PFAS-Chemikalien: Das ewige Gift

Nr. 24 –

In St. Gallen wird auch weiterhin belastetes Fleisch verkauft. Der Umgang mit PFAS stellt die Schweiz vor riesige Herausforderungen.

Diesen Artikel hören (4:43)
-15
+15
-15
/
+15
Symbolbild: eine St. Galler Bratwurst liegt auf einer Wiese
Von den Haushalten in den Klärschlamm in den Boden ins Gras ins Kalb in die St. Galler Bratwurst: Der lange Weg der PFAS. Foto: Florian Bachmann

Die Nachricht dürfte Konsument:innen aufgeschreckt haben: In St. Gallen kommt weiterhin Rindfleisch auf den Markt, das mit den sogenannten Ewigkeitschemikalien PFAS belastet ist – und zwar in einem Ausmass, das die gesetzlichen Höchstwerte übersteigt. Anders gesagt: Mit Umweltgiften verseuchtes Fleisch landet in der Schweiz auf den Tellern, obwohl das eigentlich verboten wäre. Das machte die «NZZ am Sonntag» kürzlich publik.

Zur Erinnerung: Vor knapp einem Jahr hatte die St. Galler Regierung mitgeteilt, dass im Nordosten des Kantons erhöhte PFAS-Werte gemessen worden waren – in Böden und im Fleisch von Tieren, die auf den Flächen geweidet hatten. Zum Teil überstieg die Konzentration den gesetzlichen Höchstwert um das Vierzigfache. Der Kanton kündigte einen Verkaufsstopp für das betroffene Fleisch an. Nun ist klar, dass dieser nie umgesetzt wurde.

Kaum abbaubar

Das ist besorgniserregend. Denn die bei der Industrie wegen ihrer wasser-, schmutz- und fettabweisenden Eigenschaften beliebten PFAS, kurz für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, können Leber, Nieren und Schilddrüse schädigen. Sie können zu schlechterer Wirksamkeit von Impfungen bei Kindern führen und sogar Krebs auslösen. Besonders problematisch: Die Chemikalien bauen sich kaum ab. Weder in der Natur, in die sie durch Industrie- und Landwirtschaftsabfälle gelangen, noch im menschlichen Körper.

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen hat das St. Galler Vorgehen scharf kritisiert, weil der Kanton sich damit über das nationale Lebensmittelrecht hinwegsetzt. Doch kann der Bund den Kanton nicht zum Handeln zwingen. In St. Gallen dominieren Sorgen um die Existenzgrundlage der Landwirt:innen. Der Kanton argumentiert: Man suche Lösungen, um die PFAS-Konzentration im Fleisch schrittweise zu reduzieren, in dieser Übergangsphase wolle man den Verkauf nicht verbieten.

Parallel dazu stimmte vergangene Woche der Ständerat einer vom St. Galler Mitte-Politiker Benedikt Würth eingebrachten Motion zu. Demnach soll zu stark belastetes Fleisch mit sauberem gemischt werden dürfen, damit das Endprodukt den Grenzwert einhält. Ein Vorgehen, das Fachleute kritisieren. «Man sollte alles tun, um die Stoffe nicht weiter zu verbreiten», sagt Martin Scheringer, Umweltchemiker und PFAS-Experte an der ETH Zürich.

Zugutezuhalten ist St. Gallen, dass dort immerhin zahlreiche Messungen durchgeführt und die Resultate publik gemacht wurden. Welche Gebiete sonst noch kontaminiert sind, ist bislang weitgehend unbekannt. Eine Übersicht der Lebensmittelbelastung will der Bund bis Ende 2025 haben. Dass das Problem über die Ostschweiz hinausgeht, ist anzunehmen. Zu hohe PFAS-Werte in Fischen oder Schliessungen von Spielplätzen wegen verseuchter Böden gab es auch schon anderswo. Und das Düngen mit Klärschlamm, was vermutlich zur Belastung in St. Gallen geführt hat, war bis 2006 vielerorts üblich.

Belastetes Grundwasser

Beunruhigt sind auch die Wasserversorger. Denn die bisher als ungefährlich eingestufte PFAS-Verbindung Trifluoressigsäure (TFA) kommt im Grundwasser bereits weiträumig vor. Die EU beurteilt aktuell die Gesundheitsrisiken neu. Sollte sie für TFA einen Grenzwert einführen, wie er für andere PFAS-Stoffe gilt, und die Schweiz nachziehen, wäre das Trinkwasser wohl landesweit zu stark belastet.

Dass es höchste Zeit ist, das Problem anzupacken, steht also ausser Frage. Einfach wird das nicht. Sanierungen seien teuer, aufwendig und auf grösseren Flächen nicht praktikabel, sagt der Experte Scheringer. «Will man die Gesundheit der Bevölkerung schützen, kann man den Landwirt:innen leider nur wenig anbieten.» Er drängt darauf, die Freisetzung weiterer PFAS in die Umwelt zu stoppen. In der Europäischen Union wird derzeit über eine breite PFAS-Beschränkung diskutiert, die die Schweiz übernehmen könnte. Doch wie Recherchen des «Beobachters» zeigen, macht die Schweizer Industrie dagegen vehement mobil.