Licht im Tunnel: Pasta Antifa
Michelle Steinbeck über ein politisches Sommerrezept

Am Erscheinungstag dieser WOZ wird in Italien der vielleicht wichtigste Feiertag begangen: Ferragosto, der Höhepunkt des Sommers. An diesem Tag müssen alle ans heimische Meer oder in die Berge, so will es die Tradition. Für Katholik:innen ist Ferragosto gleichzeitig Mariä Himmelfahrt, seinen Ursprung soll der Tag aber im Römischen Reich haben, als Festtag zum Triumph des Kaisers Augustus, des grössten Vorbilds von Mussolini. Und weil der Duce aus imperialen Gründen auch das Meer verehrte, schickte er seine Leute an diesem Tag mit vergünstigten Zügen an den Strand.
Weit weniger bekannt als der 15. August, dabei mit würdigerem Feiergrund, ist der 25. Juli. An diesem Tag im Jahr 1943 wurde Mussolini von König Vittorio abgesetzt und anschliessend verhaftet. Obwohl klar war, dass der Krieg damit nicht zu Ende sein würde, rief in der Emilia-Romagna eine bekannte antifaschistische Bauernfamilie dazu auf, dieses Ereignis nach 21 Jahren Diktatur gebührend zu feiern. Die «Cervi-Bande» beteiligte sich aktiv am militanten Widerstand, indem sie auf ihrem Hof Partisan:innen und Kriegsgefangene versteckte. Familie Cervi lud also ein zur grossen «pastasciutta antifascista». Zwei Tage und viel Teigkneten später wurde die örtliche Piazza, die bis dahin Veranstaltungen der faschistischen Partei vorbehalten war, mit dieser Feier zurückerobert: Bis zu 500 Kilo Pasta sollen aufgetischt worden sein – für die ausgehungerte Bevölkerung ein Festmahl, auch wenn die Pasta bloss mit Butter und Käse angerichtet war.
Wie der Historiker Alberto Grandi erklärt, sei selbst die Menüwahl der Cervi widerständig gewesen: Zur Zeit des Faschismus sei Pasta in grossen Teilen Italiens noch gar nicht verbreitet und bei den Faschist:innen ausgesprochen verpönt gewesen. Erstens, weil im Namen der «Ernährungssouveränität» (ein Wort, das auch Giorgia Meloni so wichtig ist, dass sie es zu Beginn ihrer Amtszeit dem Namen des Ministeriums für Landwirtschaft zufügte) kein Weizen importiert werden sollte. Zweitens, weil die Futurist:innen, von denen sich die Faschist:innen Inspiration holten, über die Pasta sagten, sie mache «dumpf und neutral». Und drittens, so Alberto Grandi, hätten die Faschist:innen den aufkommenden Pastakonsum als Zeichen der «Amerikanisierung» erkannt. Laut Grandi war Pasta damals vor allem in der Region um Neapel bekannt, während es im Norden und im Zentrum des Landes hauptsächlich Polenta und im Süden Brot und etwas Gemüse gab.
Generell, betont Grandi, sei während des Faschismus sehr wenig gegessen worden. Viele italienische Migrant:innen sahen Pasta denn auch zum ersten Mal in Amerika und brachten sie von dort zurück in die Heimat.
Dass die steilen Thesen von Alberto Grandi, der sich als unterhaltsamer, aber vehementer Kritiker des «Gastronationalismus» platziert, nicht nur in der italienischen Rechten für Aufregung sorgen, ist wenig verwunderlich. Und doch ergibt es Sinn, angesichts der «kursierenden Nostalgie», wie Grandi sagt, an die historische Pastasciutta zu erinnern. Denn wie wir heute wissen, war der 25. Juli 1943 nicht das Ende des italienischen Faschismus.
Die sieben Cervi-Brüder wurden im November jenes Jahres verhaftet und im Dezember alle erschossen. Noch heute findet jeweils Ende Juli die von ihnen etablierte «pastasciutta antifascista» an vielen Orten statt – auch im Ausland, selbst in den USA. Egal woher sie kommt: Im Zweifelsfall für die Pasta.
Michelle Steinbeck ist Autorin und hört gerne Alberto Grandis Podcast «DOI – Denominazione di Origine Inventata». Diesen Sommer ist die deutsche Übersetzung seines gleichnamigen Buches erschienen: «Mythos Nationalgericht».