Machtpolitik: Bundesrat auf Abwegen

Nr. 34 –

Seit bald zehn Jahren dominiert in der Regierung der rechtsbürgerliche Block. Wie die Seilschaften funktionieren, zeigte der jüngste Entscheid zur Finanzierung der 13. AHV-Rente.

Albert Rösti und Karin Keller-Sutter bei den Von-Wattenwyl-Gesprächen
Sie haben vermutlich einen Plan: Albert Rösti und Karin Keller-Sutter, hier im Mai bei den Von-Wattenwyl-Gesprächen. Foto: Alessandro Della Valle, Keystone

Die Abstimmungsergebnisse vom 3. März waren an Deutlichkeit kaum zu übertreffen: Die Stimmbevölkerung befürwortete die 13. AHV-Rente – und lehnte gleichzeitig eine Erhöhung des Rentenalters ab. Es war ein historischer linker Sieg, ein Votum für die sozialpolitische Errungenschaft der AHV und ihren Umverteilungsmechanismus. Und eine herbe Niederlage für die Rechte, die das Sozialwerk seit Jahren und Jahrzehnten mit Finanzierungskatastrophenszenarien bekämpft.

Wie empfindlich der linke Triumph die bürgerliche Schweiz getroffen hat, zeigt sich an der Vehemenz, mit der sie nun versucht, die alte Ordnung wiederherzustellen. Als Einfallstor dient den Bürgerlichen die Tatsache, dass die Gewerkschaften bei ihrer Initiative für die 13. AHV-Rente offenliessen, wie diese finanziert werden soll. Begonnen haben die Manöver bereits vor der Sommerpause: als sich die bürgerlich dominierte Sozialkommission des Nationalrats gänzlich gegen eine Finanzierungsvorlage für die 13. AHV-Rente aussprach. Fortgesetzt hat die Operation nach der Sommerpause der Bundesrat: Zwar kann er nicht hinter den Volksentscheid zurück, dass die 13. Rente ab 2026 ausbezahlt werden muss. Aber letzte Woche ist er urplötzlich von seinen ursprünglichen Finanzierungsvorschlägen zurückgetreten.

Eine koordinierte Aktion

Die Kehrtwende des Bundesrats ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Äusserst selten kommt es vor, dass die Landesregierung Vorschläge in die Vernehmlassung schickt, nur um zum Ende der Veranstaltung eine ganz neue Variante aus dem Hut zu zaubern. Ursprünglich hatte der Bundesrat geplant, die 13. AHV-Rente entweder über Lohnprozente zu finanzieren oder alternativ über eine Kombination aus Lohnprozenten und einer Erhöhung der Mehrwertsteuer. Varianten, die Unternehmen und Gutverdienende stärker belastet hätten als Geringverdiener:innen.

Nach der Sommerpause aber verkündete SP-Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider trotz mehrheitlicher Zustimmung von Parteien, Kantonen und Verbänden: Man wolle allein die Mehrwertsteuer erhöhen. Festgehalten hat der Bundesrat mit seinem neuen Vorschlag einzig an der Senkung des Bundesbeitrags an die AHV-Ausgaben, was den Bundeshaushalt entlastet – wiederum entgegen den Vernehmlassungsteilnehmer:innen, die dies einhellig ablehnten, aber ganz nach der Vorstellung von Finanzministerin Karin Keller-Sutter ­(siehe WOZ Nr. 33/24).

Eigenartig war zudem die Begründung des Bundesrats für sein Vorgehen: Er führte einen Rechenfehler bei der AHV im Departement Baume-Schneider ins Feld, der in der Sommerpause publik geworden war. Doch wie die Tatsache, dass das Umlagedefizit der AHV geringer ausfällt als prognostiziert, eine unsoziale Finanzierung der 13. AHV rechtfertigen soll, blieb rätselhaft. Die viel plausiblere Erklärung: Die rechte Mehrheit im Bundesrat hat dem Rest seine Macht demonstriert. Dabei dürfte Karin Keller-Sutter («KKS») federführend gewesen sein.

Dass die St. Galler FDP-Magistratin im Bundesrat eine äusserst dominante Rolle innehat, ist in Bundesbern unumstritten. Parlamentarier:innen mit Nähe zum Bundesrat betonen den Führungsanspruch von KKS, ihr Machtbewusstsein und die Härte in Verhandlungen.

Ein Indiz dafür, dass sie Druck für eine andere Lösung gemacht hat, ist ein Vorstoss des Mitte-Politikers Benedikt Würth. Wenige Wochen nach dem Start der Vernehmlassung zur 13. AHV-Rente forderte er im Parlament eine reine Erhöhung der Mehrwertsteuer, um einerseits die Zusatzrente zu finanzieren und andererseits die von rechts gewünschte Erhöhung des Armeebudgets zu alimentieren. Laut der FDP-nahen NZZ war der Vorstoss mit KKS abgesprochen. Würth, ein enger politischer Weggefährte seiner St. Galler Kollegin, räumte gegenüber der WOZ schon vor der Sommerpause eine Absprache ein. Wobei in Würths Darstellung selbstverständlich er selbst die Hauptrolle spielte: Er habe die Bundesrätin über seinen Vorstoss informiert, «um mit der Finanzabteilung des Departements die Zahlen auf ihre Richtigkeit zu prüfen». Den Wunsch der Finanzministerin nach einer Senkung des Bundesbeitrags nahm er in seinem Vorstoss auch noch gleich mit.

Im Bundesrat wiederum hatte die Finanzministerin eine gute Verhandlungsposition, weil SVP und FDP gar keine Zusatzfinanzierung für die 13. AHV-Rente wollen. Die Parlamentsrechte will stattdessen die Finanzierung erst in einigen Jahren innerhalb eines grösseren AHV-Sanierungsprojekts regeln. Sie spekuliert darauf, dannzumal dank des wachsenden Finanzierungslochs endlich doch noch die Rentenaltererhöhung durchsetzen zu können – was den Wähler:innenwillen endgültig verhöhnen würde. Selbst Mitte-Frau Viola Amherd dürfte der Mehrwertsteuererhöhung im Bundesrat wenig entgegengesetzt haben: Wird der Plan Würth / KKS nämlich zu beiden Teilen umgesetzt, kommt sie endlich zu ihren sehnlichst erwünschten Armeemilliarden. Wie die Auseinandersetzung endet, wird sich im Parlament in der Winter- und Frühjahrssession entscheiden.

Die Achse KKS–Rösti

Dass Keller-Sutter im Bundesrat so viel Einfluss hat, liegt nicht nur an ihrem Geschick, sondern vor allem daran, dass sie sich in einer komfortablen Situation befindet. FDP und SVP stellen seit 2015 und dem Rücktritt von BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf die Mehrheit im Bundesrat. Und wer mit Parlamentarier:innen mit Nähe zum Bundesrat spricht, hört oft die Feststellung, diese Mehrheit habe sich in den letzten Jahren immer weiter konsolidiert. Kompromissprojekte zwischen Bürgerlichen und Linken würden rar, sagt etwa SP-Nationalrat Samuel Bendahan. Das letzte, woran er sich erinnere, sei die noch vom ehemaligen SP-Bundesrat Alain Berset aufgegleiste Altersvorsorge 2020. «Die Rechten haben im Parlament wie im Bundesrat das Gefühl, dass sie die Linken nicht mehr brauchen.» Und SP-Nationalrat Fabian Molina sagt: «Heute ist es kaum mehr möglich, eine:n der FDP- oder SVP-Bundesrät:innen aus ihrem Block zu lösen.»

Das hat viele Gründe: Zum einen hat die Parlamentswahl 2023 nach der grünen Welle im Jahr 2019 die Rechten wieder gestärkt. Zum anderen haben Rücktritte und Rochaden im Bundesrat dafür gesorgt, dass sich im Gremium eine günstige Konstellation für eine starke neoliberal-konservative Achse ergeben hat. Seit Anfang 2023 sitzt der ehemalige SVP-Präsident Albert Rösti im Bundesrat, der sogleich das wichtige Departement für Umwelt, Verkehr und Kommunikation (Uvek) übernehmen durfte. Röstis Politik gleicht der von KKS gleich mehrfach: Gemäss Aussagen verschiedener Parlamentarier:innen verfolgt auch Rösti einen klaren – nationalkonservativen – Plan und nimmt über sein Departement hinaus Einfluss.

Rösti, der als Umweltminister neue AKWs und neue Autobahnen bauen will, ist wie KKS ideologischer Hardliner und konzilianter Netzwerker zugleich. Und auch er gibt wenig auf Vernehmlassungen, wie sich bei der eigenmächtigen Senkung der SRG-Gebühren zeigte. Die beiden rechten Macher:innen werden jeweils von Bundesräten flankiert, die sich bisher nicht als Leader hervorgetan haben: SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin gilt zwar innerhalb der SVP als gemässigt, doch scheint ihn seine Partei im Griff zu haben. FDP-Aussenminister Ignazio Cassis wiederum schere nicht aus, weil er permanent seine Abwahl befürchte, heisst es in Bundesbern.

Kein Respekt

Auf der anderen Seite hatte die SP die Abgänge von Alain Berset und Simonetta Sommaruga zu verkraften. Vor deren Nachfolger:innen Elisabeth Baume-Schneider und Beat Jans zeige gerade KKS bisher weit weniger Respekt als vor ihren langjährigen Bundesratskolleg:innen, heisst es aus dem Parlament. Die rechte Bundesratskoalition hält vor allem in Fragen der Kaufkraft, der Wirtschaft, bei Steuerfragen und auch in der Energie- und Landwirtschaftspolitik.

Doch die Visionslosigkeit der Geld-und-Gülle-Fraktion dürfte zunehmend auch den Wählerinnen aufstossen, zumal der konservativ-neoliberale Mehrheitsblock im Bundesrat längst nicht mehr die Wähler:innenanteile repräsentiert: Die Mitte, die nur mit einem Bundesrat vertreten ist, liegt nach den letzten Wahlen nur noch sehr knapp hinter der FDP. Gar nicht repräsentiert sind in der Regierung die Grünen und die GLP, die zusammen auf fast ebenso viele Stimmen kommen wie die CVP und die FDP. Der Streit um die Finanzierung der 13. AHV-Rente könnte auch Vorbote der Debatte darüber sein, wann dieses Missverhältnis korrigiert wird.