Licht im Tunnel: Verbündete finden

Nr. 49 –

Michelle Steinbeck über erbauliche Literatur

Am Morgen nach der Wiederwahl Donald Trumps hätte ich gern länger geschlafen. Stattdessen musste ich aufstehen und einen Onlineworkshop geben: «Writing Fiction for Resistance and Hope in Times of Catastrophe and Crisis». Der hochtrabende Titel war mir vor nicht allzu langer Zeit noch vielversprechend erschienen. Nun sah ich die erwartungsvollen Gesichter in den Kacheln und gab gleich zu, dass ich von der Widerstandskraft der Fiktion heute wohl am meisten mich selbst überzeugen müsse. Ich zweifelte auch an der Universalität meiner Ideen – organisiert wurde der Anlass vom Literaturmagazin «One Way Street» in Peking. War die Hoffnungslosigkeit, von der die Teilnehmenden sprachen, vergleichbar mit etwas, was ich kannte?

Als wir uns ein paar Stunden später verabschiedeten, flimmerte doch spürbare Aufbruchstimmung durch den Bildschirm, vielleicht sogar eine Art Hoffnung. Der Austausch unserer Erfahrungen von Lesen und Schreiben hatte uns gegenseitig bestärkt. Wir teilten die Erfahrung vom Schreiben als Akt, sich mit der Welt zu verbinden, die Entfremdung zu überwinden. Als Versuch, Ordnung zu schaffen im Chaos, die Katastrophe zu fassen; nicht als Ganzes und ohne zu erklären, nur hinschauen und beschreiben, Worte für Unsagbares suchen – Schreiben als Care. Als Teilnahme am Kollektiven, als Bezeugen.

Ich betonte dabei die Freiheit der Fiktion, neue Realitäten zu entwerfen, um aus der Paralyse auszubrechen. Buchstäblich eigene Welten zu bauen – und jenen zu öffnen, die lesend in sie hineintreten können. Diese Welt erkunden, sich in ihr bewegen können: mit eigenen und anderen Augen, dem eigenen und dem Erzählkörper. So finden wir Neues, aber auch Bekanntes; wir erkennen uns im anderen. Diese Verschmelzung der Perspektiven, von Lesenden und Erzählenden, ist an sich schon Utopie.

Ein Buch, das mir all das kürzlich bewiesen hat, ist «Die schlechte Gewohnheit» von Alana S. Portero. Die spanische Autorin beschreibt das Aufwachsen eines trans Mädchens in einem abgehängten Viertel in Madrid. Die Erzählerin nimmt uns auf eine rauschhafte Reise mit, aus der wir verändert hervorgehen werden – wie sie. Es beginnt mit einem Fluch, den die perückentragende Nachbarshexe gegen die Mutter der Erzählerin ausspricht, als diese mit ihr schwanger und vom Wunsch beseelt ist, das Kind würde Torero werden. Stattdessen wird es ein Mädchen, das Junge spielen muss – «Todestheater». Schwer atmend, erstickt von einer Haut, die «sich zusammenzog», bewegt sie sich in ständiger Gefahr: Jeder Schritt Richtung Befreiung wird mit Gewalt zurückgeprügelt. Die Geister der getöteten und schwer versehrten Queers begleiten sie mahnend von Anfang an. Doch in die klar umrissene Welt der schuftenden Familienväter und grölenden Fussballfans mischen sich faszinierende Fabelwesen – gefallene Engel mit Heroinspritzen im Arm, Drachenmänner, Nymphen, Göttinnen, Königinnen …

«Die schlechte Gewohnheit» ist so traurig wie wunderbar, so hoffnungsvoll wie niederschmetternd. Dieser Roman ist für mich erbauliche Literatur: Sie gibt das Gefühl, nicht allein zu sein, Verbündete zu haben – sich verbünden zu wollen. Sie macht Lust auf Lebendigkeit, Lust, der Destruktivität zu trotzen. Die Welt wieder anzusehen, das Poetische zu suchen, das Licht. Ein Buch, das zeigt, wie gegen das Falsche, Grausame nur Mut und Schönheit ankommen können und müssen.

Michelle Steinbeck ist Autorin. Am 5. Dezember 2024 um 19 Uhr diskutiert sie am Deutschen Seminar der Uni Basel mit Oliver Nachtwey über Soziologie und Literatur.