennutzung musste einer Überbauung weichen – blieb M. S. Bastian seinen popkulturgetränkten, vom Comic inspirierten Wimmelbildern treu, arbeitete aber auch mit Skulpturen und Plastiken.
Derweil wurde der Comic im deutschsprachigen Raum langsam zur anerkannten Kunst: Das 1984 gegründete, in Zürich ansässige Comicmagazin «Strapazin» spielte dabei eine relevante Rolle. Auch Bastian zeichnete immer wieder für das Magazin – die beiden sind sozusagen gemeinsam gross geworden. Oft wurde in dieser Zeit dem «Strapazin» vorgehalten, zu wenig Comic und zu viel Kunst zu sein; ein Vorwurf, den sich M. S. Bastian von den gleichen KritikerInnen ebenfalls einhandeln müsste. Denn bei ihm werden, bis auf wenige Ausnahmen wie zum Beispiel die Adaption einer Kurzgeschichte von Charles Bukowski, keine Geschichten aus Bild und Text erzählt; vielmehr bedient er sich im Comicuniversum und adaptiert für seine Arbeiten verschiedene Stile. Doch spielt das wirklich eine Rolle? Es zeigt doch nur, wie breit die Kunstrichtung Comic sein kann, wie unterschiedlich ihre Stile ausgeprägt sind und wie die Grenzen zwischen Comic und «klassischer» bildender Kunst verschwimmen. Was gewiss ein Gewinn für beide Seiten ist.
Hinein in das Feuilleton
Einen einordnenden Text gibt es in «Bastomania» nicht; und so kämpft man sich oder spaziert, je nachdem, ganz allein durch das Durcheinander. Der Presseteil in der Mitte des Buchs illustriert dafür die Entwicklung Bastians seit den achtziger Jahren und gibt amüsante Einblicke in die Berichterstattung über seine Arbeit, dokumentiert diverse Ausstellungen in Galerien, Museen oder am Comicfestival Fumetto in Luzern. Und er zeigt, wie sich Bastian langsam zu einem der wichtigsten Comickünstler der Schweiz mausert und mit Isabelle L. zu arbeiten beginnt.
Spannend ebenfalls zu sehen, wie der Comic langsam Einzug in der Kulturszene hält – vom Aussenseiterstatus hinein in die Mitte des Feuilletons. Kunst, Comic, Avantgarde? Eigentlich egal. M. S. Bastian und Isabelle L. haben es auf jeden Fall geschafft, ihren Platz ganz selbstbewusst irgendwo dazwischen zu etablieren.
M.S. Bastian und Isabelle L.: Bastomania. Scheidegger & Spiess. Zürich 2018. 536 Seiten. 99 Franken