Jung, ostdeutsch und gegen Rechts
Am vergangenen Wochenende holte die AfD in der sächsischen Stadt Zwickau bei den EU-Wahlen über 35 Prozent der Stimmen – die rechtsextreme Partei ist dort mittlerweile die mit Abstand stärkste politische Kraft. Doch in der Stadt mit ihren 90 000 Einwohner:innen sind rechtsextreme Akteur:innen und Strukturen schon sehr viel länger etabliert. In Zwickau war das neonazistische Terrornetz Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) jahrelang abgetaucht, unterstützt von lokalen Neonazis, es gab in den letzten Jahren mehrere Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte und Drohungen gegen Klima- und Antifa-Aktivist:innen.
Jakob Springfeld ist in Zwickau aufgewachsen. Für sein Engagement in Sachen Klimaschutz und Antirassismus hat der heute 22-jährige Autor und Aktivist einen hohen Preis gezahlt: Er wurde von Rechtsradikalen beleidigt, bedroht, bespuckt und bis vor sein Elternhaus verfolgt. Doch statt zu schweigen oder aufzugeben, schreibt Springfeld 2022 ein Buch über seine Erfahrungen: «Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts». Darin geht er aber auch auf die Rolle der teils von Rechtsextremen unterwanderten Polizei ein oder auf eine Stadtverwaltung, die die rechtsextreme Szene und deren gewalttätigen Einfluss auf den Alltag kleinredet oder komplett ignoriert.
Gestern Mittwochabend las Jakob Springfeld in der St. Galler Grabenhalle im Rahmen der «WOZ Talks»-Reihe aus seinem Buch vor und diskutierte im Anschluss mit den dreissig anwesenden Zuhörer:innen darüber, wie er seine Hoffnung und seine Widerständigkeit bewahrt, was ihn noch in seiner Heimat hält, wo andere progressive junge Menschen in die Grossstädte abwandern.
Es war ein eindrücklicher Auftritt von Springfeld. Die Heftigkeit und Kontinuität der rechten Gewalt, die ihm selbst und in noch gravierenderem Ausmasse etwa geflüchteten Menschen entgegenschlägt, ist aus einer Schweizer Perspektive kaum vorstellbar. Umso wichtiger sind Orte wie das alternative Zwickauer Kulturzentrum Barrikade, wo Springfeld nach einem bedrohlichen Angriff von Neonazis auf ihn und seine Freund:innen hingegangen ist und auf einem Punkkonzert neue Kraft schöpfen konnte.
Am eindrücklichsten war jene Passage, die Springfeld denen widmete, die viel zu wenig Raum einnehmen in den Debatten um den gegenwärtigen Rechtsruck: den Opfern rechtsextremer Gewalt. Die Amadeu-Antonio-Stiftung geht von weit über 200 Menschen aus, die seit 1990 aus rassistischen und rechtsextremen Motiven getötet worden sind. Süleyman Taşköprü ist eines dieser Opfer, der NSU ermordete ihn am 27. Juni 2001 in einem Hamburger Gemüseladen. Jakob Springfeld erinnerte gestern Abend in St. Gallen an Taşköprü. Ein erschütternder Moment, aber auch einer, der alle in der Grabenhalle aufrüttelte.
Heute Abend liest Jakob Springfeld in Wintherthur, ab 19.30 Uhr in der Libero-Bar.