Japan: Schwer im Minus

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Japan ist so hoch wie kein anderes Industrieland verschuldet. Zwar ist die Situation mit derjenigen Griechenlands oder Italiens nicht zu vergleichen, dennoch schüren viele PolitikerInnen Ängste.

Japan drohe wegen seiner hohen Staatsverschuldung das gleiche Schicksal wie Griechenland, die Sozialleistungen würden gestrichen und die staatlichen Löhne gekürzt. Dies prophezeite schon im Sommer 2010 der damals frisch zum Premierminister gekürte Naoto Kan.

Eineinhalb Jahre später sieht die Lage auf den ersten Blick noch viel dramatischer aus: Das Land wurde im März 2011 von einem verheerenden Erdbeben getroffen, der darauffolgende Tsunami zerstörte ein ganzes Küstengebiet. Die anschliessende Atomkatastrophe in Fukushima hat ein Gebiet im Radius von zwanzig Kilometern um das betroffene AKW zur Sperrzone werden lassen und zudem auch die Energieversorgung des Landes stark beeinträchtigt.

Kans Nachfolger Yoshihiko Noda stösst denn auch ins gleiche Horn wie Kan und wirbt eifrig für Konsumsteuererhöhungen, um das Finanzproblem in den Griff zu bekommen. Derweil haben kürzlich zwei Ratingagenturen Japan auf die Beobachtungsliste gesetzt und könnten schon bald die Kreditwürdigkeit des Landes herabstufen. Und Hedgefonds in den USA haben laut dem «Wall Street Journal» damit begonnen, gegen Japan zu wetten. Doch droht Japan wirklich ein ähnliches Schicksal wie Griechenland? Vieles spricht dagegen.

Tiefe Schuldzinsen

Obwohl Japan heute mit über 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) das am höchsten verschuldete Industrieland ist, kann es anders als Griechenland seine Schulden problemlos bedienen. Die Spareinlagen der privaten Haushalte sind immens. Die hiesigen Banken und Versicherungsgesellschaften, die sechzig Prozent der Anleihen halten, verfügen daher über genügend Liquidität und kaufen aus Mangel an Alternativen japanische Staatspapiere. Die Auslandsverschuldung beträgt magere fünf Prozent, was dem Handel mit Staatsanleihen eine gewisse Unabhängigkeit von globalen Geldflüssen und Finanzspekulationen sichert.

Die Zentralbank kann zudem bei steigenden Zinsen durch Stützungskäufe eingreifen. Anders als ihre griechischen KollegInnen, die von den Entscheiden der Europäischen Zentralbank abhängen, können sie so viel Geld drucken, wie sie wollen. Die Kosten für zehnjährige Staatsanleihen liegen denn auch stabil bei einem Prozent. Daher fallen die Zinszahlungen im Vergleich zu denen vieler europäischer Staaten niedrig aus und belaufen sich nur auf rund zehn Prozent des Staatshaushalts.

Die Regierung schüre Panik, lautet deshalb die Kritik an den Griechenland-Vergleichen. Es gehe ihr nur darum, für die Erhöhung der Konsumsteuer zu werben. Diese soll bis 2015 in zwei Schritten von fünf auf zehn Prozent angehoben werden. Dabei werde es nicht bleiben, sind KritikerInnen überzeugt. Nächste Erhöhungen würden bereits ins Auge gefasst. Statt so den Konsum abzuwürgen, solle der Staat mehr ausgeben, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Wenn das klappe, würden auch die Steuereinnahmen wieder zunehmen.

Es gibt jedoch noch eine grundsätzlichere Kritik am Regierungskurs: Linke PolitikerInnen hinterfragen dabei die gängige Erklärung, weshalb das Land überhaupt so stark verschuldet ist. Laut offizieller Version liegt der Grund im Platzen einer Spekulationsblase Anfang der neunziger Jahre. Der Staat versuchte damals, mit grossen Bauvorhaben der sich ausbreitenden Wirtschaftskrise entgegenzusteuern, und nahm viel Geld auf. Doch der Erfolg war mässig. Die Verschuldung stieg noch weiter an, weil Steuereinnahmen ausblieben und der Staat höhere Sozialausgaben zu zahlen hatte.

Die Reichen profitieren

Dieser Version hält die Linke entgegen, dass sich auch die Steuerprogression in den letzten Jahrzehnten dramatisch verflacht habe. Der staatliche Spitzensteuersatz ist von den bürgerlichen Regierungen von 75 Prozent im Jahr 1980 auf heute 40 Prozent gesenkt worden. Anders gesagt: Die Reichen zahlen immer weniger Steuern. Und auch die Erbschafts-, Wertpapier- und Unternehmenssteuersätze sind vor einigen Jahren gesunken. Berechnungen zeigen, dass bei Beibehaltung der ursprünglichen Steuersätze Mehreinnahmen von bis zu siebzig Prozent möglich wären.

Die Linke fordert deshalb von Noda, dass er mit seiner Steuerpolitik der jahrzehntelangen Umverteilung von unten nach oben endlich entgegenwirke. Eine Anhebung der Konsumsteuer treffe jedoch primär die Bevölkerung mit tiefem Einkommen. Das Schuldenproblem dürfe nicht auf dem Buckel der Ärmeren angegangen werden.

Der Rückhalt für Nodas Finanzpolitik bröckelt. Viele BeobachterInnen schliessen deshalb Neuwahlen in naher Zukunft nicht mehr aus.