Männer auf aufblasbaren Pizzas
Er hat einen Bullshitjob im Marketing, würde lieber ein gescheites Buch schreiben – eines, das nur Germanist:innen verstehen. Die Alternative: eine autofiktive Geschichte «über das Leben als Künstler – nein: Geringverdiener oder als Ausländer – nein: als Doppelbürger oder Migrantenkind».
Der Ich-Erzähler in Sagal Maj Čomafais Debüt «Fast nichts all inclusive» notiert Gedanken und heftet seine Texte mit Griechenlandsouvenir-Magneten an den Kühlschrank. In den Ferien beobachtet er einen Mann, der mit dem Gesicht nach unten auf einem aufblasbaren Pizzastück im Wasser treibt. Und beschreibt so das übersättigte Gefühl eines Daseins, das träge und repetitiv vor sich hin plätschert. So ist er im Zoom-Call angewidert von den Floskeln, die er in der Vorstellungsrunde immer wieder von sich gibt. Übelkeit überfällt ihn auch beim eigenen Anblick in der Videoübertragung: Es sind zerstückelte Echsen, die er in seinem Antlitz zu erkennen glaubt. Dieses Kurzkapitel heisst denn auch: «Reptiliengehirn».
Čomafai erweist sich als präziser Beobachter, der Dinge und Phänomene seziert, nachdem er sie erst einmal genüsslich ad absurdum geführt hat. Er hat in Zürich studiert – nicht Germanistik, sondern Philosophie und Indologie – und in Biel das Literaturinstitut absolviert. Ausserdem verfasste er im Rahmen seiner Lohnarbeit «Hunderte verkaufsfördernde Produktbeschreibungen», heisst es auf der Website des Schriftstellers. Die Werbung bildet auch das Grundrauschen seines Debüts. Dabei ist darin eigentlich von Anfang an klar: Das «All-inclusive-Paket» gibts für den Mittelstand höchstens in der Burn-out-Klinik.
Immer wieder streut Čomafai in die Erzählung auch einzelne Wörter oder Sätze in Bosnisch, Französisch, Schweizerdeutsch oder Englisch ein. Oder auf Skandinavisch, wenn sich sein Protagonist bei Ikea zwischen Rabattcodes und Konsumobjekten nach dem Leben sehnt: «Før jeg starter mit nye liv, har jeg brug for fire hotdogs.» Na klar.
Jede Seite beginnt mit einem neuen Titel, nach und nach fügt sich die Kurzprosa zu einer losen Erzählung – die sich wie eine Antithese zur Selbstoptimierung liest. Irgendjemandem passt sowieso immer irgendjemand nicht: Der Chef und der Verlag haben unrealistische Ansprüche, die Mutter wundert sich, weshalb der Erzähler Dostojewskis «Erniedrigte und Beleidigte» liest. So ein deprimierender Titel.
Der lakonische Humor vermag aber nicht über eine fragile Existenz hinwegzutäuschen, der sich die Welt ein bisschen zu oft entzieht. Und immer wieder tauchen ebenso zärtliche wie abgründige Sprachbilder auf. Etwa wenn der Nachbar glaubt, die sogenannte Integration funktioniere nur, wenn man das Land «in sich integriere» – und deshalb alles kocht, was die traditionelle, karnivore Schweizer Küche hergibt, vom Fleischvogel bis Riz Casimir. Die neue Heimat liegt ihm trotzdem schwer im Magen, «wie ein müder Hund».
Der Autor liest in Solothurn am Fr, 30. Mai 2025, 14.30 Uhr, im Kino Palace.
