Bundesrat: Von der Unlust, Lust zu haben

Nr. 4 –

Noch hat niemand aus der Mitte-Partei gross Interesse am Amt der abtretenden Bundesrätin Viola Amherd gezeigt. Was bedeutet das?

Sie wollen alle nicht: Nach dem Rücktritt der Mitte-Bundesrätin Viola Amherd will weder Gerhard Pfister Bundesrat werden noch der ebenfalls zunächst hoch gehandelte Bündner Nationalrat Martin Candinas. Auch alle anderen Favorit:innen schlagen eine Kandidatur aus: die Urner Ständerätin Heidi Z’graggen, die Freiburger Ständerätin Isabelle Chassot, der St. Galler Ständerat Benedikt Würth und Nochfraktionspräsident Philipp Matthias Bregy. Vages Interesse angemeldet haben bis dato nur die Nationalräte Philipp Kutter und Markus Ritter, die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür und der Walliser Staatsrat Christophe Darbellay.

Dass aussichtsreiche Kandidat:innen auf eine Bundesratskandidatur verzichten, kommt zwar bei jeder Wahl vor. Doch die Absageparade bei der Mitte ist so aussergewöhnlich wie die Nonchalance, mit der die Favorit:innen sie begründen. Chassot erklärte ihren Verzicht mit der kryptischen Aussage, sie habe «keine Lust, Lust zu haben». Candinas schrieb: Das Bundesratsamt «entfacht aktuell kein inneres Feuer in mir». Und Pfister gab an: «Ich wäre kein glücklicher Bundesrat.»

Die Lustlosigkeit der Mitte offenbart mehrere Krisen. Zuallererst macht sie deutlich, wie gering für viele Mitte-Politiker:innen derzeit die Anziehungskraft des Amtes ist, das als Krönung einer Politiker:innenkarriere gilt. Ausschlaggebend dafür dürfte der Machtblock aus SVP und FDP sein, der im Bundesrat dominiert. Sowohl Parteipräsident Pfister als auch Bregy haben sich jüngst darüber beklagt, dass der Handlungsspielraum für die einzige Mitte-Politikerin in der Regierung immer kleiner geworden sei. Wer in Bern mit bundesratsnahen Politiker:innen spricht, hört meist das Gleiche: FDP-Finanzministerin Karin Keller-Sutter und SVP-Umweltminister Albert Rösti würden im Gremium den Ton angeben und ihre Parteikollegen Ignazio Cassis und Guy Parmelin auf Linie bringen. Es gebe vor den Sitzungen Absprachen unter diesen vier Bundesrät:innen – und auf der Seite der Linken seit den Rücktritten von Alain Berset und Simonetta Sommaruga ein Machtvakuum, das Beat Jans und Elisabeth Baume-Schneider bislang nicht zu füllen vermochten.

Das Zögern der Mitte verweist aber auch auf Probleme in der Partei selbst, deren Krise sich in zahlreichen Demissionen zeigt: Neben Amherd hat kürzlich auch Parteipräsident Pfister seinen Rücktritt angekündigt, ebenso seine Generalsekretärin Gianna Luzio sowie Fraktionspräsident Bregy. Pfister, der einen konservativen Kurs mit sozialem Anstrich vorgegeben hat, gelang es in der laufenden Session meist ebenso wenig, seine Partei hinter diesem zu vereinen, wie Bregy. Weil immer ein paar ausscheren – oft nach rechts, seltener nach links –, wirkt die Partei, die als Mehrheitsbeschafferin eigentlich eine mächtige Position innehätte, oft ohnmächtig. Nun, da das gesamte Führungspersonal ausgewechselt wird, steht mehr denn je die Frage im Raum: Was für eine Kraft will Die Mitte überhaupt sein?

Im Bundesrat jedenfalls braucht es dringend eine Korrektur des rechtskonservativen Kurses. Die vier Sitze von SVP und FDP spiegeln weder die Sitzverteilung im Parlament noch den Willen der Wähler:innen wider: weil Die Mitte in der Wähler:innengunst nur ganz knapp hinter der FDP liegt und andererseits die Grünen und die GLP trotz zusammengezählter Stärke nicht im Bundesrat vertreten sind. Die Zauberformel wird der Realität nicht mehr gerecht: Das Spektrum von den Grünen bis zur Mitte ist in der Regierung klar untervertreten. Die Mitte hat als stärkste dieser Parteien auch Ambitionen auf den nächsten frei werdenden FDP-Sitz angemeldet.

Die aktuelle Bundesratskampagne kann also auch als Gradmesser betrachtet werden: Gelingt der Mitte keine überzeugende Kampagne mit klaren Botschaften, sollte sie den nächsten Bundesratswahlkampf vielleicht den Grünen überlassen.