Auf allen Kanälen: Trachten und Inschriften

Nr. 48 –

Ein Gutachten des Heimatschutzes zu zwei Inschriften in Zürich ist nicht annähernd so brisant, wie es die NZZ darstellt. Dafür verrät das Papier etwas über den Auftraggeber.

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stilisiertes Foto des Haus «Zum Mohrenkopf»

Im Juli kam für den Zürcher Heimatschutz die Niederlage: Das Bundesgericht trat nicht auf seine Beschwerde gegen die Abdeckung der Hausinschriften «Zum Mohrenkopf» und «Zum Mohrentanz» an zwei Häusern in der Zürcher Altstadt ein. Die Stadt darf die Inschriften abdecken.

Weitergestritten wird trotzdem. Im Zentrum: zwei Gutachten, verfasst von Historiker:innen. Einerseits jenes, das die Stadt Zürich bei der ETH in Auftrag gegeben hatte. Darin zeichnen die Autor:innen Bernhard C. Schär und Ashkira Darman die Geschichte der beiden Hausnamen nach, fokussieren im Hauptteil aber auf die Bedeutungsentwicklung des Begriffs «Mohr» in Zürich während der letzten Jahrhunderte. Demnach haftete diesem schon früh eine negative Konnotation an.

Das andere Gutachten hat als Reaktion darauf der Zürcher Heimatschutz beim Mittelalterhistoriker Martin Illi in Auftrag gegeben. Als Teil der Prozessakten war es der Öffentlichkeit nicht zugänglich – erfahren hat sie davon dennoch, und zwar durch die NZZ, der das Papier wohl zugespielt wurde. Diese drehte daraus eine Geschichte, die den Autor:innen der ETH-Studie schwerwiegende wissenschaftliche Fehler unterstellt. Gegen Koautor Schär wird seither auch in anderen rechten Medien eine Kampagne gefahren, die ihn und seine gesamte wissenschaftliche Arbeit zu diskreditieren versucht.

Ein anderer Schultheiss

Letzte Woche hat der Zürcher Heimatschutz Illis Gutachten doch noch veröffentlicht. Darin lässt sich nachlesen, dass den ETH-Autor:innen beim Haus «Zum Mohrenkopf» tatsächlich ein Fehler in der Quelleninterpretation unterlaufen ist. «Höchstwahrscheinlich», schreiben sie, komme der Name vom Familienwappen des damaligen Besitzers, Jacob Schultheiss von Lenzburg, das einen Schwarzen Menschen in kolonial-rassistischer Darstellung zeigte. Illi erläutert mit Verweis auf eine von Schär und Darman nicht verwendete Quelle plausibel, dass es sich dabei um eine Verwechslung handelt. Der Besitzer Schultheiss sei nicht aus Lenzburg, sondern aus Zürich gewesen. Man wisse nicht, schliesst Illi, wie das Haus zum Namen «Mohrenkopf» gekommen sei. Aufgrund der vielen Möglichkeiten dürfe man es «auf keinen Fall von Anbeginn als ‹rassistisch konnotiert› betrachten». Und weiter: «Das geschieht erst ab dem 16. Jahrhundert, als sich das Bild des Mohren als Mensch afrikanischen Aussehens konkretisierte.»

Von einem schwerwiegenden Fehler kann also kaum die Rede sein: Schär und Darman hatten nicht geschrieben, dass ihre Interpretation sicher sei, bloss sehr wahrscheinlich. Darüber hinaus stellt sich die Frage, worüber hier eigentlich diskutiert wird: über die eventuell kolonial-rassistische Intention des Namensgebers – oder nicht doch eher über die Konnotation des Begriffs über Jahrhunderte hinweg, die ja auch Illi zumindest ab dem 16. Jahrhundert zugesteht?

Bürgerliche Rückeroberung

Neben dieser Präzisierung bringt Illis Bericht auch weitere erhellende Ergebnisse ein, insbesondere zur Inschrift des Hauses «Zum Mohrenkopf». So sei es wohl die Mieterin Sophie Angélique Panchaud de Botton gewesen, eine der bedeutendsten Trachtensammlerinnen der Zeit, die die Inschrift angebracht habe, als sie 1931/32 einzog und im Haus ein volkskundliches Museum einrichtete. Die zugehörige Trachtenstube nutzte der Heimatschutz zeitweise für seine Versammlungen. Illi schreibt, der Betrieb eines solchen Museums im Neumarktquartier sei in dieser Zeit nicht selbstverständlich gewesen. Nur einige Türen weiter etwa wurde im Gewerkschaftshaus bis in die dreissiger Jahre die kommunistische Zeitung «Der Kämpfer» gedruckt, «ein auch für die Sozialdemokraten schwer zu ertragender Zustand». Für die «bürgerliche Rückeroberung der Altstadt» seien die historischen Hausnamen am Neumarkt essenziell gewesen. Ob der Begriff «Mohr» damals rassistisch konnotiert war, muss wohl kaum diskutiert werden.

Insgesamt mutet es merkwürdig an, wie das Gutachten zur Grundlage einer Schlammschlacht werden konnte. Illi präzisiert hie und da und vertritt bezüglich Abdeckung der Inschriften eine andere Position als Schär und Darman, für die es durchaus Argumente gibt. So weit, so gewöhnlich in der Diskussion zum Umgang mit schwierigem Kulturerbe. Und sicher kein Grund, irgendwem die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit abzusprechen.