Medien und Rechtsextremismus: Glarner oder der unheimliche Pakt
Eines Tages fand sich ein WOZ-Redaktor auf dem Polizeiposten wieder, weil er Andreas Glarner als rechtsextremen Politiker bezeichnet hatte. Nun endet die Geschichte mit einem erfreulichen Verdikt zur Medienfreiheit.

Es gehört zu den Vorzügen des journalistischen Berufs, dass man immer wieder an Orte gelangt, zu denen man als Normalbürger keinen Zutritt hat. Ich würde sogar schwärmerisch behaupten, ich hätte in jüngeren Jahren auch deshalb einen Reporterblock in die Hand genommen, weil sich damit viele Türen öffnen lassen. Ich war schon in Bundesratsbüros und in Flüchtlingsheimen, in der Teppichetage eines Versicherungskonzerns und im Tiefkühlraum eines Kebabauslieferers, immer gerne auch in Proberäumen, Kunstateliers und auf anderen Baustellen – bloss auf einem Polizeiposten war ich in zwanzig Jahren Berufsleben noch nie. Bis zum 26. Oktober 2023, als ich zusammen mit meinem Anwalt nach Muri in den Kanton Aargau reisen musste, um mich einer Einvernahme zu stellen.
Der Anlass war eine Anzeige von Andreas Glarner, der sich daran gestört hatte, dass ich ihn in einem Leitartikel als «rechtsextremen Nationalrat» bezeichnet hatte. Von dieser Anzeige erfahren hatte ich nicht – wie es üblich wäre – von einer Staatsanwaltschaft, sondern via «SonntagsZeitung», der Glarner die Nachricht vorgängig gesteckt hatte. «Mich als rechtsextrem zu bezeichnen, ist eine Sauerei», durfte er im Beitrag sagen. Ich konnte lediglich beisteuern, dass ich von der Strafanzeige offiziell ja noch gar nichts wisse und mich also auch nicht äussern könne.
Einvernahme zur Sache
Auf dem Posten in Muri musste ich zuerst mein Handy in einem Schliessfach deponieren. Nach einigen Formalitäten begann die Einvernahme zur Sache: Wer diesen Artikel verfasst habe? Ich. Wo ich mich dabei befunden hätte? Auf der WOZ-Redaktion, Hardturmstrasse 66, 8005 Zürich. Und wie nun die Formulierung im Kommentar gemeint sei, dass sich die FDP vor den Wahlen 2023 nicht scheue, im Aargau mit einer Listenverbindung den rechtsextremen Nationalrat Andreas Glarner zu unterstützen? Ich antwortete, dass sie zur Einordnung Glarners im politischen Spektrum diene. Die FDP sei eine rechte Partei, die SVP eine sehr rechte, in diesem Sinn könne Glarner, der am äussersten rechten Rand der Partei politisiere, als rechtsextrem bezeichnet werden. Es gebe zudem zahlreiche öffentliche Äusserungen und Handlungen von Glarner, die eine solche Bezeichnung rechtfertigten. Ich zählte einige Beispiele auf.
Bei der Auswahl hatte ich mich auf eine Definition von «Rechtsextremismus» gestützt, wie sie auch von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes verwendet wird. In einer vom Historiker Damir Skenderovic 2010 verfassten Broschüre mit dem Titel «Strategien gegen Rechtsextremismus in der Schweiz» heisst es: «Auf eine kurze Formel gebracht, ist Rechtsextremismus durch eine Ideologie der Ausgrenzung und Ungleichheit gekennzeichnet. Diese drückt sich in radikalen Formen von Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus aus und verbindet sich bei rechtsextremen Akteuren zuweilen mit einer Gewaltakzeptanz.»
Beispiele, dass Glarner das Gleichheitsgebot aller Menschen ablehnt, sind angesichts seiner regen Onlinetätigkeit leicht zu finden. Mal veröffentlichte er auf Facebook eine Liste mit Polizeimeldungen, bei der er die Verbrechen einzig auf die ethnische Herkunft der Täter:innen zurückführt. Mal tat er seine Meinung zu Ausschreitungen bei einer Palästinademo in Berlin kund: «Deutschland hat sich diese Brut ins Land geholt.» Für Glarner, das belegen die Beispiele, sind Ausländer:innen pauschal kriminell, der SVP-Nationalrat bezeichnet sie gar wie Tiere als «Brut». Die Herabsetzung hat bei ihm Tradition. 2012 verantwortete er im Aargau eine Wahlkampagne, bei der eine Person of Color zu sehen war, daneben stand zu lesen: «Sie sehen schwarz für den Aargau?» Das Konterfei einer PoC wurde also in einen direkten Zusammenhang gebracht mit einer düsteren Zukunft der Gesellschaft.
Bezüglich der Rechtsextremismusdefinition könnte es schwieriger scheinen, bei Glarner auch eine Gewaltakzeptanz festzustellen – schliesslich verbindet man diese eher mit einem rüpelhaften Skinhead als mit dem krawattierten Millionär aus Oberwil-Lieli. Liest man sich durch die Medienberichte, lässt sich aber die Akzeptanz von Gewalt in ihrer psychischen Form belegen. So veröffentlichte Glarner 2019 die Telefonnummer einer Zürcher Lehrerin, die ihren muslimischen Schüler:innen für einen Feiertag freigab: «Vielleicht mag jemand der Lehrerin mitteilen, was man davon hält.»
Vier Jahre später schilderte die Lehrerin in einem eindrücklichen Interview im «Tages-Anzeiger», was ihr nach Glarners Aufruf passiert war – und welche psychische Gewalt sie erlebte. Sie wurde dutzendfach rassistisch und sexistisch beleidigt, ihre Telefonnummer landete bei einem Escort-Service. Sie fühlte sich an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr sicher, musste den Beruf für eine Weile aufgeben. Glarner entschuldigte sich zwar. Dass er ein Wiederholungstäter ist, zeigte sich jedoch 2023, als er erneut einen digitalen Mob losschickte. Diesmal veröffentlichte er die Telefonnummer einer Sozialarbeiterin, die für einen «Gendertag» in Stäfa zuständig war. «Lehrpersonen und Mitglieder der Schulbehörde wurden aufs Unflätigste und Übelste bedroht», beschrieb der Gemeinderat in einer Stellungnahme die Folgen.
Der Polizist in Muri notierte alle diese Beispiele und arbeitete sich pflichtbewusst weiter durch den Fragenkatalog: Ob ich immer noch zum Text stehe?, wollte er gegen den Schluss wissen. Ich bestätigte, dass ich es weiterhin zutreffend fände, Glarner politisch als rechtsextrem zu bezeichnen – und ergänzte, dass dessen Anzeige ein Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit darstelle. Journalist:innen müssten fern jeglicher Einflussnahme arbeiten können, und es dürfe nicht via Gerichtsverfahren auf ihre Einschätzungen Druck gemacht werden. Diese kurze Ansprache protokollierte der Gefreite perfekt.
Von der SVP gedeckt
Es wäre vermessen, aus der Schweiz heraus Vergleiche zu Journalist:innen zu ziehen, die unter autoritären Regimes arbeiten. Dennoch gab mir die Einvernahme eine Ahnung, was es bedeuten kann, wenn Meinungen plötzlich zu Straftatbeständen werden. Tatsächlich geht es im Fall von Andreas Glarner nicht nur um die Frage, ob seine Politik als rechtsextrem gelten kann, sondern auch darum, wie die Medien mit einem solchen Politiker umgehen – und mit seiner Partei, der wähler:innenstärksten in der Schweiz mit zwei Bundesräten. Die SVP hat sich nie von Glarner distanziert, im Gegenteil hat sie seine Anzeigen gegen Personen zugelassen, die ihn als rechtsextrem bezeichnen.
So hatte Glarner bereits Anfang 2023 den Journalisten Hansi Voigt verklagt, weil dieser ihn auf dem damaligen Twitter als «Gaga-Rechtsextremisten» bezeichnet hatte. Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten belegte Voigt mit einer bedingten Geldstrafe von 8000 Franken und einer Busse von 1000 Franken. Voigt zog den Fall weiter vor das Bezirksgericht Bremgarten, wo er vom Vorwurf der üblen Nachrede und der Beschimpfung freigesprochen wurde.
Das Gericht sah die Straftatbestände als nicht erfüllt an, weil sich die Bezeichnung «Gaga-Rechtsextremist» auf das politische Wirken von Glarner und nicht auf den sogenannt menschlich-sittlichen Bereich seiner Ehre bezogen habe. Auch sei die Äusserung als Teil einer politischen Auseinandersetzung erfolgt, bei der eine strafrechtlich relevante Äusserung nur mit grosser Zurückhaltung angenommen werden dürfe. Die Frage, ob Glarner tatsächlich rechtsextrem ist, klärte das Gericht nicht, weil ein solcher Wahrheitsbeweis nicht die Aufgabe der Strafjustiz sei. Es hielt aber fest, dass Voigt in guten Treuen davon habe ausgehen können, dass Glarners Politstil extremistisch sei, weil dieser von weiten Teilen der Bevölkerung regelmässig als anstössig empfunden werde.
Die Beratung fand eine grosse mediale Aufmerksamkeit. Nach seiner Niederlage rekurrierte Glarner beim Obergericht, einmal mehr unterstützt von Staatsanwalt Pascal Ott, der den Fall ebenfalls weiterzog. Auch das Obergericht sprach Voigt frei. Zwar kündigte Glarner nach dem Prozess vollmundig einen Weiterzug ans Bundesgericht an – verzichtete aber darauf, angeblich aus formalen Gründen. In Tat und Wahrheit sah er wohl keine Chance, den Prozess noch zu seinen Gunsten zu wenden. Damit ist das Urteil des Obergerichts rechtskräftig.
Bis zum Ende des Verfahrens gegen Hansi Voigt war die Untersuchung zu meinem Leitartikel sistiert. Nun hat die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl das Verfahren eingestellt. In der Argumentation folgt sie den Aargauer Gerichten, zwei Punkte unterscheiden sich allerdings leicht, wovon einer für Journalist:innen besonders erfreulich ist.
Einerseits, heisst es in der Verfügung, hätte ich Glarner als Nationalrat bezeichnet, er sei also noch augenmerklicher als im anderen Fall als Politiker und nicht als Privatperson gemeint. Andererseits sei mein Beitrag nicht auf Twitter, sondern in einem Medium erschienen. Die Sachlage sei deshalb «im Lichte der verfassungsrechtlich verankerten Medienfreiheit und der staatspolitischen Aufgabe der Medien zu beurteilen». Im politischen Diskurs, in dem eine Ehrverletzung nur zurückhaltend angenommen werden dürfe, sei die Konstellation «Journalist – Politiker» besonders relevant. «Medienschaffenden kommt eine verfassungsrechtlich verankerte Aufgabe zu, während Politikerinnen und Politiker sich aufgrund ihrer exponierten Stellung verstärkt öffentlicher Kritik stellen müssen.»
Alles zusammengenommen heisst das: Es ist nicht ehrenrührig, SVP-Nationalrat Andreas Glarner als rechtsextrem zu bezeichnen. Ob die Einordnung sachlich zutrifft, dazu massen sich die Justizbehörden kein Urteil an, weil es nicht ihre Aufgabe sei. Sie ermutigen die Medien aber, aufgrund ihrer verfassungsmässigen Aufgabe in der politischen Auseinandersetzung auch scharf zugespitzte Formulierungen nicht zu scheuen.
Sauerei? Verfassungspflicht!
Damit sind wir beim eigentlichen Problem der Causa Glarner angelangt: beim Umgang der Medien mit diesem. Hansi Voigt hat ihn in seinem Tweet als «Gaga-Rechtsextremisten» bezeichnet, weil die Zeitungen von CH Media Glarner auch für noch so absurde Vorstösse immer eine Plattform geben. Im Kern ging es ihm also um eine Medienkritik. Glarner sei eine Klickmaschine, weshalb sich die Medien scheuten, seinen Politstil klar zu benennen und sich abzugrenzen. Voigt hat in seinen Stellungnahmen zudem immer wieder betont, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung in der Schweiz auch deshalb kaum Rechtsextremismus gebe, weil die Medien Angst hätten, Rechtsextreme wie SVP-Nationalrat Andreas Glarner so zu bezeichnen.
Die Komplizenschaft der meisten Medien mit der SVP zeigt sich auch in der Ankündigung der Strafanzeige gegen mich: Anstatt dass die Tamedia von Verleger Pietro Supino, zu der die «SonntagsZeitung» gehört, im Zweifelsfall einen Berufskollegen schützte, machte sie die Anzeige eines rechtsextremen Politikers handlangerhaft publik. «Mich als rechtsextrem zu bezeichnen, ist eine Sauerei», durfte Glarner wie schon erwähnt im Artikel sagen – obwohl es alles andere als eine Sauerei ist, ihn politisch richtig zu verorten, sondern sogar Verfassungspflicht.
Zwei Jahre lang ein Strafverfahren wegen übler Nachrede und Beschimpfung am Hals zu haben, ist nicht angenehm. Zwar konnte ich auf einen guten Anwalt und die finanzielle Absicherung durch die WOZ zählen. Und doch überlegt man sich zweimal, ob man bei Formulierungen wieder aufs Ganze gehen soll, auch wenn man es inhaltlich für richtig hält. Nun hat Hansi Voigt gewonnen, ich bin die Klage los, und alle dürfen SVP-Politiker Andreas Glarner gerichtlich bestätigt rechtsextrem nennen. Höchste Zeit, den Pakt mit der SVP zu brechen.